Zurück zur guten Hoffnung

Immer mehr Technik, immer neue Tests: die moderne Medizin will das Kinderkriegen sicherer machen. Leichter wird es dadurch für die Schwangeren nicht, weiß Sylvia Börgens aus ihrer Erfahrung als Hebamme.

Unsicherheit statt „guter Hoffnung“

Eigentlich durften werdende Eltern noch nie so sehr „gu­ter Hoffnung“ sein wie heute. Denn noch nie waren ihre Chancen so groß, nach der Geburt ein gesundes Baby im Arm zu halten. Tatsächlich jedoch klaffen Realität und Erleben weit auseinander. Noch nie fühlten sich so viele werdende Mütter verunsichert. Drei von vier Schwan­geren werden heute als „risikoschwanger“ klassifiziert; im Bemühen, „das Beste für das Baby“ zu wollen, lassen sie lieber keine Vorsorgeuntersuchung aus, die die Me­dizin ihnen anbietet – auch wenn deren Sinn ihnen oft nicht klar wird. Die „gute Hoffnung“ geht darüber verloren.

Die Quelle der Beunruhigung ist oft der Mutterpass, ein an sich sinnvolles Dokument, das alle in der Schwanger­schaft erhobenen Befunde festhält; so können „fremde“ Hebammen und Ärzte sich bei Zwischenfällen oder bei der Geburt rasch einen Überblick verschaffen. Zum Mutterpass gehört auch ein „Risikokatalog“, der alle möglichen Befunde zusammenfasst, die die Gesundheit von Mutter oder Kind gefährden könnten. Nur leider unterscheidet dieser Katalog nicht zwischen ernsten Risiken wie einer Zuckerkrankheit, die tatsächlich eine sorgfältige medizinische Begleitung erfordern, und rein statistisch ermittelten wie dem Alter der Schwangeren unter 18 oder über 35. Bei Frauen, die gesundheitsbe­wusst und fürsorglich für ihr Baby leben, löst sich dieses angebliche Risiko in Wohlgefallen auf.

„Fahndung“ nach Gendefekten

Trotzdem beunruhigt besonders die obere Altersgrenze viele Schwangere. Das hängt auch damit zusammen, dass die Frauenärzte werdende Mütter über 35 auf die Möglichkeit hinweisen müssen, eine Chromoso­menfehlbildung bei ihrem Kind durch eine Fruchtwas­seruntersuchung (Amniozentese) nachzuweisen oder auszuschließen. Dabei geht es vor allem um das Down-Syndrom („Mongolismus“). Dieses Risiko steigt mit dem Alter der Mutter (und des Vaters!) allmählich an. Die „magische Grenze“ 35 ist allerdings eher willkürlich gezogen – sie beruht vor allem darauf, dass das Risiko ei­ner Chromosomenstörung von diesem Alter an höher ist als das Risiko, dass die Fruchtwasseruntersuchung selbst eine Fehlgeburt auslöst. Neuere Untersuchungsmetho­den (wie das „Ersttrimester-Screening“) haben deshalb dazu geführt, dass viele Ärzte die „Fahndung“ nach dem Down-Syndrom praktisch allen Schwangeren unabhän­gig von ihrem Alter anbieten.

Untersuchungen mit Folgen

Frauen, die darüber nachdenken, müssen wissen: Diese Untersuchungen erfassen nur Auffälligkeiten im Chro­mosomensatz des Babys – oder sogar nur die Wahr­scheinlichkeit, dass eine Abweichung vorliegt. Sie sagen nichts darüber aus, wie stark die (mögliche) Chromo­somenstörung das Kind später behindern würde. Und schon gar nicht bieten sie eine „Garantie“ für ein gesun­des Kind, wie Äußerungen von Frauenärzten und popu­läre Medienberichte das oft nahelegen.

Die Befunde bei diesen Untersuchungen führen viele werdende Eltern in schlimme Zerreißproben; das be­stätigt jede psychologische Beraterin in (Universitäts-) Frauenkliniken oder Schwangerschaftsberatungsstellen. Sollen sie, wollen sie dieses Kind trotz seiner (möglichen) Behinderung bekommen oder lieber die Schwanger­schaft abbrechen? Die Vielzahl an Untersuchungen, die die ärztliche Schwangerenvorsorge heute anbietet, kann geradezu zu einem Sog führen: Je mehr man untersucht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, rein zufällig irgendwelche Normabweichungen zu finden, die dann wieder kurzfristig nachkontrolliert werden müssen… Wie oft zum Beispiel müssen Hebammen oder Berate­rinnen alarmierte Schwangere beruhigen, deren Kind laut Ultraschall angeblich zu groß oder zu klein war; in den meisten Fällen hat sich der Befund bei der nächsten Untersuchung erledigt – auch die Kleinen im Mutterleib haben Wachstumsschübe!

Den elementaren Lebensvollzügen vertrauen

Der Wunsch vieler werdender Eltern, „ja nichts zu ver­säumen“, und die Gefahr, dadurch in die Mühlen der vorgeburtlichen Diagnostik zu geraten, wird nicht nur von den Frauenärzten gefördert. Er ist auch Ausdruck der verbreiteten Tendenz, alles im Leben für planbar und machbar zu halten. Da wird ein – von der Gesellschaft weithin vorgegebenes – „Drehbuch“ abgearbeitet: zuerst berufliche Erfolge, dann die Wahl des passenden Part­ners, womöglich noch Bau eines Hauses, dann ein oder zwei Kinder. Und schon im Mutterleib muss die optima­le Förderung einsetzen…

Aber Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft sind ele­mentare Lebensereignisse, die sich diesem Durchplanen oft entziehen. Und guter Hoffnung zu sein heißt eben nicht, zu planen und zu kontrollieren, sondern vor allem den elementaren Lebensvollzügen zu vertrauen.

Mit dem Baby im Kontakt

Dieses Vertrauen gilt es also zu stärken, um die werden­den Mütter (und Väter) aus ihrer Verunsicherung zu befreien. Die erste und grundlegende Hilfe dazu ist der Hinweis: Du bist die einzige Person, die das Baby spürt, und auf die innigste überhaupt denkbare Weise mit ihm verbunden. Diese Verbundenheit ist instinktiv da, wird nur durch das technokratische Vorgehen der modernen Medizin teilweise überdeckt. Viele Schwangere erzählen, dass von dem Augenblick an, als die Schwangerschaft bestätigt war, ihre Beziehung zum Kind zu wachsen begann. Oft halten sie mit dem Ungeborenen innerliche Zwiesprache. Manche Schwangere, die durch ärztliche Befunde verunsichert ist, stellt beim Nachspüren, beim In-sich-Gehen fest, dass ihr Empfinden ihr eine ganz andere, ermutigende Botschaft übermittelt.

Mut machen kann Schwangeren zweitens auch der Ge­danke: Das werdende Leben ist im Mutterleib sehr gut geschützt. Die Gebärmutter, die Fruchtblase, das Frucht­wasser umhüllen das Baby und schirmen es gegen Stöße von außen ab, der Gebärmutterhals ist fest verschlossen. Dieses Wissen hilft besonders Frauen mit vorzeitigen Wehen, die Kontraktionen besser einzuschätzen – nicht als Alarmsignal, wohl aber als Botschaft des Körpers, sich mehr Schonung und Ruhe zu gönnen. Leider erfahren Schwangere am Arbeitsplatz oft nicht die nötige Rück­sichtnahme, manche gesteht sich auch selbst nicht zu, kürzer zu treten. „Problemschwangere“ sind häufig be­sonders pflichtbewusste, gewissenhafte Frauen, die ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellen. Sie könnten gerade in der Schwangerschaft, wenn es auch um das Wohlerge­hen des ungeborenen Kindes geht, etwas mehr gesunden Egoismus entwickeln! Nicht umsonst heißt es schon in der Bibel in großer Weisheit: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Innere Kraftquellen beleben

Einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des mütterli­chen (Selbst-)Vertrauens leisten drittens die Signale, die das Kind selbst aussendet. Für die meisten Frauen ist es ein sehr beglückender Moment, wenn sie um die 18. Woche der Schwangerschaft herum erstmals die Bewegungen des Babys spüren. Von da an wird es im­mer klarer, dass das Kind auch auf Reize von außerhalb reagiert; seine Bewegungen können die Eltern (und die älteren Geschwister) jetzt immer öfter und deutlicher an der Bauchdecke erkennen. Das eröffnet die Möglichkeit, mit liebevollen und achtsamen Berührungen in einen „Dialog“ mit dem Ungeborenen zu treten. Wie das funk­tioniert, hat der Physiotherapeut Frans Veldman in der „Haptonomie“-Lehre beschrieben; manche Hebammen und Geburtsvorbereiterinnen bieten entsprechende An­leitungen an.

Weitere Möglichkeiten zum Kontakt mit dem Unge­borenen tun sich auf, wenn es ab dem Ende des fünften Schwangerschaftsmonats hören kann. Faszinierend und mittlerweile eindeutig belegt: Säuglinge erkennen Melo­dien oder Geräusche wieder, die sie im Mutterleib ken­nengelernt haben, und lassen sich dadurch beruhigen. So kann die werdende Mutter eine Spieluhr auf ihren Bauch legen oder, noch schöner, ihrem Baby Wiegenlieder vorsingen.

Mit diesen einfachen Mitteln können werdende Eltern ihre eigenen inneren Kraftquellen beleben und so den technisch geprägten, medizinischen „Blick von außen“ relativieren. Vielleicht, hoffentlich wird die Schwanger­schaft dann wieder stärker eine Zeit „guter Hoffnung“ und des Vertrauens in das Leben.

Sylvia Börgens