Vom Mädchen zur Frau –„und alles fließt“

Kaum eine andere Lebensphase ist mit derart großen Gefühlsschwankungen bei allen Beteiligten verbunden wie die Pubertät.

Eine Welt zwischen den Welten

Unter Pubertät versteht man/frau im Allgemeinen die körperlichen Reifungsvorgänge, die den Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter kennzeichnen. In Mitteleuropa beginnt bei den Mädchen diese Lebensphase zwischen dem 8. und 14. (bei den Jungen übrigens etwas später, also zwischen dem 10. und 16.) Lebensjahr und dauert etwa vier Jahre, wobei es große individuelle Unterschiede gibt.

Die Mädchen werden mit ganz neuen Körpererfahrungen konfrontiert, die mit manchen, auch  unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden sind. Das Wachsen der Brust, mit Stolz beobachtet, wird plötzlich von der männlichen Umgebung als erotisches Signal wahrgenommen und kommentiert, nicht immer nur freundlich. Auch die regelmäßige Wiederkehr der einsetzenden Blutung konfrontiert die Mädchen mit Fragen wie „Tampon ja oder nein?“, was nicht unbedingt Begeisterungsstürme auslöst. Die „Vertreibung“ aus der Welt der Kindheit hat begonnen.

Nicht mehr Kind noch nicht Frau, eine Welt zwischen den Welten, und so ist manche Gefühls- und Stimmungsschwankung durchaus verständlich, wenn auch nicht unbedingt besser zu ertragen für die mit betroffene Familie und Umgebung.

Der Körper verändert sich

Die körperlichen Veränderungen folgen einem relativ festen zeitlichen Schema. Zuerst sprießen die Schamhaare, dann folgen die Achselbehaarung und die Entwicklung der Brust. Erst entstehen die Drüsenkörper, dann bilden sich die Brustwarzen heraus.
Zum Leidwesen nicht weniger Mädchen, aber auch Frauen, lässt sich die Form der Brust weder durch Ernährung noch durch BHs beeinflussen. Hier schlagen genetische, also Erbfaktoren, voll durch.
Etwa zwei Jahre nach den einsetzenden körperlichen Veränderungen tritt die erste Blutung (Menarche) auf. Dann sind die Mädchen in der Regel gerade über die 10 Jahresgrenze. Die erste Blutung kündet sich in der Regel Wochen, manchmal sogar Monate vorher durch den so genannten Weißfluss an.
Der Weißfluss ist ein weißliches Sekret, das am Scheideneingang beobachtet wird und anzeigt, dass sich jetzt die Eierstöcke auf ihre Fortpflanzungsfunktion besinnen.

Der Weißfluss fällt meistens eher den Müttern beim Wäschewaschen als den Mädchen selber auf. Er liegt im Schritt dem Slip auf und unterscheidet sich von krankhaftem Ausfluss dadurch, dass er nicht riecht. Mütter, die um die Bedeutung dieses Phänomens wissen und es beobachten, können das zum Anlass nehmen, mit ihren Töchtern über die bald zu erwartende Blutung ins Gespräch zu kommen, die anstehenden zu klären und mögliche Befürchtungen abzubauen.

Die erste Blutung (Menarche)

Viele Mädchen erwarten die erste Blutung etwas zwiespältig. Zum einen sind sie gespannt und aufgeregt, wissen sie in aller Regel doch, dass sie jetzt Frau werden. Zum anderen aber sehen sie die Begleiterscheinungen wie Tampons, Vorlagen, mögliche Bauchschmerzen und alles andere, was sie von der Mutter, der älteren Schwester oder auch durch Freundinnen kennen, etwas skeptisch. Hier zeigt sich, dass je natürlicher und unbefangener mit diesem Thema umgegangen wird und je offener die Mütter sich den Fragen stellen, umso komplikationsloser steigen die Mädchen in ihre „Karriere“ als Frau ein.

Die erste Blutung wird von jedem Mädchen etwas anders erlebt. Manche haben erst leichte Blutungen und können sich so richtig auf das Thema „einstimmen“. Andere werden beim Sport oder unterwegs davon überrascht, erleben heftige Blutungen oder starke Unterleibskrämpfe und könnten im Moment gut darauf verzichten. Diejenigen Mädchen, die erfahren, dass eigentlich in dieser Phase fast alles normal ist und sich die Blutung nach einigen Monaten bei nahezu allen Mädchen auf einen Rhythmus einpendelt, lernen, sich darauf einzustellen und „ganz normal“ damit umzugehen.

Zyklusbeobachtung für Anfängerinnen

Manchen Mädchen macht es Freude über einige Wochen oder Monate ihren Körper intensiver zu beobachten und festzustellen, in welchen Abständen die Blutung kommt, ob schon ein Eisprung stattfindet und wie sich die individuellen Lebensumstände auf den Zyklus auswirken. Meist klappt das auch ganz gut, vor allem dann, wenn die „kindliche“ Neugier und Entdeckerfreude der Motor des Ganzen sind.

Auch, wenn ein Zyklusblatt viele Beobachtungen und Eintragungen ermöglicht, so sollten kein Druck aufgebaut werden. Für die Feststellung des Eisprungs reicht schon die regelmäßige Temperaturbeobachtung und wenn ein Mädchen erst mal nur wissen möchte, ob es schon Zervixschleim beobachten kann, reicht es durchaus, sich zunächst auf diese Beobachtung zu beschränken. Bei ausreichender Neugier kommt der Rest von allein.

Die un-regel-mäßige Regel

Nichts ist so beständig wie die Mär von der Regelmäßigkeit der Regel. Selbstverständlich pendelt sich bei jeder Frau um Laufe der Jahre ein ihr eigener Rhythmus ein, der irgendwo zwischen 25 und 35 Tagen liegt; doch Frauen mit Zyklen, die über Jahre konstant 28 Tage lang sind, zählen eher zur Ausnahme.
In den ersten Jahren nach der Menarche sind die Zyklen häufig noch instabil, oft dauert es bis zu eineinhalb Jahren bis zum ersten Mal ein Eisprung auftritt.
Es gibt allerdings auch die Situation, dass schon vor der ersten Blutung ein Eisprung stattfindet und gelegentlich füllen diese Ereignisse auch die Spalten der Tagespresse, nämlich immer dann, wenn ein junges Mädchen schwanger geworden ist ohne jemals zuvor geblutet zu haben.
Auch die Gelbkörperphasen sind häufiger noch verkürzt und die Eireifungsphasen verlängert. Dieses Phänomen kann noch relativ lange anhalten, manchmal sogar bis zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts. Hier sieht man immer wieder, dass Mädchen, aber auch Mütter in der Erwartung des 28 Tagezyklus auf eine Regulierung des Zyklus mittels der Pille dringen anstatt dem Leben Raum und Zeit zu geben und darauf zu vertrauen, dass der Körper von selbst seinen eigenen Rhythmus findet.

Die Sache mit der Verhütung

Noch vor gut 100 Jahren waren die Mädchen beim Eintreten der Menarche etwa 16 Jahre alt und bei der Geburt ihres ersten Kindes um die 20. Mit anderen Worten: nach Einsetzen des Zyklus und Eintritt ins fortpflanzungsfähige Alter galt es in aller Regel gerade mal vier Jahre zu „überbrücken“. Heute sind die Mädchen bei der Menarche etwa 12 Jahre alt und die Erstgebärenden im Durchschnitt zwischen 30 und 32 Jahren; da geht es plötzlich um eine Zeitspanne von rund 20 Jahren. Keine einfache Aufgabe.

Trotzdem, wer meint beim Auftreten der ersten Blutung die Mädchen direkt zum Frauenarzt bringen und „verhütungsmäßig“ absichern zu müssen, tut weder sich noch den Mädchen einen Gefallen. Denn die Fokussierung dieses so wichtigen Ereignisses wie die erste Blutung auf Geschlechtsverkehr und Vermeidung einer Schwangerschaft nimmt den Mädchen die Möglichkeit und den Raum, erst mal zu sich selbst zu finden, die körperlichen Veränderungen und beginnende Fruchtbarkeit anzunehmen und ihre ureigensten Lebensperspektiven zu entwickeln. Das bedeutet nicht, dass alle zur Verfügung stehenden Informationen den Mädchen vorenthalten werden sollten. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Schließlich geht es darum, dass die Heranwachsenden sich in dieser Welt zurecht finden, lernen mit Informationen kritisch umzugehen, den eigenen Standpunkt, die eigenen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln und in dieser Phase der Ablösung und Verselbständigung sich auf die Werte zu stützen und zu besinnen, die ihre Eltern ihnen mit auf den Weg gegeben haben.
Dass dabei Opposition gegen die Vorstellungen und Ideen der Eltern auf der Tagesordnung steht, versteht sich von selbst; denn: wer einen eigenen Standpunkt entwickeln will, muss sich frei machen von den Erwartungen und Wünschen der anderen (auch von denen der Eltern), die vorhandenen Erkenntnisse und Informationen auswerten, die eigene Position klären, in der Auseinandersetzung mit anderen schärfen, um sie dann formulieren und vertreten zu können.

Wer das gelernt hat, kann sich dann auch gegen Übergriffe wehren - und dabei geht es nicht nur um Missbrauch. Viele Mädchen tun sich schwer, Jungen gegenüber zu vertreten, dass für sie Geschlechtsverkehr in diesen frühen Jahren nicht oberste Priorität hat, sondern das Ausprobieren der eigenen Reize, das Flirten, Schmusen und Kuscheln einen breiten Raum einnimmt.

Die Pubertät klopft an, was tun?

„Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden“ so der Titel eines Buches, der die Perspektive der Heranwachsenden treffend beschreibt. Eltern, bis dahin wohlwollend als diejenigen, die fast alles wissen, wahrgenommen, geraten nun ins Kreuzfeuer der Kritik und erfahren nicht mehr dieses bedingungslose Wohlwollen ihrer Sprösslinge. Auf der einen Seite als Gesprächs- und Ansprechpartner von den Pubertierenden gesucht und erwünscht, auf der anderen Seite diejenigen, die die größte Reibungsfläche bieten. Gar nicht so einfach, da die richtigen Worte und Gesten und vor allem auch den eigenen Weg im Umgang mit den Sprösslingen zu finden.

Manche Mütter und Väter beginnen mit dem Studium von Aufklärungsheften und –Büchern, andere besuchen Vorträge und Seminare oder verlassen sich darauf, dass jetzt in der Schule diese Themen besprochen werden und wieder andere machen sich auf die Suche nach Initiations-Ritualen und beleihen dabei gelegentlich auch andere Kulturkreise.

Egal, was die Eltern tun, meist ist es vor allem Ausdruck der eigenen Ratlosigkeit und manchmal auch der verspätete Versuch, die eigenen Erfahrungen in dieser Phase zum Berater beim Umgang mit den eigenen Kindern zu machen. Doch so einmalig wie die Menschen so einmalig auch die Gelegenheiten, die das einzelne Mädchen seinen Eltern oder Erziehern bietet. Nicht eine epidemiologische Betrachtungsweise ist gefragt, sondern eine Begleitung, die sich am Entwicklungsstand und an den Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Mädchens orientiert. Und das kann sehr unterschiedlich ausfallen.

Entscheidend ist nur, dass beide Elternteile sich in dieser Phase den Entwicklungsaufgaben stellen, nicht nur weil Gleichstellung und Aufgabenteilung heute ein Thema auch in der Politik ist, sondern auch, damit die Mädchen die unterschiedliche Sicht- und  Betrachtungsweisen von Frauen und Männern kennen- und damit umgehen lernen und in der Auseinandersetzung mit dem männlichen Gegenüber ihr eigenes Geschlecht und ihre eigenen Erwartungen definieren lernen.

Aktuelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass in den ersten zehn Lebensjahren Mädchen wie Jungen überwiegend von Frauen betreut werden. Das fängt in der Familie an und setzt sich im Kindergarten und in der Schule fort. Hier sind die Männer gefragt, in diese weibliche Domänen „einzubrechen“, und die Frauen, Platz zu schaffen, für den Dialog mit dem anderen Geschlecht.

Dr. Ursula Sottong

Quelle: NFP-Journal