Mein Konto, dein Konto, unser Konto

Von Selbstverständnissen, Arrangements und heimlichen Erbschaften: Wie Paare ihre Geld-Dinge regeln, gibt Aufschluss über die Qualität ihrer Partnerschaft.

Beim Kramen in alten Kindersachen fiel es mir kürzlich wieder in die Hände: schmuddelig orange, mit einem angegilbten Etikett —mein »Kontobuch«.
Angerührt schlug ich das »Oktavheftchen« auf und las Links die Einnahmen: »Taschengeld April 5 Mark«, »für 2 in Mathearbeit 1 Mark«, »Mamis Schuhe Putzen 10 Pfg«, »Kohlenraufholen für Frl. Gonnermann 50 Pfg«. Rechts die Ausgaben: »Kino Trapp-Familie 2 Mark«, »2 Lakritzschnecken 10 Pfg«, »Brausewürfel: 5 Pfg«, »Geschenk für Oma 2,45 Mark«.

Buchführung mit Brausewürfeln

Je weiter ich blätterte, desto deutlicher verdrängten Gefühle von Wut und Kränkung die erste Rührung. Ich hörte wieder die verhasste Ankündigung meines Vaters: »Morgen werden die Kontobücher überprüft.« Die hektische Betriebsamkeit fiel mir wieder ein, mit der mein Bruder und ich Ein- und Ausgaben nachträglich dem vorzuweisenden Guthaben anpassten — heimlich, versteht sich, weil regelmäßige Buchführung gefordert war, bei Unstimmigkeiten Abzüge drohten und auf der Ausgabenseite größtmögliche Enthaltsamkeit erwartet wurde. »Wenn ich erwachsen bin, werde ich nie ein Kontobuch führen«, hatte ich mir damals geschworen. Diesen Vorsatz habe ich gehalten — und selbstverständlich auch meinen Kindern nie eine solche Buchhaltung abverlangt.
Aber warum hat mich dieses Kontobuch so nachhaltig beeinflusst, dass es selbst heute noch so starke Gefühle auslösen kann?
Der Umgang mit dem Kontobuch, so wie er in meinem Elternhaus praktiziert wurde, enthält mehrere, zum teil widersprüchliche Botschaften. Vordergründig diente es als eine Form von Geld-Erziehung, die sich an puritanischen Spar-Idealen orientierte — durchaus erfolgreich übrigens: Ich habe ein gutes Finanzmanagement und eine gute Budgetverwaltung gelernt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille; neben der faktischen gab es auch eine symbolische Bedeutung.

Die verschleierte Seite des Geldes

Begriffe wie »Geld«, »Finanzen«, »Budget« verbreiten einen Anschein von Rationalität, Objektivität und Exaktheit, der diese subjektiven, irrationalen und verwirrenden Hintergründe verschleiert. »Wenn du fürs Rauchen Geld ausgeben kannst, hast du wahrscheinlich zu viel davon.« Oder: »Ich möchte dir gerne Geld zum Geburtstag schenken, aber nur, wenn du dir endlich eine vernünftige Nähmaschine dafür kaufst.« Solche Sätze klingeln mir heute noch in den Ohren. In beiden Fällen hörte und verstand ich die unterschwellige Botschaft. Geldgebaren und finanzielle Transaktionen sind Tauschgeschäfte; sie spiegeln Verteilungskonflikte wider und sagen viel aus über die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen. Geld dient oft als Unterdrückungs-, Macht- und Kontrollmittel über Verhaltens- und Lebensstile. Mit Geld wird belohnt und bestraft. Finanzielle Transfers können Wertschätzung und Vertrauen, aber auch Abwertung und Misstrauen ausdrücken. Dies gilt nicht nur im Arbeitsleben, sondern gerade auch für Eltern-Kind- und für Partnerbeziehungen. Etwa bei der finanziellen Unterstützung von erwachsenen Kindern durch ihre Eltern: Sie dient zwar einerseits, wie eine Untersuchung an der Universität Konstanz zeigte, der Sicherung des Lebensunterhalts und der Verwirklichung von Plänen; gleichzeitig bewerten und »bestrafen« die »Alten« damit jedoch auch die Beziehungen und Lebensstile der »Jungen«. Eine wichtige Rolle spielen dabei die finanziellen Möglichkeiten. Sind sie eng und beschränkt, legen die Eltern offensichtlich größeren Wert darauf, dass ihre Kinder sich die Zuwendungen »verdienen«, sprich: durch Leistung erarbeiten. Erst bei größerer finanzieller Unabhängigkeit wächst die Bereitschaft zum solidarischen »Teilen«.

Gelderziehung

Für die Gelderziehung bedeutet das zweierlei: Natürlich muss es darum gehen, Wissen über ökonomische Zusammenhänge zu erwerben und konkretes Finanzmanagement zu erlernen — gerade auch angesichts zunehmend unkonkreter werdender Geldformen. Ebenso wichtig ist es jedoch, auf den Symbolcharakter von Geld aufmerksam zu machen und zu helfen, die unbewussten Hintergründe, Tabus, Geheimnisse, Fantasien und Mythen wahrzunehmen.

Die Dynamik des Geldes entfaltet sich in dem intimen Beziehungssystem »Familie« auf mehreren Ebenen: zwischen den Eheleuten, zwischen den Eltern und den Kindern, zwischen der Kern-Familie und der weiteren Verwandtschaft. Dazu kommt, dass die einzelnen Mitglieder dieses Systems sich in unterschiedlichen, sich ständig verändernden Lebens- und Entwicklungsphasen befinden. Das heißt: Auch ihre Ressourcen, ihr Wissen, ihre Einstellungen und Kompetenzen im Umgang mit ökonomischen Gegebenheiten und Zusammenhängen ändern sich ständig. Die Frage von finanziellen Möglichkeiten und Abhängigkeiten stellt sich im Laufe der familiären Entwicklung immer wieder neu; Zuständigkeiten und Verfügungsgewalten müssen ein ums andere Mal neu ausgehandelt werden. Eine junge Familie mit Kleinstkindern ist hinsichtlich ihrer monetären Kompetenz anders gefordert als eine Familie mit Grundschulkindern und die wiederum anders als eine mit jungen Erwachsenen, deren Ausbildung finanziert werden muss. Erst recht kompliziert wird die Herstellung der angestrebten Verteilungsgerechtigkeit, wenn die Ansprüche der einzelnen Familienmitglieder in Stief- und Patchworkfamilien aufeinander treffen.

Geheimnisse um Gelddinge

Die hohe symbolische Bedeutung der Gelddinge beweisen nicht zuletzt typische Familiengeheimnisse, die sich darum entwickeln. Sie reichen von verheimlichten Einkünften, Transfers, Verlusten, Schulden, Testamenten und Erbschaften bis hin zu Erpressungen »unter Brüdern« und ungesetzlichen finanziellen Machenschaften. Dabei können verschiedene Familienmitglieder (oder Teil- Familien) solchen Geheimnissen ganz unterschiedliche Bedeutungen beimessen. Zum Beispiel verschweigt der überschuldete Ehemann seine finanzielle Lage womöglich, um seine Familie »zu schonen«; seine Frau und seine Kinder könnten sein Schweigen dagegen als Betrugsabsicht empfinden. Familientherapeuten wissen, dass solche Geheimnisse die innerfamiliale Kommunikation erheblich beeinflussen und oft zu scheinbar unerklärlichen Symptomen bei den Beteiligten führen.
Zu besonderen Spannungen kann die subjektive Seite des Geldes führen, wenn zwei Menschen heiraten. Dann treffen zwei »Geldbiographien« aufeinander; zwei Familientraditionen mit unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründen, Normen, Werten, Spielregeln, Geld-Erfahrungen und Ansichten über den »Wert« von Geld müssen aufeinander abgestimmt und ausbalanciert werden. Dabei geht es nicht nur um das praktische Finanzmanagement, sondern auch um symbolische Bedürfnisse.

Er sorgt fürs Geld – sie für die Liebe

Eine wichtige Rolle spielen dabei auch geschlechtsspezifische Erfahrungswerte im Umgang mit Geld; sie sind weder Männern noch Frauen unbedingt bewusst, beeinflussen ihr Verhalten aber erheblich. Zwar verbinden junge Erwachsene beiderlei Geschlechts Geld grundsätzlich mit »Prestige« und »Macht«. Doch fühlen sich Männer für Geld-Dinge eher zuständig und kompetent; Frauen dagegen werden eher dazu erzogen, eine Polarität zu konstruieren zwischen ihrer Sehnsucht nach einer so genannten »weiblichen« Lebensqualität, die für Wärme, persönliche Beziehungen, Kommunikation steht, und ihrer Angst vor der kalten, unpersönlichen, abstrakten, berechnenden »männlichen« Welt des Geldes (wie Roswita Königswieser in ihrem Buch »Aschenputtels Portemonnaie« gezeigt hat). »Mit Zahlen hab ich's nie gehabt«: So begründen Frauen oft ihre Unkenntnis in finanziellen Dingen und neigen deshalb dazu, sich als ökonomisch abhängig von ihren Männern zu definieren. Umgekehrt gestehen Männer gerne zu, dass Kompetenz in Gefühlsfragen und intimen Beziehungen nicht unbedingt »ihr Ding« ist, und sehen sich tendenziell als emotional abhängig von ihren Frauen. Aus dieser Sicht erscheint eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau als Tauschgeschäft: »Geld für Liebe«.
Diese Einstellungen spiegeln sich in traditionellen ehelichen Beziehungs-Arrangements. Der Mann bezieht seine Identität zu einem großen Teil aus seiner beruflichen Arbeit und dem Gegenwert, den er in Form von Geld dafür erhält; das verleiht ihm in der ehelichen Beziehung Macht und Einfluss. Dieses »ehemännliche« Selbstverständnis geht ganz unproblematisch mit dem Selbstverständnis einer Ehefrau einher, die ihre Identität vorwiegend aus ihren sozialen Beziehungen ableitet und die damit gegebene finanzielle Abhängigkeit akzeptiert. Zwar hat Geld gerade auch für das Bedürfnis von Frauen nach materieller Sicherheit einen großen Stellenwert hat; doch in ihrem Erleben kommt die zentrale Beziehung zum Partner einer Garantie für materielle Sicherung gleich.

Nur-Hausfrau und Finanzminister

In der praktischen Zuständigkeit für das Geld in der Familie schlägt sich das allerdings nicht eindeutig nieder. So führen Untersuchungen einerseits zahlreiche Beispiele von Frauen an, die Geld als Mittel der Demütigung erfahren haben: Sie wussten lange Zeit nicht, wie viel ihr Mann verdient, bekamen ein extrem knappes Haushaltsgeld, jeweils wöchentlich, vom Mann ausbezahlt, der seinerseits alle Geldgeschäfte wie Konten, Versicherungen und Anlagen verwaltete, konkrete Angaben darüber aber vermied und immer nur andeutete, dass nicht viel Geld da sei. Andererseits gibt es daneben jedoch zahlreiche Beispiele von Ehefrauen, auch und gerade von »Nur-Hausfrauen«, die als »Finanzminister« in der Beziehung das Geld mehr oder weniger allein verwalten. Allerdings finden sich solche Arrangements häufiger in Beziehungen, bei denen nicht viel Geld zur Verfügung steht. Dann geben Männer diese Aufgabe gar nicht so ungern an ihre Frauen ab, die den Mangel kreativ bewältigen sollen. Die Frauen selbst erleben das nicht unbedingt als Kompetenz- und Autonomiegewinn; sie fühlen sich angesichts der schwierigen finanziellen Verhältnisse eher überfordert und als »Versagerinnen«. Die »Schuld« daran schreiben sie also nicht den äußeren Umständen, sondern eher ihrem eigenen Unvermögen zu.

Je mehr Zwei-Verdiener-Haushalte zum »Normalfall« werden, desto mehr dürften Paare in Zukunft den Umgang mit Geld in einer anderen Art und Komplexität regeln als klassisch arbeitsteilige Ehepartner. Das bedeutet nicht automatisch »problemloser«; einer amerikanischen Studie zufolge führen gleiche finanzielle Ressourcen und ein autonomes Finanzmanagement der Partner sogar eher dazu, dass Beziehungen scheitern. Den Grund dafür sehen die Autoren vor allem in dem Unbehagen und den Schwierigkeiten der Männer, mit dieser Situation umzugehen; Macht über die Finanzen sei ein so tief verwurzelter und integrierter Bestandteil männlichen Selbstwertgefühls, dass neue Arrangements von der Partnerin eine hohe Sensibilität verlangen. Einer anderen (flämischen) Untersuchung zufolge setzen sich die Frauen in Zwei-VerdienerHaushalten bei finanziellen Entscheidungen zwar nicht durch, empfinden das aber als Streitpunkt.

Beziehungsqualität und Geld?

Der gewählte Lebensstil und die damit verbundenen Entscheidungen über Geld und das Finanzmanagement bestimmen die Beziehungsqualität von Ehepartnern im »mittleren« Alter entscheidend, hat Cloé Madanes festgestellt. Gute Beziehungen zeichnen sich durch die Bereitschaft zu teilen und ein gemeinsames Finanzmanagement aus; als problematisch beschreibt sie dagegen eine ganze Reihe von Paarkonstellationen:

  • Paare, die miteinander rivalisieren; sie werfen ihr Geld nicht in einen Topf, sondern schielen eifersüchtig auf das Bankkonto des anderen
  • Paare, die sich in Loyalitätskonflikten zwischen eigenen Ambitionen einerseits und Investitionen in die Laufbahnen ihrer Kinder andererseits befinden
  • Paare, bei denen »altes« Familiengeld die Frage des gemeinsamen oder getrennten Geldes neu aufwirft
  • Paare mit sehr unterschiedlichem Konsumverhalten, bei denen zum Beispiel der eine geizig und der andere extrem großzügig ist

Doppelt reich durch Offenheit

In jedem Fall spiegeln die finanziellen Arrangements von Paaren samt ihren Begründungen zumeist verborgene Erwartungen und Bedürfnisse; sie sind gewissermaßen ein Spiegel der Beziehung. Bei Paarberatungen und -therapien lohnt es sich deshalb oft, die Muster des Umgangs mit Geld zu beleuchten; darin zeigen sich zentrale Konflikte auf der Beziehungsebene quasi materialisiert. Umgekehrt entspringt ein finanzieller »Missbrauch«, der die gesamte Familie betrifft, oft Beziehungsproblemen; womöglich muss ein Partner auf diese Weise sein Selbstwertgefühl »aufbessern« oder versucht den anderen zu »bestrafen«.

Als Lösung propagieren viele Autoren das Bemühen von Transparenz und Offenheit in Geldfragen. Damit wird nicht nur die monetäre Kompetenz der Beteiligten verbessert, sondern zugleich Klarheit in ihren Beziehungen erreicht. Es lohnt sich also, Fragen zu stellen wie:

  • Welche (versteckte) Bedeutung hat Geld für unsere Familie?
  • Was und wie viel wollen wir haben?
  • Wer braucht wie viel und wofür?
  • Wer schuldet wem was?
  • Wer ist wofür verantwortlich?

Eine weniger verzerrte Wahrnehmung, eine offene Kommunikation und ein klares Denken über Geld verschafft zugleich mehr Klarheit über die persönlichen Beziehungen und gibt eine Chance, so manches wohl gehütete (in)diskrete Geheimnis im familiären Beziehungsnetz entweder zu verstehen oder in seiner möglicherweise unglücklichen Wirkung aufzuheben. So kann Reichtum entstehen- im materiellen und im übertragenen Sinn.

Insa Fooken und Wolfgang Eichler