Sexualität in der Lebensmitte
Mit dem Älterwerden verändert sich das erleben von Sexualität. Der Prozess verläuft bei Frauen und Männern unterschiedlich.
Als Leiterin der Arbeitsgruppe NFP (Natürliche Familienplanung) hat die Ärztin Dr.Ursula Sottong viele Untersuchungen zur Frage der Sexualität, Fruchtbarkeit und Partnerschaft durchgeführt und Paare beraten. Mit ihr sprach Hubert Heeg (AKF – Arbeitsgemeinschaft Katholische Familienbildung)
Auf der ersten Seite dieses Neue Gespräche (Anm. der Redaktion)- Heftes ist eine Karikatur abgebildet, in der der Zeichner seinen 40jährigen Helden etwas traurig sagen läßt: „Sex ist nicht mehr alles. Nieder mit der Diktatur der Triebe!" Ist das männliche Sichtweise?
Dr. Sottong: Ob das männliche Sichtweise ist, kann ich nicht sagen. Tatsache ist jedoch, dass ein Mann, rein körperlich gesehen, zwischen 18 und 25 Jahren auf dem Höhepunkt seiner sexuellen Leistungsfähigkeit ist — wenn man die Zahl der möglichen spontanen Erektionen als Maßstab nimmt. Dies nimmt mit zunehmendem Alter langsam ab. Die Erregung ist nicht mehr so häufig spontan, dafür vielleicht aber viel intensiver. Und oft nimmt auch die Angst ab, dass der Orgasmus zu früh erfolgt. Ob das aber nun biologisch bedingt ist, sei dahingestellt. Wahrscheinlich hat ein Mann Mitte vierzig auch an Lebenserfahrung gewonnen und gelernt, zu genießen und mehr Verantwortung zu übernehmen, auch für seine Partnerin.
Also doch männliche Sichtweise.
Vielleicht. Ein Junge hat irgendwann seine erste Erektion und seinen ersten Orgasmus. Das ist für ihn immer auch lustbetont. Frauen sind anders: Für sie sind erste Blutung und später Koitus nicht unbedingt etwas Lustvolles. Sie müssen erst lernen, einen Orgasmus zu erleben. Sie erreichen ihr Erlebnismaximum auch später, mit etwa Mitte 30. Sie erfahren sich also ganz anders und nehmen ihre Körperlichkeit ganz anders wahr. Sie sind nicht so sehr auf ihre Geschlechtsorgane fixiert wie der Mann, der oft erst lernen muss, dass auch bei ihm andere Körperzonen erogen reagieren. Hier können die Frauen echte Entwicklungshilfe leisten. Sie können ihren Männern zeigen, welche anderen sinnlichen Erlebnisbereiche es noch gibt.
Heißt das aber nicht, daß auch im sexuellen Bereich die Frauen diejenigen sind, die Veränderungen bewirken und die Verantwortung für die Männer übernehmen müssen?
Um es bildlich zu sagen: Die besten erotischen Filme werden von Frauen gemacht. Während Männer meist ihre primäre Phantasie umsetzen und ruck-zuck alles vorüber ist, setzen Frauen Zärtlichkeit und Erotik ins Bild. Wer Zärtlichkeit nie als erfüllend erlebt hat, für den ist es natürlich viel schwerer, Zärtlichkeit umzusetzen. Nehmen Sie nur ein Beispiel: Mädchen gehen Hand in Hand über die Straße, das ist akzeptiert. Jungen erhalten dagegen den Stempel, schwul zu sein. Ich meine, Mann und Frau bringen beide etwas in die Beziehung ein: Frauen eher das zärtliche, ganzheitliche Element, Männer eher die Genitalität. Ich möchte das nicht werten. In ihrer Ehe können beide dann aber miteinander und voneinander lernen. Sie haben die ständige Chance, auszuprobieren, Schönheiten zu entdecken und Neues zu erleben.
Dennoch suchen Männer, wenn sie älter werden, häufig eine jüngere Partnerin.
Eine Frau kommt organisch unübersehbar in die Wechseljahre. Sie wird dadurch mit ihrem Älterwerden konfrontiert, muss sich damit auseinandersetzen. Ein Mann dagegen behält seine Zeugungsfähigkeit ein Leben lang. Wenn sich Männer nun hauptsächlich darüber definieren, erleben sie sich als ewig jung. Natürlich sind Bauch und Falten real da, aber weniger im Bewusstsein. Die junge Freundin macht auch ihn jung und stimuliert ihn vielleicht auch mehr. Aber ganz abgesehen von der Verantwortung gegenüber der eigenen Frau ist es meist ein Irrtum, zu glauben, nur bei einer neuen Frau dauerhaft Erfüllung zu finden. Denn im langen gemeinsamen Weg ist gegenseitiges Vertrauen gewachsen, haben sich Gemeinsamkeiten erschlossen, die tragen. Bei einem Partnerwechsel muss jeder wieder ganz von vorne beginnen, und das ist nicht unbedingt ein Garant für Erotik.
Welche Bedeutung hat für 40- bis 45jährige Menschen die Frage der Empfängnisregelung?
Für viele Paare zwischen 25 und 40 Jahre ist, wie empirische Erhebungen zeigen, die Frage der Empfängnisregelung mit der Pille geregelt. Für nicht wenige Frauen stellt sich dann aber irgendwann die Frage „Will ich so weitermachen?" oder auch „Kann ich so weitermachen?" Was aber bleibt dann übrig? Manche werden dann von ihrem Gynäkologen mit dem Vorschlag konfrontiert: „Kondom oder Sterilisation?" Doch das ist eine Frage, die eine Frau eigentlich gar nicht allein beantworten kann. Hier ist das Paar gefragt. Die beiden müssen die Antwort miteinander finden in Verantwortung vor sich und dem anderen, dem Partner, der Partnerin, und in Auseinadersetzung mit den christlichen Werten und Normen. Für die eine oder andere Frau über 40 kann eine weitere Schwangerschaft zur existentiellen Krise führen, für die andere die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches bedeuten. Das beeinflusst natürlich dann stark die Überlegungen zur Empfängnisregelung.
Wo können Paare Unterstützung erhalten? Wie kann sie aussehen?
Zunächst einmal sollten Paare gemeinsam zum Gynäkologen gehen und fachlichen Rat einholen. Darüber hinaus können Beratungsstellen in Ehe-, Familien und Lebensfragen aufgesucht werden. Das Paar sollte sich fragen: „Wer ist für uns unsere Vertrauensperson? Wessen Urteil ist uns wichtig?" Das kann ein Berater sein, ein Sozialarbeiter, ein Priester oder ein Freund, Vater oder Mutter. Wenn es gelingt, mit einem Dritten zu sprechen, verändern sich allein dadurch schon manche Strukturen und der Klärungsprozess beginnt.