Ich persönlich, zu 100%
Es klappt, aber es fällt schwer, bedauert Elke Pilkenroth. Selbst wenn ihr Sohn sie nur necken will, meldet sich sofort das schlechte Gewissen der alleinerziehenden Mutter
Ach Mama, wir wollten doch heute Abend etwas spielen. Jetzt kommst du schon wieder später!“ Enttäuschung schwingt in diesen Worten mit, und ich kann das nur allzu gut verstehen. Diese Worte sind oft gefallen, zu oft. Und da ist es auch wieder, das permanente schlechte Gewissen, das meinen Alltag begleitet, seitdem ich als alleinerziehende Mutter meinen mittlerweile 14-jährigen Sohn zur Welt gebracht habe. Sascha ist ein Prachtexemplar, wirklich. Naja, nicht immer, ein Lausbub ist er schon auch mal, aber er hat sich toll entwickelt, gemessen an den Umständen. An den Umständen – da meldet es sich schonwieder, das schlechte Gewissen und das Gefühl, als berufstätige alleinverantwortliche Mutter nicht überall 100 Prozent leisten zu können. Ob es anderen auch so geht? Eltern, die gemeinsam ihr Kind erziehen? Bestimmt nicht, denn die können sich die Verantwortung teilen. Manchmal wünsche ich mir auch jemanden, mit dem ich teilen kann: Freude, Leid, Glücksmomente, Fortschritte, Rückschritte, Erfolge, Niederlagen, Schönes wie Schlechtes. Dabei kann ich mich nicht beklagen, denn ganz allein lastet die Erziehungsverantwortung nicht auf meinen Schultern. Meine Mutter nimmt mir viel ab, und dafür werde ich ihr immer und ewig dankbar sein. Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude. Gerade deshalb ist meine Mutter wichtig, und meine engsten Freunde sind, manchmal auch unfreiwillig, zu Erziehungsberatern geworden. Weil Sascha, meine Mutter und ich gemeinsam unter einem Dach leben, hat auch mein Sohn zwei Bezugspersonen, von Beginn an: mich und meine Mutter. Dass ich mich hier zuerst nenne, liegt nicht an meiner Eitelkeit, sondern daran, dass es mir immer wichtig war, dass Sascha kein „Omakind“ wird, sondern seine Mutter als erstes Anlaufstelle betrachtet.
Die alleinige Erziehungsverantwortung – unter dieser Last glaube ich manchmal zusammenzubrechen. Klappt es bei meinem Sohn in der Schule nicht so gut, mache ich mich ganz persönlich und zu 100 Prozent dafür verantwortlich.
Vorwürfe aus der Statistik
Spricht der Fußballtrainer von mangelndem Sozialverhalten im Team, rechtfertige ich das mit der mangelnden Existenz eines Mannes im Haus. Ist mein Sohn bei einer Erkältung oder kleinen Verletzungen wehleidig, habe ich ihn wohl zu „weibisch“ erzogen! Vorwürfe, Vorwürfe, Vorwürfe – irgendwie beherrschen sie mein Leben. Dabei hat noch nie irgendjemand sonst solche Vorwürfe geäußert. Noch nie! Auch mit Vorurteilen wurde ich noch nie konfrontiert. Einen Grund zu jammern hätte ich also nicht. Aber Statistiken von sozialdefizitären Kindern Alleinerziehender, von überrepräsentierten Alleinerziehenden in Armutsstatistiken und von Vorurteilen gegenüber Familien (und Teilfamilien) im Allgemeinen haben mich die Jahre über unsicher werden lassen. Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Ich liebe meinen Sohn, ich stehe zu ihm, erzähle viel über ihn und zeige immer die neuesten Fotos von ihm herum. Jeder in meinem Bekanntenkreis weiß von ihm oder kennt ihn sogar. Er ist mein ganzer Stolz, und hinter dieser Floskel steckt vielmehr: Denn einziges Kind einer alleinerziehenden Mutter ist er die Person, die mir am Nächsten steht. Und mir fällt es entsprechend schwer, ihn loszulassen.
Dabei bin ich eine junge Mutter (erst 34 bei einem 14-jährigen Sprössling), habe eine Vollzeitstelle und einen recht großen Freundes- und Bekanntenkreis. Doch meinen Sohn an die lange Leine zu lassen, tut weh. Ich tue mein Bestes, klammere nicht, lasse ihm die Freiräume, die ein pubertierender 14-jähriger braucht. Eine Dauerkarte beim Club im Frankenstadion, regelmäßige Besuche der Heimspiele der Ice-Tigers, seine sonntäglichen „Kneipengänge“ ins Jugendbistro unserer Pfarrei und einiges mehr zeigen meinen guten Willen. Loslassen kann ich, aber es fällt mir schwer. Schwerer als verheirateten Müttern und Vätern?
Oder täusche ich mich nur und es geht jedem so? Ehrlich gesagt genieße ich auch die Tage, an denen ich als Mutter „sturmfreie Bude“ habe und mal so richtig entspannen kann.
Schade um die Leichtigkeit
Jetzt ist mein Sohn schon 14 Jahre alt, und ich finde es gut, „zurückzublicken“. Manches entspannt sich in der Retrospektive. Manchmal habe ich mich in die Lage des ständigen Rechtfertigens selbst hineingedrängt, es war gar nicht nötig. Und das permanent schlechte Gewissen haben sicher alle berufstätigen Mütter und nicht nur die Alleinerziehenden. Wenn aber die Erziehung nicht so läuft wie geplant, dann tauchen all die Selbstvorwürfe wieder auf. Schade, denn es geht uns Alleinerziehenden vielleicht einiges an Leichtigkeit verloren dadurch.
„Mama, wollten wir heute Nachmittag nicht ins Kino gehen?“, tönt es gerade aus dem Zimmer meines Sohnes. Und da ist es schon wieder, mein schlechtes Gewissen, das sich rührt und daran erinnert, dass ich den Sonntagnachmittag mit dem Niederschreiben dieser Gedanken verbracht habe.
Gott sei Dank war mein Sohn so vertieft in sein „Herr der Ringe“-Spiel, dass er die Zeit wohl auch vergessen hat. Die Frage sollte mich nur ärgern, sagte er mir später augenzwinkernd.
Elke Pilkenroth