Die Einladung steht

Die Bedenken von jungen Familien, sich in einem Familienkreis zu engagieren, haben viele gute Gründe. Es lohnt sich aber, sie zu überwinden.

„Wir haben auch an Sie gedacht“

„Kein Anschluss unter dieser Nummer!“ Diese Ansage kennen Sie: Da wollten Sie jemanden anrufen, um eine Auskunft, einen Tipp, einen Rat bit­ten. Oder einfach nach langer Zeit wieder Kontakt aufnehmen mit einer alten Freundin oder einem früheren Arbeitskollegen. Und dann diese enttäuschende Rückmeldung: „Kein Anschluss…“ Die Verbindung kann nicht (wieder) hergestellt werden, die Kontaktaufnahme ist vorerst gescheitert. Vielleicht starten Sie noch einen zweiten oder dritten Versuch – wenn überhaupt…

Wahrscheinlich kennen Sie auch diese Situation: Sie ziehen um mitsamt Ihrer Familie. Verlassen die vertraute Heimat, lassen Eltern, Freunde und Bekannte zurück, lassen viele Beziehungen, Kontakte, Begegnungen hinter sich. Und lassen sich ein auf eine „fremde“ Welt, auf völlig neue Menschen, auf weithin noch unbekannte Traditionen und ungeschriebene Gesetze. Und haben dabei, zumindest anfänglich, das Gefühl: „Hier findest du keinen Anschluss unter diesen Menschen.“

Aber dann, zu Ihrer Überraschung, spricht jemand Sie persönlich an. Im Kindergarten, auf der Elternversammlung in der Schule, auf dem Pfarrfest, nach dem Familiengottesdienst oder einfach auf der Straße: „Haben Sie nicht Lust, bei uns mitzumachen?!“ Oder Sie erhalten einen Anruf: „Wir möchten uns mit anderen Familien treffen und haben dabei auch an Sie gedacht.“ Ein erster Kontakt hat sich ergeben, ein (vorläufiger) Anschluss ist hergestellt. Die Einladung der Gemeinde steht. Eine kurze Bedenkzeit ist eingeräumt.
Und die Bedenken nutzen die Zeit.
Ein Familienkreis? Noch nie davon gehört. Bei uns zu Hause gab’s so etwas nicht.

Ein Familienkreis? - Was ist das überhaupt?

Leichter lässt sich zunächst sagen, was Famili­enkreise nicht sein wollen: kein Verein mit Vorstand, Satzung, Beitrag und Wahlen, kein Arbeitskreis oder Fachausschuss mit vorgegebenen Aufträgen, Funktionen, Leistungen, kein Debattierclub mit langatmigen Ausführungen und unnützen Diskussionen, keine unverbindlichen Gelegenheitstreffs nach dem Lust- und Laune-Prinzip. Das alles wollen Familienkreise auf keinen Fall sein.
Sondern: Familienkreise sind informelle Gruppen ohne fest gefügte Strukturen, aber mit einer klaren, gemeinsam verabredeten Verbindlichkeit. Sie treffen sich regelmäßig, in der Regel monatlich, um miteinander über alles zu sprechen, was sie interessiert. Daneben kann vieles passieren, was sich aus diesen Treffen ergibt und wozu die Beteiligten Lust haben: gemeinsame Unternehmungen mit den Kindern, Teilnahme an Bildungswochenenden für Familien, gemeinsame Feiern… Was er tun und was er lassen will, entscheidet jeder Kreis für sich; es gibt kein Programm von außen, das abgearbeitet werden müsste.

Was wird da eigentlich von uns erwartet?

Wer Anschluss herstellen will, muss „Wackelkontakte“ vermeiden. Deswegen verlangen Familienkreise, bei aller Distanz zu Formalitäten, doch bestimmte Verbindlichkeiten und Vereinbarungen. Als da wären: die Zeit, sich regelmäßig zu treffen und möglichst keinen Termin zu schwänzen, die Lust, sich mit anderen auszutauschen (nicht nur über das Wetter), die Freude am gemeinsamen Grillen, Feiern, Beisammensein und an Unternehmungen mit den Kindern, die Bereitschaft, sich hin und wieder für die Vorbereitung solcher Aktivitäten zu engagieren, vielleicht auch die eigene Wohnung dafür zu öffnen.

Wie privat und intim geht es dabei zu?

Familienkreise unterhalten sich über vieles: Urlaubsziele. Die schlechte (Schul-) Busverbindung in die City. Erziehungsprobleme. Gott, den Papst und den Pastor. Müllers Scheidung. Themen, die auch schon mal das Eingemachte berühren: Darf ich, soll ich, kann ich den anderen eingestehen, dass mir auch schon mal „die Hand ausrutscht“? Dass ich Frau Müller manchmal beneide, die ihrem Mann den Laufpass gegeben hat? Dass ich regelmäßig zur Beichte gehe?

Bei den ersten Treffen eines Familienkreises werden die meisten Beteiligten vermutlich zögern, sich so zu entblößen. Nach einem oder zwei Jahren sieht das vielleicht anders aus. Bis dahin haben sie womöglich Schrittchen für Schrittchen entdeckt: Je offener und ehrlicher wir miteinander reden, desto mehr haben wir auch davon.
Und vor allem: Wir können einander vertrauen. Was wir im Familienkreis erzählen, ist genauso sicher aufgehoben wie im Beichtstuhl.

Noch ein Termin…

Es stimmt schon: Die Gründung von Familienkreisen fällt bevorzugt in die Aufbauphase von Familien, in der auch alle möglichen anderen Aufgaben anstehen. Die Kinder sind gerade auf der Welt und binden (noch) sehr viel Zeit, möglicherweise steht sogar wegen der neuen Aufgaben in der Familie auch eine berufliche Neuorientierung an. Das Zeit- und Kräftebudget gerade bei jungen Familien ist deshalb begrenzt. Beruf, Familie, Kindergarten, Haushalt, ehrenamtliches Engagement – Ansprüche von allen Seiten, und das alles am liebsten jetzt und sofort. Fachleute sagen: Die junge Familie steckt in einer „Parallelitätsfalle“; mehr oder weniger alle Lebensprojekte wollen jetzt in Angriff genommen und verwirklicht werden. Bei vielen geht ohnehin schon fast nichts mehr – und jetzt auch noch weitere Termine für einen Familienkreis?

Andererseits…

So ein Familienkreis könnte uns vielleicht ja auch etwas bringen:

  • neue Menschen in ähnlichen Lebenssituationen
  • neue Einsichten in Lebenszusammenhänge
  • neue Ansichten zu Fragen der Erziehung
  • neue Impulse zur konkreten Lebensgestaltung
  • neue Zugänge zu Fragen von Ethik, Lebenssinn und Glaube
  • neue Anregungen zur Gestaltung von Fest und Feier
  • neue Entlastungen im konkreten Lebens- und Familienalltag
  • neue Freundschaften und Bekanntschaften
  • neue Anschlüsse an Gemeinde und Kirche
  • neue Stärkung und Ermutigung für die ganze Familie

Die Erfahrungen von Familien, die den Anschluss hergestellt haben, können „Newcomer“ jedenfalls ermutigen:

„Als wir hörten: Wir treffen uns alle vier bis sechs Wochen, haben wir erst absagen wollen. Wir haben ja so schon kaum mehr Zeit für uns als Familie. Und dann noch so viele zusätzliche Termine im Jahr. Aber rückblickend können wir sagen: Unser Familienkreis ist eher eine Entlastung für uns, ja eine große Hilfe – gerade auch was die alltäglichen Dinge des Lebens betrifft.“

„Wir schätzen ganz besonders die gewachsene Vertrautheit und den intensiven Erfahrungs- und Gedankenaustausch unseres Kreises. Das stärkt uns und ermutigt uns, unseren Weg als (christliche) Familie zu gehen. Der Familienkreis ist der einzige Ort, wo wir offen über Sinn- und Glaubensfragen sprechen können.“

„Wir hatten damals große Bedenken, die Einladung der Gemeinde anzunehmen. Ehrlich gesagt: Die Skepsis war riesengroß. Aber dann siegte doch die Neugier, und wir sind einfach mal hingegangen. Ein Versuch war es allemal wert. Wir haben diesen Schritt nie bereut. Heute freuen wir uns auf jedes Treffen.“

Warum Familien Anschluss brauchen

Familie allein leben? Das geht nicht (mehr). Das Leben von Familien war in den vergangenen Jahrzehnten gewaltigen und rasanten Veränderungen, ja Umbrüchen ausgesetzt. Eine gewandelte Arbeitswelt, die Gefährdung von Arbeitsplätzen und Arbeitslosigkeit, die geforderte Mobilität und Flexibilität in der „globalisierten“ Gesellschaft, veränderte Rollen- und Verhaltensmuster der Geschlechter, die Zunahme von Trennung und Scheidung, Probleme mit der Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft, Verunsicherung in der Erziehung, moderne, oft „anonyme“ Wohnlandschaften – das sind nur einige Stichwörter für eine Entwicklung, die Familien zunehmend unter Druck setzt.
Die herkömmliche Familie hat ihre Monopolstellung weithin verloren; stattdessen blüht heute eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebens- und Familienformen. Es gibt Alternativen wie nie zuvor, aber die neu gewonnenen Freiheiten und Freiräume fordern auch immer wieder zu ganz persönlichen Entscheidungen heraus. Wenn Familie heute eine Zukunft haben will, muss sie sich als „Mehr-Wert“ für das Leben erweisen! Und Kinder müssen be-reich-ern, statt „Armutsrisiko“ zu sein.
Zumal die christlichen Familien leben heute in einer sich zusehends verschärfenden Diasporasituation. Sie leben buchstäblich in der „Vereinzelung“. Mit ihrem christlich-religiösen Lebensprojekt (oder auf der Suche danach) finden sie zunehmend weniger Gleichgesinnte. Vor allem Kinder und Jugendliche stehen als Christen oft ganz alleine da und unterliegen einem enormen Rechtfertigungsdruck in ihren Cliquen. Eine Familie allein kann diese Herausforderungen kaum bewältigen. Sie braucht mehr denn je Freunde, Gruppen, Gemeinschaft, Geselligkeit. Diese „Gemeinwesen“ stehen für Gemeinsamkeit, für kommunikative Nähe, gegenseitige Hilfe und Stütze sowie praktizierte Solidarität im konkreten Alltag.