Manchmal kann ich selbst nicht mehr: Vom Helfen ausgebrannt

Mütter und Väter oder pflegende Angehörige sind besonders gefährdet, sich selbst zu überfordern. Werner Rück schildert die Etappen des Ausbrennens und weist Wege aus dieser zerstörerischen Spirale.

Das Ausbrennen (Burnout) ist in den letzten Jahren unter Helferinnen und Helfern ein geläufiger Begriff geworden. Er wird als schleichend beginnender oder abrupt einsetzender Erschöpfungszustand körperlicher geistiger oder gefühlsmäßiger Art beschrieben, der sich im Beruf, in der Freizeit, im Freundeskreis, in Partnerschaft und Familie bemerkbar macht.

Was ist Burnout?

Burnout ist ein den Menschen beeinträchtigender Zustand körperlicher, seelischer Erschöpfung. Er ist bedingt durch chronische Überbeanspruchung. Ausbrennen ereignet sich in der Arbeit mit Menschen in Situationen, die beständig emotional fordern und überfordern. Indem Helfende in ihren Anstrengungen oft nur wenig Unterstützung und Anerkennung bekommen, beginnen sie auszubrennen.
Ausbrennen ist das Ergebnis eines schleichenden Prozesses emotionaler Aushöhlung. Er trifft typischerweise diejenigen am meisten, die ihre Arbeit am idealistischsten begonnen haben. Ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern sich, und sie verlieren die Kontrolle über ihr Handeln. Die ursprüngliche Bereitschaft zu helfen verändert sich in eine immer mehr negative Einstellung. Die Arbeit stagniert und führt zu Frustration und Überdruss.

Ausbrennen ist gekennzeichnet durch Gefühle der Hilflosigkeit, durch geringere Belastbarkeit und durch eine negative Einstellung der Arbeit und dem Leben gegenüber sowie dem Verlust des Wohlfindens.

Typische Zitate lauten:

-         „Ich leide an Erschöpfungszuständen, Migräne und zuweilen an Depressionen.“

-         „Ich bin unlustig und ausgelaugt, habe keine Kraft mehr und neige vermehrt zu autoritären Verhaltensweisen. Meine Aggressivität nimmt zu, ich habe kein Verständnis und kein Einfühlungsvermögen mehr.“

-         „Ich mag und kann nicht genau zuhören. Ich bin konfliktscheu und harmoniebedürftig. Ich schaue bewusst weg. Mich interessiert nichts mehr.“

Etappen des Ausbrennens

Es ist immer wieder versucht worden, Etappen des Ausbrennens zu beschreiben. Dabei ist die Entscheidung über die Zahl der unterscheidbaren Stufen relativ willkürlich. Fengler schlägt 10 Stufen vor:

  1. Freundlichkeit, Idealismus und Enthusiasmus
  2. Überforderung
  3. Geringer werdende Freundlichkeit
  4. Schuldgefühle darüber
  5. Vermehrte Anstrengungen
  6. Erfolglosigkeit
  7. Hilflosigkeit
  8. Hoffnungslosigkeit („ein Fass ohne Boden“)
  9. Erschöpfung, Abneigung gegenüber dem Hilfsbedürftigen, Apathie, 
    Sichaufbäumen, Wut
  10. Ausbrennen: Selbstbeschuldigung, Flucht, Zynismus, Sarkasmus, psychosomatische Reaktionen, Fehlzeiten, große Geldausgaben, Unfälle, Dienst nach Vorschrift usw.

Die Phasen folgen, wie dies in Prozessmodellen üblich ist, nicht mit unausweichlicher Zwangsläufigkeit aufeinander.

Menschen, die helfen, sind besonders gefährdet

-         Menschen, die helfen, befinden sich in Situationen, die von emotional beanspruchenden und herausfordernden Beziehungen geprägt sind. Die Betroffenen müssen meist bereit sein, sich in die Lebenssituation ihres Gegenübers hineinzuversetzen. Sie müssen auf deren Bedürfnisse eingehen und sich auf jeden Einzelnen einstellen.

-         Zugleich kommt ein zweiter persönlicher Faktor hinzu: Verantwortung, Leistungsbereitschaft und intensive Beschäftigung mit der helfenden Tätigkeit.

-         Wo immer Menschen einander helfen, bringt dies einen gewissen Grad von Stress mit sich. Dieser Stressgrad und die spezifische Form des Stresses hängen von den besonderen Anforderungen und von den Ressourcen ab, die dem Helfenden zur Verfügung stehen. Jede Arbeit hat ihre eigenen Arten von Druck, Angst und Konflikten, die mit ihr und dem Kontext, in dem sie zu tun ist, zusammenhängen.

-         Menschen, die helfen, arbeiten – oft über lange Zeit hinweg – in Lebenssituationen, in denen andere Menschen sie emotional belasten. Meistens sind sie für ein altruistisches Verhalten disponiert. Sie sorgen leidenschaftlich für andere und vergessen häufig, für sich selbst zu sorgen. Ich kenne das gut genug für mich selber.

-         Sie engagieren sich für die psychischen, sozialen, körperlichen und geistigen Anliegen der Notleidenden, ohne hierfür gleich eine Gegenleistung zu bekommen. Gefordert ist in allen Fällen, dass sie geben, ohne entsprechend zurückzubekommen.

-         Helfende sind gezwungen, positive Gefühle, Zeichen der Hinwendung und Fürsorge zu geben, auch wenn ihnen nicht danach zumute ist. Sie geraten in eine Falle: Erwartet wird ein positives Gefühl, ein Lächeln, und in Wirklichkeit tragen sie wie jeder Mensch Zuneigung und Ärger, Enttäuschungen und Hoffnungen, Abneigungen und Fürsorge in sich. Zu leicht geraten Helfende in die Gefahr, sich selbst zu überfordern und auszubrennen.

-         Die meisten Helfer, die ich kennen gelernt habe, sind einfühlungsbegabte, verständnisvolle und für das Leid anderer empfindsame Menschen. Das Wohl des anderen ist ihnen ein Anliegen. Ihr Talent ist es, ihre Aufmerksamkeit auf den notleidenden und hilfesuchenden Menschen zu richten. Von diesem her gestalten sie ihre Arbeit und ihr Leben.

-         Helfende schulen oft sehr wohl ihr Gespür für die anderen, weniger aber für das eigene Wachsen und die eigenen Schwächen, die eigene Hilfsbedürftigkeit. Sie entfalten die Fähigkeit, für sich zu sorgen. So wird ihnen ihr eigenes Talent zur Fußangel. Und hier deutet sich bereits eines der Mittel an, das den Helfern hilft: Lernen, für sich selbst zu sorgen.

Ursachenforschung

In den meisten Fällen schreiben Ausbrennende sich selbst die Schuld zu. Dadurch, dass sie einfühlungsbegabt sind, haben sie in der Krise ein Gespür für ihr eigenes inneres Erleben. Sie klagen sich häufig selbst an, fangen an zu zweifeln und verlieren ihr Selbstvertrauen. Der Blick verengt sich. Ein Kennzeichen des Ausgebranntseins ist es, dass Fehler im eigenen Selbst statt außerhalb und im Umfeld gesucht werden.
Mit amerikanischen Forschern und auf der Basis eigener Beobachtungen bin ich jedoch entschieden der Meinung, dass die Umstände das Ausbrennen auslösen. Überfordernde Belastungen von außen treffen auf disponierte Persönlichkeiten. So gerät das Verhältnis von Person und Umwelt in ein Ungleichgewicht.
Ausbrennen ist demnach meist nicht auf die Schuld des Einzelnen zurückzuführen, sondern auf die sozialen und strukturellen Bedingungen des Helfens. Dies gilt für helfende Angehörige, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch für die Hauptamtlichen.

Was den Helfenden hilft

Das Ausbrennen ist keine Folge der Teilnahmslosigkeit oder der Gefühlskälte der betroffenen Menschen. Es ist eine Folge ungünstiger Situationen, in denen sich idealistische Menschen zurechtfinden müssen.
Nicht die Helfer sind schlecht, sondern sie befinden sich in schlechten Situationen. Wer nur noch arbeitet, verliert die Übersicht. Wer die Übersicht bewahren will, braucht freie Zeit, die ganz ihm/ihr gehört. Besonders Helfer haben eine Neigung dazu, anderen alles, sich selbst aber nicht oder wenig zu gönnen. Hier liegen Ausbeutung und Selbstausbeutung nahe beisammen.
Es hilft, sich klarzumachen, dass niemandem geholfen ist, wenn die Helfenden zusammenbrechen. Je gesünder und stabiler die Helfer sind, desto mehr haben die Notleidenden von ihnen. Deswegen gehört das Achten auf Freizeit und Ausgleich, auf Urlaub usw. zu dem, was allen Seiten am meisten hilft. Meist ist sehr viel geholfen, wenn z.B. pflegende Angehörige es schaffen, für sich Urlaub und Freizeit zu beanspruchen, die Mutter oder den Vater auch einmal anderweit unterzubringen, um sich selber wieder zu erholen und sich selbst sein zu können.

Werner Rück