Die stille Reserve

Größte Flexibilität und 1:1-Betreuung sind Trümpfe, die nur Großeltern den Eltern von Kleinkindern bieten. Doch die Politik nimmt diese Betreuungsform kaum wahr.

Großeltern stehen einfach zur Verfügung

Das Elterngeld ist abgearbeitet, auf der Agenda der Familienpolitik steht jetzt: Ausbau des Angebots an Betreuungsplätzen für Kinder unter 3. Vor allem von Krippenplätzen ist dabei die Rede, gelegentlich auch davon, die Zahl der Tagespflege-Plätze, sprich: der Tagesmütter, zu erhöhen und sie besser zu qualifizieren. Über das Stichwort „Großeltern“ dagegen geht die Diskussion hinweg. Dabei zeigen Untersuchungen bis heute: Großeltern bilden überall da, wo die räumlichen Distanzen zwischen den Wohnungen der „Alten“ und der „Jungen“ es erlauben, gewissermaßen die stille Reserve der Kinderbetreuungs-Szene. Sie stehen einfach zur Verfügung; gesprochen wird in der Politik darüber kaum, noch weniger gibt es öffentliche Anerkennung. Also eine in höchstem Maße private Angelegenheit? Wäre es nicht höchste Zeit, Familie auch familien- und gesellschaftspolitisch über den engen Rahmen der „Zeugungsfamilie“ oder „Eltern-Kind-Familie“ hinaus zu denken?

Auf Wunsch auch über Nacht

Die Solidarität der Großeltern hat einen hohen Wert, auch gesellschaftlich und politisch. Oma und Opa helfen nicht nur bei der Kinderbetreuung, sie leisten auch beträchtliche finanzielle Transfers, stärken und fördern die Erziehung von Familien also in vielfacher Hinsicht. Je nach Lebensalter und den eigenen Plänen für das Leben im Ruhestand bedeutet das Dasein von Enkeln für die Großeltern oft Freude und Vergnügen, mitunter aber auch Schwierigkeiten, die Rolle in das Selbstkonzept zu integrieren. Fest steht aber: Viele Großeltern freuen sich, wenn sie gefragt werden, ob sie ihre Enkelkinder betreuen möchten, oder bieten den jungen Familien sogar von sich aus Hilfe an.

Während über die Auswirkungen öffentlicher Kleinkinderbetreuung jahrzehntelang heftig diskutiert wurde, geht die „herrschende Meinung“ stillschweigend davon aus, dass die Betreuung durch die Großeltern wenig Probleme bereitet. Tatsächlich bietet diese Betreuungsform allen Beteiligten viele Vorteile – vorausgesetzt die Großeltern engagieren sich freiwillig für ihre Enkelkinder und werden nicht „moralisch zwangsverpflichtet“, weil sich leider keine andere Betreuungsmöglichkeit gefunden hat.

  • Vielleicht der größte Vorteil: Großeltern, die nicht mehr im Berufsleben stehen, können ihren Betreuungsumfang flexibel auf die zeitlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse von berufstätigen Eltern abstimmen. Sie decken, wo nötig, auch frühe Vormittags- und späte Abendstunden ab, was insbesondere Eltern mit Schicht- und Bereitschaftsdiensten ansonsten oft Probleme macht; manche betreuen ihre Enkel sogar regelmäßig über Nacht.
  • Für die Kinder bedeutet das Engagement der Großeltern: Sie erleben eine 1:1-Betreuung und erhalten fast grenzenlose Aufmerksamkeit. Sie sind der Liebling der Großeltern, die anscheinend unbegrenzte Zeit und oft viel Geduld für die Kleinen haben und mit ihnen „spazieren stehen“, weil jeder Käfer genau betrachtet werden will. Sie bleiben in vertrauter Umgebung bei vertrauten Menschen; die Betreuungsbeziehung muss nicht erst über eine (lange) Eingewöhnungszeit angebahnt werden. Oma und Opa kennen ihre Enkel schon von Geburt an, ihre besonderen Bedürfnisse, Gewohnheiten und Vorlieben inklusive. Auch wenn sie die Kleinen in der eigenen Wohnung betreuen, bewegen sie sich in aller Regel in vertrauten Räumen.

Was Eltern allerdings nicht übersehen dürfen:

Es macht einen großen Unterschied, ob Großeltern und Enkel im Beisein der Eltern miteinander spielen oder „unter sich“ sind. Solange die Eltern zuschauen, bleiben sie meist für Regeln und Grenzen zuständig; diese (schwierigen) Erziehungsaufgaben müssen die Großeltern mit übernehmen, wenn die Eltern sich verabschieden. Das heißt: Sie sind ganz anders gefordert, wenn sie mit den Enkelkindern alleine sind.

Außerdem sind die Wohnungen der älteren Generation eher selten auf kindliche Bedürfnisse eingerichtet. Kleine Kinder brauchen viel Bewegungsfreiheit, um krabbeln, laufen, klettern, hüpfen oder um in Ruhe auf dem Fußboden spielen zu können.

  • Die Enkel gewinnen in den Großeltern zusätzliche sozial-emotional verlässliche Bezugspersonen, die den kindlichen Erfahrungsraum über die eigenen Eltern und Geschwister hinaus erweitern und sich anders als Erzieherinnen oft jahrzehntelang als Ansprechpartner anbieten. Laut einer Münchner Befragung von Kindern empfindet ein Großteil der vier- bis achtjährigen Kinder ihre Großeltern als zur Kernfamilie gehörend.
  • Die Großeltern ziehen aus der regelmäßigen Betreuung der Enkelkinder emotionalen Gewinn. Die Kleinen nehmen einen so hohen Stellenwert in ihrem Leben ein, dass viele sich auch durch lange Anfahrtszeiten nicht daran hindern lassen, sie zu betreuen.
  • Das großelterliche Engagement bei der Betreuung der Enkel kann Beziehungspflege für alle Beteiligten sein. Die Erwachsenen kennen sich mit allen Ecken und Kanten.

Die Eltern geben ihre Kinder in vertraute Hände. Die Großeltern fühlen sich in das Familiengeschehen eingebunden. Der Austausch untereinander, sei es an gegenseitigen Dienstleistungen wie auch das Kommunizieren über den Alltag, profitiert dadurch. „Solange ich noch etwas tun kann für die Familie, helfe ich ihnen. Wer weiß, wie lange ich im Alter Hilfe von der Familie brauche. Da hoffe ich, dass ich weiterhin mit den Enkelkindern gut zurechtkomme, damit sie später einmal etwas für mich tun“, beschreibt eine Großmutter ihre Motivation, ihre Enkelkinder regelmäßig zu betreuen. Insbesondere familienorientierte Frauen finden darin eine zwanglose Möglichkeit, die Kontakte mit den Kindern zu intensivieren und stabilisieren.

Keine Frage: Ob und wie intensiv und wie befriedigend sich die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern entwickeln, hängt immer von der Eltern-Kind- (sprich: GroßelternEltern-)Beziehung ab. Bei gestörten Beziehungen erweisen sich Betreuungsarrangements oft krisenanfällig.

Befreit, aber nicht sorglos

Der Umgang von Großeltern mit ihren Enkelkindern ist von biographischen Erfahrungen geprägt. Dazu gehören Erinnerungen an die Kindheit und die eigene Elternrolle. Gefühle von Unzulänglichkeit gegenüber den eigenen Kindern, zum Beispiel weil man zu wenig Zeit für sie hatte, motivieren viele Großeltern, es bei den Enkelkindern besser zu machen; sie versuchen gewissermaßen eine stellvertretende Wiedergutmachung zu leisten: „Das Besondere ist, dass man viel mehr die Kinder genießen kann. Man muss sie nicht erziehen, man trägt Verantwortung nur für die Zeit, in der sie da sind. Man ist befreiter, ich will aber nicht sagen: sorgloser“, beschreibt eine Großmutter ihre Gefühle.

Die Vorstellungen, nach denen Großeltern ihren Umgang mit den Enkeln zu gestalten versuchen, basieren auf Erinnerungen an die eigenen Großeltern oder Großeltern ihrer eigenen Kinder. Diese Erfahrungen können auch zu dem Vorsatz führen, keinesfalls „so zu werden“ und den Kindern und Enkeln selbst erlebte schmerzhafte Erfahrungen zu ersparen. Besonders Frauen, die den allzu rigiden Einfluss der Großeltern-Generation deutlich zu spüren bekamen, nehmen sich oft vor, „bessere“ Großmütter zu sein.

Wichtig in diesem familiären Betreuungsarrangement sind Absprachen sowie klare Regeln, die in gegenseitiger Offenheit vereinbart werden. Eine geringe Konfliktfähigkeit und das Bedürfnis, mit den Kinderfamilien in Harmonie zu leben, veranlassen Großeltern oft zur Zurückhaltung. Aber im Einzelfall kann die Zufriedenheit mit sich selbst wichtiger sein als das Bedürfnis nach Harmonie mit den Kinderfamilien.

Roswitha Sommer-Himmel