Nichts für Feiglinge
Traut ihr euch, fragt Monika Bertsche. Denn der Hoch-Zeit folgt unweigerlich der Alltag. Dann heißt es, sich mit dem eigenen Geworden-Sein, Verletzlichkeiten, Sehnsüchten und denen des Partners auseinanderzusetzen.
Da liegt eine Karte im Briefkasten, auf edlem Papier und liebevoll gestaltet: „Wir freuen uns, mitteilen zu dürfen, dass wir am … den Bund der Ehe geschlossen haben. Wir sind überglücklich. Martin und Sabine“.
Kein normales Brautpaar
Ich kenne die beiden aus meiner Praxis für Paartherapie. Sie sind definitiv kein „normales“ Brautpaar. Martin war schon einmal verheiratet. Seine Frau hat ihn verlassen, die beiden Kinder blieben bei ihm. Er konnte sich lange nicht vorstellen, sich je wieder auf eine Beziehung einzulassen. Sabine kommt aus einem Geschäftshaushalt und hat früh gelernt, dass sie für sich selbst sorgen muss. Die Eltern hatten kaum Zeit für sie; eigentlich war sie immer lästig. Die Unternehmen Liebe oder gar Familie waren ihr suspekt.
Entscheidung für eine Paartherapie
Dennoch: Martin und Sabine haben sich ineinander verliebt. Nach viel Zögern und vielen Diskussionen zogen sie zusammen, verstrickten sich aber schon nach wenigen Monaten in heftige Konflikte. Völlig zerstritten und am Rande der Trennung kamen sie zu mir in die Paartherapie. Beinahe drei Jahre lang haben wir miteinander gearbeitet. Dabei gelang es ihnen, ihre ständigen Streitigkeiten danach zu hinterfragen, worum es ihnen eigentlich geht. Sie haben sich mit ihren je eigenen Verletzlichkeiten und Bewältigungsstrategien auseinandergesetzt, Muster aufgedeckt, die schon aus der Kindheit und der Dynamik der jeweiligen Herkunftsfamilien stammen.
Auf Suche nach dem Sinn ihrer Liebe
Sie haben gelernt, sich nicht nur als Opfer des anderen zu verstehen, und gesehen, wie sie, wenn sie sich gekränkt und verletzt fühlen, auch zum Täter oder zur Täterin am anderen werden. Sie haben sich gegenseitig um Verzeihung gebeten und letztlich auch verziehen. Und sie haben sich die Frage gestellt, warum eigentlich gerade sie sich getroffen haben und ein Paar wurden. Sie machten sich auf, nach dem Sinn ihrer Liebe zu suchen.
Und nun steht am Ende dieses langen Weges der Entschluss, ihre Liebe vor Gott und der Welt zu besiegeln, zu feiern und andere an ihrem Glück teilhaben zu lassen. Das hat mich berührt!
Die eigene Krise in der Beziehung
Mit der Karte in der Hand setze ich mich in den Garten. Meine Gedanken gehen zurück zu meiner eigenen Hochzeit, die fast 36 Jahre zurückliegt. Mein Mann und ich, waren wir ein typisches Brautpaar? Wir waren jung und haben geheiratet, weil ein Kind unterwegs war.
Wir haben uns unser Eheversprechen gegeben, aus vollem Herzen und mit Überzeugung, aber mit sehr wenig Ahnung davon, was das wohl bedeuten mag, ganz konkret im Alltag und über viele Jahre hinweg. Wir haben ein Leben aufgebaut wie viele andere: Studium, Arbeit, eine Familie, die immer größer wurde, irgendwann ein Haus mit Garten, die Betreuung einer todkranken Mutter, Ehrenamt, ein bisschen Wohlstand. Und irgendwann – die Kinder fingen gerade an, flügge zu werden – gerieten wir in eine Krise.
Anders als Martin und Sabine, die von Anfang an viel diskutierten und auch stritten, hat uns diese Krise völlig überrascht. Wir waren doch so ein gutes Team! Wir hatten doch so viel gemeinsam durchgestanden! Und auf einmal sollte nichts mehr so sein wie vorher? Wir machten uns auf, unsere Liebe wieder zu suchen. Und auch bei uns ging es darum, bei uns selbst anzufangen. In einer Paargruppe arbeiteten wir intensiv daran, unsere eigene Konfliktdynamik zu ergründen. In dieser Auseinandersetzung lernten wir, uns selbst und den anderen besser zu verstehen, gerade im Geworden-Sein, in den Wurzeln von Sehnsucht und Abwehr, Kampf und Frieden, Verletzen und Verletzt-Werden. Wir sind in dieser Zeit voneinander abgerückt und konnten uns dadurch besser sehen; mit mehr Autonomie und mehr Bewusstheit machten wir uns auf den Weg, die Liebe und Verbundenheit zwischen uns nicht nur zu bewahren, sondern auch zu gestalten.
Mut und Veränderung
Zwei unterschiedliche Liebesverläufe, könnte man meinen. Gibt es ein verbindendes Element? Nun: Das eine Paar traute sich nicht – und fasste in der Therapie doch den Mut, sich ganz aufeinander einzulassen. Das andere brauchte zum Heiraten kaum Mut, dann aber doch: den Mut, sich dem eigenen Schatten und den Schwierigkeiten zu stellen, das Verbindende zu wahren und das Trennende als steten Antrieb zu Entwicklung und Wachstum zu nutzen.
Viele Paare, die in die Paartherapie kommen, haben diesen Mut. Allerdings versteckt er sich anfangs häufig unter viel Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder auch Zorn. Und sobald er durchscheint, mache ich mit den Paaren eine besondere Übung: Die beiden sitzen sich gegenüber, schauen sich an, nehmen jede Einzelheit des anderen in sich auf. Und dann stellen sie sich vor, wie der Partner älter und älter wird. Die Haut wird schlaffer, Falten graben sich in das Gesicht, die Haare werden grau, die Hände altersfleckig, Adern treten hervor. Auch die Haltung verändert sich und die Ausstrahlung. Und dann, wenn die Vorstellung des Gegenübers als alter Mensch ganz plastisch ist, dann stellen sich beide die Frage, mit aller Ehrlichkeit und Tiefe: „Will ich mit dir alt werden?“
Liebesbriefe, die die Zeit überspannen
In der Therapie bitte ich die Paare meistens, die Antwort in einem Brief an den anderen niederzuschreiben. Nicht immer, aber sehr oft entstehen aus dieser Übung sehr berührende, wahrhaftige Bekenntnisse zum anderen – Liebesbriefe, die Zeit und Raum überspannen.
Braucht es Mut zum Heiraten? Für das Heiraten an sich kaum. Zu oft erlebe ich in meiner Praxis, wie Paare nach dem rauschenden Fest der Hoch-Zeit in die Ernüchterung und Enttäuschung fallen und ihre Unwohlgefühle dem jeweils anderen anlasten. Er, Sie war also wohl doch die falsche Wahl! Häufig sind das Paare, die das Drum-und-Dran des Festes über den Inhalt stellen.
Aber auch das gibt es: Männer und Frauen, die ihr Eheversprechen ernst nehmen und versuchen, es zu erfüllen. In guten wie in schlechten Zeiten. Gerade und ganz besonders in den schlechten! Wie die aussehen werden, die schlechten Zeiten, weiß vorher niemand. Und deshalb braucht es auch den Mut, sich dem Unvorhersehbaren zu stellen. Wenn man so will: mit Ja und Amen.