Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens

Welche Bedeutung hat diese Dreiheit über den sprachlichen Wohlklang hinaus, was bringen Achten und Ehren zum Ausdruck, das in Lieben nicht schon enthalten wäre?

 

„Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens“

Dieses Versprechen geben sich Brautleute bei ihrer Eheschließung vor Gott und den Menschen. Es ist mit seinem ausgewogenen Sprachrhythmus eingängig und allseits bekannt. Als feste Absicht steht sie am Anfang einer Ehe und soll die Eheleute durchs Leben begleiten.  Doch welche Bedeutung hat diese Dreiheit über den sprachlichen Wohlklang hinaus, was bringen Achten und Ehren zum Ausdruck, das in Lieben nicht schon enthalten wäre?
Oder ist es so zu verstehen, dass Achten und Ehren zum Lieben gar nichts Neues von außen hinzufügen, sondern erläutern, wie das Lieben genauer verstanden werden muss? Lieben ist ja ein ausgesprochen schillernder Begriff, der mit vielen sehr verschiedenen Bedeutungen belegt ist. Im Extremfall können sich diese Bedeutungsvarianten sogar gegenseitig ausschließen, und natürlich eignet sich nicht jede Vorstellung von der Liebe zwischen Mann und Frau als Grundlage für ein Eheversprechen. Wer hier an eine Art unbeeinflussbares und zugleich flüchtiges Naturereignis denkt, das die Partner überkommt und ebenso auch wieder verlässt, kann unmöglich ein Versprechen darüber abgeben. Umgekehrt gilt aber auch: Wer die Ehe als rein ökonomische Institution zur Versorgung oder zur Erzeugung von Nachkommenschaft sieht, wird sich schwer tun, das ernsthaft mit einem persönlichen und gegenseitigen Liebesversprechen überein zu bringen.

Ja, es geht hier tatsächlich um ein Lieben, das in engem Zusammenhang mit Achten und Ehren steht, das aus diesem Zusammenhang sein Profil und seine langfristige Qualität gewinnt.
Deshalb lohnt es sich, ein wenig über dieses Achten und Ehren nachzudenken und seiner Bedeutungsfülle nachzuspüren – sind beides doch Begriffe, die wir in der Alltagssprache kaum je verwenden.

Achten

Jemanden zu achten, ihm Achtung zu erweisen, ist eine Begrifflichkeit, die man zunächst nicht unbedingt mit Liebe in Verbindung bringt. In der Philosophie Immanuel Kants etwa, die großen Einfluss auf unser neuzeitliches Menschenwürde-Konzept hatte, ist die Achtung die angemessene Haltung gegenüber der Würde, die jedem Menschen als Mensch zukommt. Weil der Mensch nicht einfach in der Welt der Dinge als Ding aufgeht, kann er nicht wie eine Sache behandelt werden. Der Mensch hat keinen Sachwert oder Preis, sondern ihm kommt Würde zu. Dies anzuerkennen und den Menschen, der mir gegenübertritt so als Träger einer unantastbaren Selbstzweckhaftigkeit zu sehen, wie ich mir das auch selbst zurechne, heißt ihm Achtung zu erweisen. Achtung hat somit etwas von einem gebührenden Abstand an sich, den ich dem anderen gegenüber einhalte. Ich darf ihn nicht vereinnahmen, verzwecken, zum Besitz machen. Mein Gegenüber bleibt ein Selbst mit eigenen Zielen, Wünschen und Gedanken. In dieser Hinsicht lässt sich Achten dann doch sehr gut auf Lieben beziehen. Bei aller sehnsuchtsvollen Verschmelzung bleiben die Liebenden als Personen doch sie selbst. Sie gehen nicht ineinander auf und wenn die Liebe über die Attraktion des Sinnlichen und das Moment des Affektes hinaus halten, wachsen und Gedeihen soll, dann müssen auch die liebenden Personen wachsen und gedeihen können. Dafür brauchen sie den Raum und die Atemluft, die der Respekt des Partners ihnen ermöglicht. Liebe kann atmen und wachsen, wenn es Liebe ist, die auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung steht. Zu dieser Grundlage muss sie auch über die Leidenschaften, Konflikte, Kämpfe und Mühen des Lebens immer wieder zurückfinden, soll sie nicht in die Einseitigkeit einer erduldeten Zweckbeziehung münden.

Ehren

Was aber bringt das Versprechen des Ehrens noch als weiteren Aspekt dazu? Versucht man, auch diesem Begriff nachzuspüren, dann sind es – in biblischer Perspektive etwa – nach Gott vor allem die eigenen Eltern, denen es zukommt geehrt zu werden: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ So heißt es im Buch Exodus bei der Verkündigung der Gebote Gottes. In dieses Verhältnis des Ehrens wird mit der Vermählung auch die Braut bzw. der Bräutigam als Lebenspartnerin und Lebenspartner für alle Zukunft gestellt.
Jemanden ehren
hat in dieser Akzentuierung eine Bedeutung, die sich von jemanden achten unterscheidet. Jemanden ehren kann man vielleicht am ehesten umschreiben mit: Die besondere Bedeutung des Geehrten für das eigene Leben in wacher Aufmerksamkeit präsent halten und ihm deshalb einen hervorgehobenen Rang einräumen. Hier kommt sehr stark auch eine eigene emotionale Beteiligung zum Tragen, die für das Achten so nicht erforderlich ist. Wer eine andere Person ehrt, bringt damit zum Ausdruck: „Du bist mir besonders wichtig. Ich vergesse deine Bedeutung für mich nicht!“ Unsere Kultur kennt zahlreiche Möglichkeiten des Ausdrucks dafür, dass man jemanden ehrt: Angefangen von der öffentlichen ehrenden Erwähnung über den Ehrenplatz, der geehrten Personen eingeräumt wird bis hin zur Widmung dessen, was einem selbst etwas bedeutet. Wer jemanden ehrt, sucht offensichtlich immer wieder auch nach geeigneten Ausdrucksformen dafür. Schließlich gibt es noch einen Aspekt des Ehrens, der hier von Bedeutung ist: Wer eine Person ehrt, macht sie groß und sich selbst klein, stellt sie in den Mittelpunkt und nimmt sich selbst zurück.

All das Gesagte liefert zahlreiche Hinweise auf die Liebe, um die es hier geht: eine Liebe, die die unersetzliche Bedeutung der geliebten Person für das eigene Leben nicht vergisst, sie nicht im Laufe der Zeit einebnet und zur Selbstverständlichkeit macht; eine Liebe, die den Geliebten groß sein lässt, weder erdrückt noch an den Rand des eigenen Lebens schiebt; eine Liebe die sich selbst klein zu machen vermag und die dem Ehepartner und der Ehepartnerin immer wieder neu den Ehrenplatz einräumt, nicht weil er sich da so gut macht oder weil sie „etwas hermacht“, sondern weil der andere und die andere sind, wer sie sind: Die Ehrenperson in meinem Leben.

Lieben

Das Band, das all diese Aspekte zusammenhält und vollkommen macht, ist die Liebe. Man kann deutlich sehen, dass es dabei um eine Liebe geht, an der es immer wieder zu arbeiten gilt. Diese Liebe, die durch die Jahre zu tragen vermag, bedarf immer wieder der Momente des Innehaltens. Man muss einen Schritt zurücktreten und überlegen: Ist das, was ich lebe noch lieben, achten und ehren, wie ich es versprochen habe, oder haben sich nicht schon viel zu viele kleine oder größere Unachtsamkeiten, Ehrlosigkeiten und letztlich Lieblosigkeiten eingeschlichen? Das gemeinsame Leben in dieser engen Verbindung der Ehe stellt die gemeinsame Liebe und die eigene Liebesfähigkeit ja oft genug auf harte Proben, sei es durch bedrückende Probleme „von außen“, durch Konflikte „im Innenraum“ der Beziehung oder durch die Wechselwirkung von beidem. Dann gilt es, auf die Basis zurückzufinden, immer wieder neu anzusetzen und auch in schwierigen Situationen nicht zu vergessen, was man sich gegenseitig – vielleicht schon vor langer Zeit – versprochen hat: „Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens“. Wo immer dies gelingt, ist das Ergebnis nicht eine leblose, pflichtschuldige Zweckgemeinschaft, sondern eine dauerhaft vitale Liebesbeziehung von Mann und Frau, die sich in dieser Gemeinschaft als Personen entfalten und reifen dürfen.

Michael Feil