Hand in Hand erziehen

Wo Eltern und Großeltern Kinder gemeinsam versorgen, geraten oft unterschiedliche Erziehungsziele aneinander. Ein neues Kursprogramm verspricht Abhilfe.

„Du liebe Zeit, ist das denn so ein Drama?“ Kopfschüttelnd kommentiert die Oma den Zorn ihrer Tochter, der über den achtjährigen Enkel hereinbricht. Sie kann sich noch lebhaft daran erinnern, wie unwohl sie sich als Kind in ihren „guten“ Sonntagskleidern fühlte, die nur ja nicht dreckig werden durften. „Freu dich lieber, dass der Junge sich bewegt und frische Luft kriegt und nicht nur zu Hause hockt. Was macht da schon so ein kleiner Riss?“ „Jetzt fang’ du auch noch an!“, empört sich ihre Tochter. „Wenn du vorgestern mitgekriegt hättest, dass es unbedingt die Marken-Jeans für 60 Euro statt der preiswerten sein musste, die ich kaufen wollte…“

„Wird hier nicht mehr gebetet? “

Oder: „Wird hier vor dem Essen nicht mehr gebetet?“, fragt der Großvater irritiert. Die Kinder wollten dieses „leere Ritual“ nicht mehr mitmachen, erklärt sein Sohn, und ihm selbst und seiner Frau gehe es vor allem um den Aufbau einer inneren Beziehung zu Gott und eines Gefühls von Getragen­sein. Doch das lässt der Großvater nicht gelten: „Wir hätten euch das damals nicht durchgehen lassen. Dann müsst ihr euch eben stärker dafür einsetzen!“

Wo Eltern und Großeltern gemeinsam erziehen, prallen oft die unterschiedlichsten Erziehungsverständnisse aufeinander. Denn mit den Generationen wechseln auch Einstellungen, wohin und wie Eltern ihre Kinder erziehen sollen. In den 50er Jahren prägte das Wirtschaftswunder-Denken auch das Leben in den Familien: „Unser Kind soll es einmal besser haben!“ Dann setzten die zunehmende Gleichberechtigung der Frauen, die antiautoritäre Erziehung, die ökologische Bewegung und der „PISA-Schock“ immer neue Akzente und beeinflussten auch die Erziehungsziele und -stile. Bis in die Einzelheiten hinein: Die Mutter der 70er Jahre lernte noch, ihrem Baby alle vier Stunden die Flasche zu geben, für die Tochter gilt 30 Jahre später das Stillen nach Bedarf als einzig wahrer Weg, ihren Nachwuchs gesund großzuziehen.

Der Vorwurf ist eine Hilfe

Auch wenn beide es von Herzen gut meinen und nur das Beste für ihr (Enkel-)Kind wollen: Solange sie ihren Erziehungsstil für „selbstverständlich“ und den einzig richtigen halten, sind Missverständnisse, Enttäuschungen und Konflikte vorprogrammiert. Zumal viele kaum darüber reden, was so selbstverständlich erscheint: „Wir sind doch eine Familie und verstehen uns auch ohne lange Diskussionen!“
Schlimmstenfalls endet das sogar damit, dass die einen den anderen böse Absichten unterstellen: „Deine Mutter war ja schon immer der Meinung, dass ihr Prinz etwas Besseres als mich verdient hätte!“

Stattdessen müsste es darum gehen, Respekt und Anerkennung für die unterschiedlichen Einstellungen und Verhaltensweisen im Umgang mit den Kindern zu entwickeln. Genau um diese gegenseitige Wertschätzung bemüht sich das Kursprogramm „Kess-erziehen – Eltern und Großeltern Hand in Hand“ (vgl. Der Kurs). Es spricht beide Generationen gemeinsam an und vermeidet damit den Eindruck, dass nur „die Alten“ Nachholbedarf in Sachen Kinderpflege und Erziehung haben – ein Hauptgrund dafür, dass Großeltern sich ansonsten nur schwer für derartige „Fortbildungen“ gewinnen lassen.

Ein paar wesentliche Erkenntnisse aus meinen Kursen:

  • Es gelingt gut, eine wertschätzende Atmosphäre zu schaffen, in der beide Generationen Unterschiede als Bereicherung begreifen. Dabei hilft gerade auch der Blick über die eigenen Familiengrenzen hinaus. Etwas aus dem Mund einer „fremden“ Mutter oder Großmutter zu hören, eröffnet oft eine neue Sicht auf die eigene Familie: „Wenn meine Mutter bei uns zu Besuch ist, räumt sie regelmäßig die Geschirrspülmaschine aus und lässt die Sachen dann auf dem Tisch stehen“, beschwert sich eine junge Frau. „Diese heimlichen Hinweise, dass ich den Haushalt nicht sauber und ordentlich genug mache, versetzen mir jedes Mal einen Stich.“ „Ach, das mache ich bei meiner Schwiegertochter auch immer“, sprudelt daraufhin eine Großmutter heraus, „und lasse die Teile auf dem Herd stehen, von denen ich nicht weiß wohin damit. Ich finde, ihr jungen Frauen habt so viel zu tun und könnt jede Unterstützung brauchen.“ Was die einen als stillen Vorwurf wahrnehmen, ist von den anderen tatsächlich als Hilfe gemeint…
  • Zwar genießen die Großeltern es oft, nicht mehr die volle Erziehungsverantwortung zu tragen und ihre Enkel deshalb manchmal verwöhnen zu können. Machtkämpfe, erklärt eine Großmutter, „erlebe ich nicht, ich hab’ ja jetzt viel mehr Zeit und Ruhe“. Trotzdem stehen auch die Großeltern oft vor den gleichen Erziehungsproblemen wie die Eltern; zum Beispiel müssen sie genauso Grenzen setzen und sich logische Folgen überlegen. Wie der Großvater, der mit seiner vierjährigen Enkelin eine verkehr­reiche Straße überqueren möchte: „Wenn du mit mir zur Eisdiele willst, musst du mir beim Überqueren der Straße die Hand geben dann kommen wir sicher hinüber. Wenn du mir nicht die Hand gibst, habe ich zu viel Angst um dich.“
  • Spontan halten viele Großeltern, die ihre Enkel regelmäßig betreuen, es für selbstverständlich, sich jederzeit in die Belange der jungen Familie einzumischen; die Eltern sehen das oft ganz anders. Umgekehrt gehen sie selbst wie selbstverständlich von der Bereitschaft der Großeltern aus, als Babysitter einzuspringen, während die oft ihre eigenen Pläne haben. Missverständnisse und -stimmungen, die sich daraus ergeben, la­sen sich durch eine Standortbestimmung in der fünften Kurseinheit („Grenzen achten – Kooperation entwickeln“) überraschend schnell ausräumen. Dabei versuchen Eltern und Großeltern zunächst getrennt voneinander aufzuschreiben, wie sie sich selbst sehen, welche Erwartungen sie aneinander haben und was sie der jeweils anderen Generation anbieten wollen. Als Ergebnis finden beide Seiten sich in einem ähnlichen Bild wieder: die junge Familie als Kreis, in den die Großeltern hinein-, aber auch wieder hinaustreten können, während die Großeltern selbst ihren eigenen Kreis haben. Die Wut einer Mutter, weil ihre Eltern des Öfteren Babysitterdienste verweigerten, war nach dieser Klärung verraucht: „Ich sehe jetzt viel bewusster, dass sie ihr eigenes Leben haben und nicht allzeit bereitstehen können.“

Wie hilfreich beide Seiten den Austausch in den Kursen finden, beweisen nicht zuletzt die Wünsche, die Kontakte zueinander weiterzupflegen – von einem Sommerfest nach der letzten Einheit bis zu regelmäßigen Treffen in größerem Abstand, auch mit den dazugehörigen Kindern.

Sabine Maria Schäfer

Der Kurs

„Kess-erziehen – Eltern und Großeltern Hand in Hand“ ist eine Weiterentwicklung des Basiskurses „Kess-erziehen“, der Eltern aufzeigen möchte, wie sie ihre Kinder besser verstehen, sie ermutigen, ihnen respektvoll Grenzen setzen und ein wertschätzendes Miteinander in der Familie fördern können.

Der Großeltern-Kurs umfasst sechs Einheiten:

1. Erziehungsziele ändern sich – soziale Grundbedürfnisse bleiben

2. Das Kind sehen – soziale Grundbedürfnisse achten

3. Verhaltensweisen verstehen – angemessen reagieren

4. Kinder ermutigen – Folgen des eigenen Handelns zumuten

5. Grenzen achten – Kooperation entwickeln

6. Konflikte entschärfen – Selbstständigkeit fördern

Jede Einheit dauert zweieinhalb bis drei Stunden. Die Pausen zwischendurch dienen auch dazu, mit anderen Eltern und Großeltern ins Gespräch zu kommen.

Weitere Informationen über die Kurse und die Adressen von Anbietern finden interessierte Eltern und Großeltern im Internet unter www.kess-erziehen.de