Familie: Voraussetzung tragfähiger Entwicklung

Es war der amerikanische Präsidentenberater Walt Whitmann Rostow, der 1953 die „Theorie“ des sich selbst tragenden Wachstums (self-sustained growth) publizierte und damit der wohl wichtigsten wirtschaftlichen Grundüberzeugung des 20. Jahrhunderts einen Namen gab.

Es geht um die Ressource Mensch

Die Überzeugung bestand darin, Wachstum werde unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus sich selbst heraus Wachtstum immer weiter schaffen und damit stetig größeren Wohlstand für alle produzieren.
Die Energiekrise erteilte dieser Wachstumseuphorie einen ersten Dämpfer. Es wurde wieder verstärkt nach den Voraussetzungen gefragt, die „Wohlstand für alle“ braucht. Die erschöpfbaren natürlichen Ressourcen – Erdöl, Wasser, Metallerze – ließen sich durch marktwirtschaftliche Ordnungspolitik allein weder erneuern, noch schonungsvoll verteilen, so die ernüchternde Einsicht: Ein „sich selbst tragendes“ Wachstum, das Raubbau treibt an den Schätzen der Natur, würde an Grenzen des Wachstums stoßen. Die Konsequenzen dieser Einsicht zu ziehen ist offensichtlich schwer, gerade auch dort, wo es – über die Schonung der natürlichen Ressourcen hinaus – um den Umgang mit der Ressource Mensch geht. Wirtschaft kann gerade hier die Voraussetzungen nicht selbst schaffen, die sie braucht. Stabile bindungsfähige wertevermittelnde Familien als Heimat und Ursprung selbstbewusster, fröhlicher, leistungsbereiter junger Menschen sind ebenso Voraussetzung nachhaltiger Entwicklung wie sauberes Wasser und gesunde Luft. Wer rücksichtslos Lebensbedingungen von Familien verschlechtert, zerstört Voraussetzungen einer Entwicklung, die jenseits kurzfristiger Gewinnmaximierung Lebensbedingungen für Menschen heute und morgen sichern.

Familie wird im politischen Alltag als Kostenfaktor angesprochen

Gerade am Beispiel Familie zeigt sich, dass der Wechsel von der Illusion eines sich selbst tragenden Wachstums zur Handlungsoption tragfähiger Entwicklung weder bei den Verantwortungsträgern in der Politik noch bei den Führungsgremien der Wirtschaft angekommen ist. Familie wird von ihnen im politischen Alltag regelmäßig als Kostenfaktor angesprochen, nicht als Ressource! Familienbezogene Leistungen wie die Hinterbliebenenrente in der gesetzlichen Rentenversicherung werden von Wirtschaftslobbyisten als „versicherungsfremd“ kategorisiert und damit die Forderung ihrer Abschaffung legitimiert; die weitere Übernahme von schwangerschaftsbedingten Kosten im Gesundheitsbereich (Vorsorgeuntersuchungen) durch die Krankenkassen, bzw. durch das Beitragsaufkommen der Versicherten wird von Wirtschaftsvertretern abgelehnt. Gleichzeitig werden den Sozialversicherungskassen von denselben Unternehmensverbänden schamlos Kosten der Frühverrentung und eines kohortenbezogenen Personalabbaus aufgebürdet, Kosten von Entscheidungen, die mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Mensch oft nur schwer in Einklang zu bringen sind.

Mensch – Natur – Technik

Die Geschichte der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover, die mit ihrem Motto „Mensch – Natur – Technik – Eine neue Welt entsteht“ programmatisch Nachhaltigkeit zur Leitlinie der Präsentation gemacht hat, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie weit der Weg von Rio bis in die Herzen und Köpfe der Menschen ist. Die USA waren als Aussteller auf der EXPO nicht vertreten – nicht zuletzt offenbar, weil die amerikanische Wirtschaft ihre Unterstützung des Konzepte versagte. Die Besucher interessierten sich erst langsam für die EXPO – wohl auch, weil die Erwartungen des „Höher, Schneller, Weiter“ die Weltausstellungen seit 150 Jahren ehrgeizig bedient hatten, nicht erfüllt wurden. Anstatt das schnellste Müllfahrzeug der Welt zu zeigen, das mit nur einem Fahrer in einem Vormittag Rekordmengen Müll einzusammeln in der Lage ist, präsentierte sich das Duale System Deutschlands mit einer nachdenklich stimmenden „Cycle Bowl“, deren Attraktion in einem Tornado bestand, Simulation einer Klimakatastrophe, die abzuwenden Ziel nachhaltiger Entwicklung ist.
Im „Global House“ zeigte die EXPO ausgewählte praktische Lösungen zum Anfassen, die vormachen, wie der Wechsel von der Illusion sich selbst tragenden Wachstums zu einer dem Prinzip Nachhaltigkeit verpflichteten Entwicklung aussehen kann. Entsprechend der Geschichte des Nachhaltigkeitsgedankens dominierten Projekte des Umweltschutzes, bei denen Landschaft, Klima und zukunftsfähige Mobilität im Mittelpunkt stehen. Aber auch die Ressourcen Mensch und ihre Bedingtheiten fanden in einigen ausgewählten EXPO-Projekten Beachtung. Der Katalog verweist dabei z.B. auf „die Vorzüge der schon in Vergessenheit geratenen Großfamilie, (die) wieder erlebbar“ werden. (S. 168).

Schöpfungspartnerschaft

Familie als Voraussetzung nachhaltiger Entwicklung – dabei reicht es nicht, verlorene und verlassene Strukturen revitalisieren zu wollen, Nachhaltigkeit ist nicht schlicht zu übersetzen mit „Bewahrung“. Nachhaltigkeit fordert einen kreativen Umgang mit (sich wandelnden) Bedürfnissen und Möglichkeiten.
Den besonderen, Nachhaltigkeit über ökologische Anforderungen erweiternden Anspruch bringt allerdings noch stärker die Rede von der Schöpfungspartnerschaft zum Ausdruck. Der Katholische Deutsche Frauenbund hat sich als erster entschieden, Nachhaltigkeit mit Schöpfungspartnerschaft zu übersetzen und damit den biblischen Schöpfungsauftrag bewusst zum Ausgangspunkt seiner Anstrengungen zur Agenda 21 genommen. Schöpfungspartnerschaft versteht sich nicht als Partnerschaft mit der Schöpfung, sondern als Partnerschaft für die Schöpfung.

Dabei ist eine doppelte Partnerschaft gemeint:

Die Partnerschaft der Menschen mit Gott: Der Mensch ist geschaffen als Partner Gottes bei der Vollendung seines Schöpfungsplans – befähigt, in Freiheit die Menschheitsgeschichte ans Ziel zu führen. In Freiheit, aber gebunden an ein Treueversprechen: „Wenn die Menschen die Erde plündern, die Natur zerstören, kündigen sie diese Schöpfungspartnerschaft.“ (Handeln für die Zukunft der Schöpfung, Rdnr. 81).

Die Partnerschaft von Mann und Frau in der Verantwortung für die Schöpfung: Mann und Frau sind gleichermaßen berufen, die Erde zu gestalten und zu schützen. Eine Sozialethik der Schöpfungspartnerschaft ist getragen von der Hoffnung, dass die Einbeziehung weiblicher Erfahrungen bei der Formulierung ethischer Leitbilder ebenso wie bei der Festlegung wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und umweltpolitischer Prioritäten zu günstigeren, zukunftsfähigeren Ergebnissen führen wird. Sie ist eine Sozialethik, die die Voraussetzungen nachhaltiger Entwicklung in ihrer Vielfalt in den Blick nimmt und dabei gerade auch den Lebensbedingungen von Familien als Schlüsselfaktor tragfähigen Lebens und Wirtschaftens eine besondere Beachtung schenkt.

Christen und Christinnen haben – wenn sie aus dem Glauben heraus Nachhaltigkeit als Schöpfungspartnerschaft leben – die Chance, gegen alle Zweifler das 21. Jahrhundert doch zu dem zu machen, was in Rio vereinbart wurde und dabei das „Prinzip Nachhaltigkeit“ weltweit zu einem „Prinzip Hoffnung“ werden zu lassen.

Eva Welskop-Deffaa