Raus aus der Defensive!
Sinnfragen, Skepsis, Bereitschaft zur Begeisterung, Körperlichkeit: Von vielem, was Jugendliche in der Pubertät umtreibt, können sich auch ihre Eltern eine Scheibe abschneiden.
Elternschaft ist ein mutiger, lebensbejahender Akt, Familienleben intensiver als manche Psychoanalyse. Das gilt insbesondere für die seelische Aufbruchstimmung, die sich in Familien mit pubertierenden Jugendlichen breit machen kann. Auch wir Erwachsenen werden davon erfasst. Die Seele des Jugendlichen meldet sich als kraftvolle, berauschend-beflügelnde und auch beängstigende innere Wirklichkeit. Dabei wird die Außenwelt oft unwichtig gegenüber dem, was innerlich abläuft.
Muss ich als Erwachsener darauf nur defensiv reagieren oder klagen, wie das so viele Eltern tun? Könnte die Pubertät meiner Kinder mir nicht auch Spaß oder Mut machen?
- Der natürliche Narzissmus und die phasenweise immanente Selbstüberschätzung mit weniger tierischem Ernst gesehen: Könnte ich als Erwachsener, der vor lauter Realismus vieles aufgegeben hat, nicht auch so neuen Mut fassen? Die „coolness“ eines 15-jährigen (für mich eine autonome psychologische Erregung mit atavistischem Charakter) spielerisch zu durchschauen oder an geeigneten Stellen in mein Leben zu kopieren: Das würde heißen „voneinander lernen“.
- Meine Kinder werden endlich selbständiger. Sie entwickeln neue Interessen, organisieren selbst Freizeitbereiche oder managen etwas für eine ganze Gruppe. Ehemals Überangepasste werden plötzlich in positivem Sinne frech.
- Sie interessieren sich für Politik und Sinnfragen. Es macht Spaß, so einen jugendlichen Gesprächspartner zu gewinnen! Der Wissensdurst und das kritische Nachfragen verhelfen Erwachsenen (unter Umständen) zu einer kritischen Selbstreflexion; ausgetretene Pfade werden infrage gestellt. Die Seele der Jugendlichen tastet ihre Welt nach Objekten und Themen ab, die sie seelisch anregen. Sollten nicht auch wir Erwachsenen das manchmal losgelöst von unserer Vernunft tun?
- Sie entdecken Körperlichkeit im positiven Sinn: ziehen sich schick an, lassen ihrem Körper wohltuende Pflege angedeihen, treiben Krafttraining oder Sport. Das könnte auch auf uns Eltern abfärben. Die Teilnahme an der immensen Scheinwelt der Konsumindustrie stellt nicht nur für die Teens einen Orientierungspunkt dar: Auch für mich kann ein bestimmter Kauf zu einem „Verzauberungsakt“ werden. Warum soll ich mich nicht einmal von Tochter/Sohn dabei anstecken lassen? Auch das kann bewusste Lebensbejahung sein.
- Elterliches Lob weckt bei Jugendlichen oft Skepsis. Die Annahme könnte eigene Autonomiebestrebungen gefährden. Statt Lob verle gen wir uns deshalb besser auf eine aufrichtige Mitteilung oder beiläufige Bestätigung im richtigen Moment – Jugendliche wollen ehrlich wissen, wo sie stehen. Diese Ehrlichkeit könnte ich mir abschauen.
- Ein gemeinsames Hobby oder Interesse (für mich wären das zum Beispiel Skifahren oder Musik) könnten neue Verbindungen schaffen.
- Last not least ist es spannend zu beobachten, welche Auswirkung die Pubertät der Kinder auf die Paarbeziehung der Eltern und ihre jeweiligen Erziehungshaltungen hat. Und wie können wir konstruktiv reagieren? Gelegentlich ist ein klares Nein notwendig, da
Jugendliche Gegenkräfte zur faszinierenden und zum Teil unkritisch beäugten Welt da draußen brauchen. Unsere entschiedene Haltung kann ihnen auch Kraft geben, ohne lange über ein „Warum“ (etwa den Sinn des Aufräumens) zu diskutieren. Räumt ihr Sohn nicht manchmal sein Zimmer komplett um, wenn sie ihn 20mal ums Aufräumen gebeten haben ?
Neben einer geduldigen Bereitschaft zum Gespräch dürfen und sollen wir manchmal auch „cool“ kontern (das kann Spaß machen, wenn wir den tierischen Ernst herausnehmen) und uns auch richtig aufregen (= Spaßfaktor für die Jugendlichen).
Wir können uns über kleine Gemeinsamkeiten freuen und akzeptieren, dass sich viele große erhoffte Gemeinsamkeiten nicht verwirklichen lassen.
Eltern müssen oft eine Doppelrolle wahrnehmen: einfühlsame Erziehungsarbeit für die Jugendlichen leisten und eine unpersönliche Leitfigur, ein erwachsener Gegenspieler und ein Überwacher von gewissen Regeln und Idealen bleiben. Der Wechsel zwischen diesen Rollen macht unsere innere Grundhaltung geschmeidig und nimmt auch mal die Alltagslangeweile heraus.
Alexander Krieg