Das Ende der Paukenschläge
Schuldenberater kümmern sich nicht nur um die Finanzen ihrer Klienten. Denn Familien, die in die roten Zahlen geraten, leiden meist auch seelisch.
Das eigene Scheitern zugeben ist schwer
Für Frau K. beginnt die Woche mit einem Paukenschlag: Ihr ältester Sohn kommt mit der Nachricht nach Hause, dass die Abschluss-Klassenfahrt nach Tirol geht; inklusive Skikurs soll das 390 Euro kosten. Das Auto benötigt eine neue Batterie, die jüngste Tochter neue Sportsachen; mit den Ratenzahlungen für die Küche und das Auto ist die Familie ohnehin schon im Rückstand. Das Geld, das ihr Mann nach längerer Arbeitslosigkeit nun als Elektriker in einem kleinen Betrieb verdient, reicht einfach nicht. Auch ihr Putzjob scheint die verfahrene Finanzsituation nicht retten zu können.
Bekannte, die Frau K. mit dem Geld für die Autobatterie aushelfen, empfehlen ihr eine Schuldnerberatung. Ein Schritt, bei dem viele Ratsuchende eine große Hemmschwelle überwinden müssen; sie haben das Gefühl, endgültig gescheitert zu sein und ihr finanzielles und soziales Scheitern in der Beratung offenbaren zu müssen.
Selbst schuld?
Dabei steht Familie K. mit ihren Problemen bei weitem nicht alleine da; mehr als 3,1 Millionen Haushalte in Deutschland sind überschuldet (laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005). Das heißt: Sie können ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen, ohne das gesetzliche Existenzminimum zu unterschreiten. Für eine vierköpfige Familie liegt diese „Pfändungsfreigrenze“ bei 1.770 Euro.
Selbst schuld? Tatsächlich verlieren oft auch Frauen und Männer, die mit viel Augenmaß an die Aufnahme von Krediten für Konsumgüter (wie Autos, Unterhaltungselektronik oder Möbel) herangehen, durch unerwartete Ereignisse den finanziellen Boden unter den Füßen. Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit, Scheidung, sogar die Gründung einer Familie können die wirtschaftliche Lage nachhaltig verschlechtern, wenn dadurch plötzlich ein Gehalt ausfällt. Der Marsch ins Minus beginnt meist mit einem chronisch überzogenen Girokonto; dann weichen die Betroffenen, weil kein Bargeld zur Verfügung steht, auf Käufe per Ratenzahlung bei einem der zahlreichen Versandhäuser aus. Bald können sie die Kredite nicht mehr abbezahlen, dann fehlt das Geld für die Daueraufträge; Miet- und Stromschulden entstehen. Umschuldungen und Vorschüsse vom Arbeitgeber können zu diesem Zeitpunkt den Verschuldungsprozess oft nur noch hinauszögern, aber nicht mehr aufhalten. Mahnbescheide und Vollstreckungsbescheide flattern ins Haus, der Lohn wird gepfändet – jetzt wächst auch der seelische Druck bei den Betroffenen. Ab diesem Punkt erst finden viele den Weg zur Schuldnerberatung.
Reine Finanzberatung reicht oft nicht aus
Hier steht am Anfang eine Bestandsaufnahme und die Sicherung der Lebensgrundlage. Aber Schuldnerberatung bedeutet weit mehr als eine bloße finanzielle Bestandsaufnahme; auch die Klärung der psychosozialen Lebenssituation der Überschuldeten spielt eine wichtige Rolle. Durch die desolate wirtschaftliche Situation leiden Partnerschaft und Familienleben – besonders die Kinder sind davon betroffen. Sehr oft geht eine Schuldenkarriere auch mit psychischen Problemen einher, Erkrankungen und Sucht. Eine reine Finanzberatung könnte dem nicht abhelfen.
Auch bei Familie K. stand zu Beginn der Beratung eine Klärung ihrer Lebenssituation. Es folgten eine detaillierte Schuldenanamnese, eine Prüfung aller Einnahmen und Ausgaben und eine kritische Durchsicht aller Ratenvereinbarungen. Die Schuldnerberatung leistete Hilfe beim Schriftverkehr und übernahm die Verhandlungen mit den Gläubigern. Erfolg: Die Ratenzahlungen für die Küche und für das Auto wurden gestundet und gestreckt; dadurch gewann die Familie wieder finanziellen Spielraum. Einen Teil davon nutzte sie dazu, das überzogene Girokonto sukzessive auszugleichen. Gleichzeitig sprachen die K.s mit ihrem Schuldnerberater darüber, wie sie ähnlichen Problemen in Zukunft vorbeugen könnten. Sie überprüften ihr Kaufverhalten, entwarfen Handlungsmodelle, um mit ihrer Situation besser umgehen zu können, erhielten Informationen über unterschiedliche Finanzdienstleistungen, lernten, bei welchen Krediten Vorsicht geboten ist, und last not least die Führung eines Haushaltsbuches.
Vier Jahre später
Familie K. hat ihre Schulden beglichen; die Schuldnerberatung hatte mit den Gläubigern vereinbart, dass sie auf einen Teil ihrer Forderungen verzichteten und der Familie mit den Ratenzahlungen entgegenkamen. Die K.s führen jetzt regelmäßig Haushaltsbuch und haben in ihre Finanzplanung auch einen Sonderposten für „Unvorhergesehenes“ eingestellt. Gerade steht auch für die jüngere Tochter die Abschluss-Klassenfahrt an – mit ähnlichen Kosten wie bei ihrem Bruder. Doch diesmal beginnt die Woche nicht mit einem Paukenschlag: Dank ihrer längerfristigen Haushaltsplanung gibt es für Familie K. keine unerwarteten und unvorbereiteten Ausgaben mehr.
Roman Schlag