Zwei Welten unter einem Dach

Allein die Nähe der Großeltern garantiert noch kein geglücktes Familienleben. Lisa-Marie Steffen hätte ein bisschen mehr Distanz wohl gut getan.

Uns trennten Welten in unseren Einstellungen

Eigentlich wollte ich mich um unsere Kinder selbst kümmern. Doch kaum war Marius, unser erster Sohn, kerngesund und munter auf der Welt, da wurde mein Mann arbeitslos.

Zwar fand er sehr schnell wieder einen Job, doch der Schreck saß tief. Um meinen Arbeitsplatz und damit das finanzielle Auskommen unserer Familie zu sichern, warfen wir unsere Pläne über den Haufen. Schweren Herzens würde ich nach dem Mutterschutz doch weiter halbtags arbeiten.

Damit waren wir schnell bei den Themen „Kinderbetreuung“ und „Großeltern“. Denn die wohnten mit uns im Haus und boten sich sofort an, auf Marius aufzupassen. Also würden sie von nun an in unserer Familie mitmischen – obwohl uns Welten in unserer Einstellung zum Leben und leider auch in unserem Verständnis von Kindererziehung trennten.

Das Ergebnis:

Zwar konnte ich mich blind darauf verlassen, dass Marius jederzeit sauber gewindelt und angezogen wurde und pünktlich sein Essen bekam. Doch darüber hinaus spürte ich wenig von liebevoller Sorge um die Entwicklung des Enkelkinds. Er war – unausgesprochen – eine Last und Störung des eingespielten Alltags. So lange er konnte (leider nicht sehr lange), nahm ihn der Opa mit in seine kleine Werkstatt. Aber mit den Großeltern spielen, lesen, malen oder spazieren gehen? Fehlanzeige. Zudem hatte ich oft das Gefühl, dass mir die Schwiegermutter ein schlechtes Gewissen machen wollte. Hatte ich Marius zum Beispiel vor der Nachmittagsschicht schlafen gelegt (normalerweise schlief er mehr als eine Stunde), dann bekam ich bei meiner Heimkehr garantiert zu hören: „Du warst noch nicht um die Ecke, da war er schon wieder wach!“ Das klang vorwurfsvoll und nach zigfacher Wiederholung kaum noch glaubhaft. Das schlechte Gewissen hatte ich trotzdem, nicht gegenüber den Großeltern, sondern gegenüber Marius; das brauchte mir niemand mehr einzureden.

Neid, Wut und Traurigkeit

Wie oft fuhr ich in dieser Zeit mit welch schmerzlichen Gefühlen zur Arbeit! Manchmal mischte sich in den Schmerz und die Traurigkeit auch eine geharnischte Portion Wut. Und immer wieder auch Neid, wenn ich im Bekanntenkreis sah, wie liebevoll andere Großetern ihre festen Nachmittage mit den Enkeln pflegten und so ihren nicht berufstätigen (Schwieger-) Töchtern kinderfreie Nachmittage verschafften. Für mich gehörten diese anderthalb Jahre bis zur Geburt unseres zweiten Sohns Robert zu den schwersten meines Lebens.

Danach, so hoffte ich zunächst, hätte sich das Verhältnis zu meiner (mittlerweile verwitweten) Schwiegermutter entspannen können. Denn jetzt war ich ja Vollzeitmama und nicht mehr von ihr abhängig. Stattdessen traten die Spannungen, die aus unseren verschiedenen Lebensauffassungen entsprangen, immer klarer zu Tage:

Räubern – und das am Sonntag!

Ich saß mit den Kindern auf der Couch, las Bilder- und später Kinderbücher vor, bastelte und spielte mit ihnen, statt zu putzen und aufzuräumen. (Ich gebe zu: Manchmal sah es bei uns, nun ja, kunterbunt aus.)

Meine Kinder durften im Garten und beim Spaziergehen „räubern“, nach Herzenslust die Natur erkunden. Danach sahen sie verständlicherweise selten „gepflegt“ aus – aber wie kann man sich an einem Sonntag mit Kindern in Spiel-Kleidern in die Öffentlichkeit wagen!?
Wir hatten anfangs keinen Fernseher. Was bedeutete, dass ich meinen Kindern diesen wichtigen Aspekt des Lebens nicht gönnte.
Auch dass zu unserem Speiseplan des Öfteren Pasta gehörte (wie auch nicht, als heiß geliebtes Kinderessen), fand vor den Augen meiner Schwiegermutter keine Gnade. Einfach Nudeln ins Wasser zu werfen, ist doch keine Arbeit…

Und so weiter.

Das Problem war eindeutig meine Person – weil ich den Ansichten der älteren Generation nicht folgen wollte und „fragwürdige“ neue Denkweisen demonstrierte. Wehren konnte ich mich gegen die Ablehnung kaum, denn sie wurde nie offen ausgesprochen. Und wenn ich meinen Standpunkt doch das eine oder andere Mal zu erklären versuchte, dann wurde das vielleicht gehört, aber nicht akzeptiert.

Zumal es ja noch eine andere Schwiegertochter gab. Die hielt ihren Haushalt in Ordnung und ihre Kinder waren immer adrett gekleidet. Als die „besseren“ Enkel durften sie fast jederzeit bei der Oma abgeliefert werden; meine Kinder waren dann abgemeldet.

Wir waren nie froh miteinander

Trotzdem gingen sie anfangs ganz gerne zur Oma, immerhin lockten dort der Fernseher und Süßigkeiten. Doch je älter sie wurden, desto individueller regelten sie ihre Beziehungen zur Oma: Sandro, unser Jüngster, stellte den Kontakt – bis auf Familientreffen – fast gänzlich ein und reagierte damit konsequent auf die gefühlte Ablehnung. Marius bemühte sich mehr oder minder erfolglos, bei der Oma zu punkten. Nur Robert war bei ihr wohlgelitten und konnte bis zu ihrem Tod einen guten Kontakt zu ihr pflegen.

Auch heute sprechen die drei nicht schlecht von der Oma und erinnern sich an die guten Dinge. Ich bin froh darüber, denn es ist mir nicht immer gelungen, meine Verletzung und auch meine Kritik am Verhalten und den Meinungen meiner Schwiegermutter für mich zu behalten.
Ich selbst habe irgendwann resigniert. Nach dem Tod ihres Mannes hatte ich die Schwiegermutter oft zum Essen zu uns gebeten; sie half mir dann auch immer, die Küche in Ordnung zu bringen. Aber wir beide waren nie froh miteinander; unsere Gespräche drehten sich nur noch um Alltäglichkeiten, ein Austausch über wichtige Themen war einfach nicht möglich.
Vielleicht hätten meine Schwiegermutter und ich auf größere Entfernung ein freundliches, wenn auch nicht inniges Miteinander pflegen können. Aber bei dem engen Zusammenleben unter einem Dach konnten wir unsere Spannungen nicht bewältigen. So hart es klingt: Die Atmosphäre im Haus entspannte sich nach ihrem Tod spürbar. Es macht mich heute noch traurig.

Lisa-Marie Steffen