Elterliche Erziehungskompetenz unterstützen

Über elterliche Erziehungskompetenzen wird derzeit heftig und kontrovers diskutiert. Bestsellerautoren rufen den Erziehungsnotstand aus oder stellen Erziehung gleich ganz in Frage. Die Familie ist aber nach wie vor für fast alle Kinder der erste und wichtigste Ort der Erziehung und Bildung, und in der Regel auch ein guter Ort.

Der besondere Stellenwert der Familie als Ort der Erziehung

Für die besondere Wirkungskraft der Familienerziehung lassen sich drei Faktoren benennen:

  • genetische Einflüsse.
  • die Tatsache, dass die Phasen der vorgeburtlichen sowie der frühen nachgeburtlichen Entwicklung besonders wichtig und prägend sind. Und hier ist nun die Familie schlicht die erste Instanz der Erziehung und Bildung im Lebenslauf der Kinder. Zudem stellt die Familie auch die überdauernde Umwelt des Kindes dar. Trotz der steigenden Zahlen von Ehescheidungen wachsen in Deutschland immer noch etwa 80 Prozent der Kinder mit ihren miteinander verheirateten Eltern auf.
  • Das Verständnis der Familie als intimes Beziehungssystem. Die Systemtheorie (Luhmann) beschreibt die Familie als das einzige soziale System, in dem die ganze Person Bezugspunkt für Kommunikation ist. In allen anderen sozialen oder auch pädagogischen Systemen wie Kindertagesstätte oder Schule stehen Teilaspekte der Person im Fokus. (etwa Leistungs-Kriterien).

Durch den personbezogenen Charakter der Familienbeziehungen und der Familienerziehung lernen Kinder in der Familie mehr informell als durch bewusste erzieherische Maßnahmen. Es ist ein Lernen, das durch die Teilnahme an einem gemeinsamen Alltag und durch die von den Eltern vorgelebten Verhaltensweisen und Werte bestimmt wird. Hier stimmt dann auch der etwas lapidare Satz: „Erziehung lohnt sich nicht – die Kinder machen einem eh alles nach."

Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bindung und Bildung: die Bindungsforschung weist nach, dass die Qualität der emotionalen Bindungserfahrung der Kinder einen grundlegenden und nachhaltigen Einfluss auf ihr Erkundungsverhalten und ihre Bildungsprozesse, aber auch auf ihr eigenes Bindungs- und Beziehungsverhalten hat. Bildungsprozesse berühren also die "ganze Person", das heißt nicht nur die kognitiven, sondern auch die emotionalen, sozialen und leiblichen Aspekte der Person.

Merkmale einer qualitätvollen Erziehung in der Familie

Eltern streben heute eine „demokratisch-partnerschaftliche" Beziehung zu ihren Kindern an. In Übereinstimmung mit den Annahmen der strukturellen Familientherapie (Minuchin, 1983) zeichnen sich gesunde Familien aus  

  • durch ein hohes Maß an emotionaler Verbundenheit ("Kohäsion") einerseits
  • sowie klare Hierarchiegrenzen (Machtunterschiede) zwischen Eltern und Kind andererseits.

Dies unterstreicht eindrücklich, wie notwendig es ist, dass Eltern aktiv die Verantwortung in der Familie übernehmen. In dieser Hinsicht ist die Eltern-Kind-Beziehung nicht „partnerschaftlich". Eltern tragen Verantwortung für ihre Kinder (für deren emotionales und körperliches Wohlbefinden wie auch für deren kognitive Entwicklung) - und nicht umgekehrt.

Ein starkes Band zwischen den Partnern ist das Fundament der Familie (vgl. Minuchin, 1983). Einander liebevoll zugetan sein ("Zugewandtheit") und gleichzeitig Luft zum Atmen lassen („Autonomie" zugestehen) sind die besten Voraussetzungen für eine gelungene Entwicklung von Paaren und Kindern (Graf, 2002). Sich über den anderen zu ärgern ist normal; Konflikte gehören zum Alltag. Entscheidend ist, wie die Partner mit ihren unangenehmen Gefühlen umgehen.

Merkmale einer qualitätvollen Eltern-Kind-Beziehung

  • Achtsamkeit und Feinfühligkeit der Eltern für die Gefühle des Kindes und seine individuelle Eigenart. Damit verbunden ist die Anerkennung der eigenständigen Persönlichkeit des Kindes
  • Empathie: sich einfühlen können in die Gefühlswelt des Kindes und so emotionale Wärme mit der Bestätigung und Anregung des Selbstständigwerdens des Kindes zu verbinden.
  • Kommunikation, also die Fähigkeit, über eigenes Erleben sprechen zu können. Dazu gehören auch Regeln und Anforderungen an die Kinder, etwa wenn es um Mithilfe im Familienalltag oder die Rücksichtnahme auf die Belange anderer Familienmitglieder geht.

Ein Erziehungsstil, der emotionale Wärme und Bestätigung, die Ermutigung zu Autonomie und klare Verhaltensanforderungen umfasst, scheint am besten geeignet, die Entwicklung der Kinder zu selbständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Diesen Erziehungsstil kann man, in Abgrenzung zum autoritären und zum Laissez-faire-Stil, als „autoritativ" bezeichnen.

Erziehung in der Familie wandelt sich

Die Erziehung in der Familie war in der Menschheitsgeschichte die Regel. Sie beruht auf einer Art intuitiver Elternschaft", das heißt auf einer in der Evolution angelegten Bereitschaft, für den Nachwuchs zu sorgen und seine Entwicklung zu fördern. Diese „natürlichen" Bereitschaften können durch ungünstige Umstände und individuelle Lebensschicksale gestört werden, sie bilden indes die Grundlage der Familienerziehung in Vergangenheit und Gegenwart.
Daneben gibt es die „Vererbung“ von Erziehungsstilen von Generation zu Generation. Häufig kann beobachtet werden, dass Eltern ihre Kinder so erziehen, wie sie selber erzogen worden sind.
Intuitive Elternschaft und eigene Erziehungserfahrungen werden ergänzt und überlagert durch Einflüsse, die man als den „Zeitgeist“  einer geschichtlichen Periode bezeichnen kann. Dieser zeitgeschichtliche Wandel ist in den letzten Jahrzehnten mit der Formel „vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt" umschrieben worden.
Schließlich trägt die Pädagogisierung der Kindheit, die verstärkte öffentliche Artikulation der Bedürfnisse und Rechte der Kinder, die Verbreitung psychologischen und pädagogischen Wissens, die durch den beschleunigten sozialen Wandel erzeugte Verunsicherung und die Erfahrung (zunächst im Bereich der beruflichen Tätigkeit), dass Handlungsfähigkeit nur durch lebenslanges Lernen bewahrt werden kann, dazu bei, dass der erzieherische Umgang mit den eigenen Kindern an Selbstverständlichkeit verliert, dass er als schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe sowie als Aufforderung und Chance verstanden wird, an und mit den Kindern auch die eigene Person weiter zu entwickeln.

Intuitive Elternschaft, die eigene Erziehungserfahrung der Eltern, der "Zeitgeist" und bewusste Elternschaft als Lernprozess - stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander.

Förderliche Formen der Familienerziehung können durch Elternbildung/ Elternarbeit angeregt werden

Mit der verantwortungsvollen Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe leisten Eltern einen unverzichtbaren und nicht zu ersetzenden Beitrag für die Entwicklung ihrer Kinder, aber auch für die Gesellschaft im Ganzen. Eltern haben daher einen Anspruch auf Unterstützung und Hilfe für ihre Erziehungstätigkeit. Dies gilt insbesondere auch für jene Eltern, die, aus welchen Gründen auch immer, ihrer erzieherischen Verantwortung nicht gewachsen sind. Es gibt heute eine Vielfalt von Angeboten der Elternbildung, die geeignet sind, förderliche Formen der Beziehungen und der Erziehung in Familien anzuregen.

Elterntrainings

Elterntrainings wollen allgemeine erzieherische Kompetenzen und Inhalte vermitteln.
Zwei der am meisten verbreiteten Elterntrainings, die auch von kirchlichen Trägern erfolgreich durchgeführt werden, seien kurz vorgestellt:

Gordon-Familientraining

Das Parent Effectiveness Training (PET) von Thomas Gordon gilt als als "Erziehungsbestseller" in der Elternbildung.
Das Programm bezieht sich vorwiegend auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Grundlegende Idee ist der Aufbau einer "partnerschaftlichen" Eltern-Kind-Beziehung ohne Anwendung von Macht. Durch Beispiele, Übungen und praktische Ratschläge entwickeln Eltern Fähigkeiten, um Konflikte effektiv lösen zu können.

Im Gordon-Familientraining können Eltern sich diese Konfliktlösungsfertigkeiten aneignen. Dabei werden die wichtigsten Probleme der Erziehung thematisiert:

  • Eltern lernen, ihren Kindern "aktiv" zuzuhören und auf Signale zu achten, so zu sprechen, dass ihre Kinder sie verstehen können. Anschuldigungen und "Du-Botschaften" sind zu vermeiden.
  • Eltern lernen für Kinder Bedingungen zu schaffen, die es erlauben, negative Verhaltensweisen zu verändern (Verhaltensmodifikation) .
  • Eltern lernen, eine hierarchische Beziehungskonstellation zu ihren Kindern zu verhindern, in der sie als Eltern Druck ausüben, und stattdessen ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen, das auf Macht weitgehend verzichtet, bzw. Macht durch Einfluß ersetzen will.

Das Gordon-Familientraining hilft Eltern, Muster und Erklärungen für eigene Verhaltensweisen und wiederkehrende Stresssituationen aufzudecken und durch realistische Einstellungen und effektive Handlungen ersetzen. Die Effektivität des Programms wurde durch zahlreiche empirische Untersuchungen nachgewiesen.

KESS erziehen

Dieses Training fußt auf den individualpsychologischen Prinzipien der Erziehung, die Rudolf Dreikurs (1897-1972) entwickelte. Ein Kind will dazu gehören und sich geliebt fühlen, es will wichtig sein, sich fähig fühlen und Einfluss nehmen sowie sich sicher und geborgen fühlen können. Wenn Kinder das Gefühl haben, dass diese sozialen Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, versuchen sie, diese Ziele zu erreichen: Sie fordern verstärkt Aufmerksamkeit, suchen immer wieder den Machtkampf, neigen dazu, andere zu verletzen oder flüchten in eine zur Schau gestellte Unfähigkeit und Untätigkeit. Erziehung wird dann schnell zu einer täglichen nervlichen Belastungsprobe.
Können Eltern hinter dem störenden Verhalten des Kindes jedoch dessen Bedürfnisse sehen, können sie situationsorientiert angemessen und hilfreich reagieren. Sie zeigen den Kindern einerseits alternative Möglichkeiten auf, wie sie die sozialen Grundbedürfnisse befriedigen können. Andererseits setzen sie selbst bewusst andere Akzente, sodass sich die Kinder in ihren sozialen Bedürfnissen besser geachtet fühlen können. Konsequentes, ermutigendes Handeln, das Entwickeln von Kooperation und ein gekonntes Konfliktmanagement werden zu wichtigen Fertigkeiten der Erziehung. Die notwendigen Grenzen erfahren Kinder durch natürliche und logische Konsequenzen, die ihnen verantwortlich zugemutet werden.

"Kess-erziehen" ermöglicht eine Orientierung an diesen individualpsychologischen Prinzipien der Erziehung. Vermittelt werden die Fertigkeiten eines demokratisch-respektvollen Erziehungsstils.

Im Einzelnen geht "Kess-erziehen" darauf ein,

  • was Kinder für eine positive Entwicklung ihres Selbstwertgefühls brauchen und weshalb sie ein bestimmtes Verhalten zeigen,
  • wie Eltern wirksam und kreativ mit Fehlverhalten umgehen können,
  • wie Eltern im gegenseitigen Respekt Grenzen setzen können,
  • wie die Beziehung gestärkt und Kooperation entwickelt werden können,
  • wie Konfliktsituationen entschärft und Probleme gemeinsam gelöst werden können.

"Kess-erziehen" lenkt den Blick auf die Stärken der Eltern und deren Kinder. Gegenseitiger Respekt, Momente echter Begegnung und Ermutigung reduzieren Konfliktpotentiale und erziehungsbedingten Stress. Es geht nicht um Patentrezepte, die immer und überall gültig sind, sondern um eine achtsame und respektvolle Haltung und um einen konsequenten Umgang miteinander. Die Entwicklung des Kindes, gestützt durch Ermutigung und das Gefühl der Zugehörigkeit, sowie dessen verantwortungsvolle Einbeziehung in die Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt.

„Kess-erziehen“ ist als Kursangebot der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung (AKF) eine Erfolgsgeschichte: 16.000 Eltern wurden mit diesem Kursangebot bereits erreicht und jeden Tag kommen derzeit im Durchschnitt 25 Eltern hinzu.

Ulrich Hoffmann