Unternehmen Urlaubsfriede

Das Klima war rau. Draußen im Norden Dänemarks und drinnen in Angelika Neusers Familie. Bis ihr Sohn das Streitschlichterprogramm aus der Schule auspackte.

Sehnsucht nach Wärme und Beschaulichkeit

So, da waren wir nun. Im Norden Dänemarks, da wo die Landschaft nur noch aus weiten graubraunen Dünenstreifen und Meer besteht. Graugrüne Rasenflächen umgeben die kleinen weißen, aber schmucklosen Häuschen. Blumen wachsen in diesem rauen Klima kaum. Nur hin und wieder steht eine einsame Geranie im Fenster. Da saßen wir also nun nach zwölfstündiger Anreise und nach dem Auspacken der Koffer erschöpft und sprachlos um den Tisch: Matthias, mein Mann, nicht mehr so ganz der Typ jung-dynamischer Abenteurer, meine beiden Kinder Marie (13) und Frederic (10) und ich mit all meiner Sehnsucht nach Wärme und Beschaulichkeit. Die größtmögliche räumliche Distanz, die ein Tisch bieten konnte, zeigte mehr als deutlich: Dicke Luft! Jeder starrte vor sich hin, und es war deutlich zu spüren, dass eine baldige Klärung nicht möglich sein würde; weder mein Mann noch ich machten Anstalten dazu.

Alles wegen eines Schweinswals

Hier waren wir also per demokratischem Familienbeschluss gelandet. Da, wo ich auf gar keinen Fall meine wohl verdienten Ferientage verbringen wollte. Ich wollte im Sand liegen, bis ich die Wärme in allen Gliedern spüren konnte, wollte in gemütlichen Cafés sitzen, durch nette kleine Ortschaften schlendern, in Geschäftchen stöbern und ganz nebenbei auch noch im Liegestuhl faulenzend meine zahlreichen Bücher lesen.

Kurz: Ich war sauer. Enttäuscht, im Familienrat überstimmt worden zu sein. Wir kannten schließlich diese Örtlichkeit aus zwei Stippvisiten in den letzten zehn Jahren; immer war es zu kalt und zu ungemütlich gewesen, um sich wirklich wohl zu fühlen. Aber meine Bedenken wurden einfach hinweggefegt zugunsten einer alten Erinnerung seitens der Kinder – eines Schweinswals, der zugegeben am Strand liegend ziemlich groß war. Aber tot. Doch den Kindern versprach diese Erinnerung in ihrer Fantasie die tollsten Abenteuer. Und

mein Mann liebt dieses raue, immer tosende und schäumende Meer in seinen Eisfarben und die hohen Wellen, die laut auf den Strand laufen. Zugegeben, das Häuschen war nett, vielleicht sogar ganz schön. Sauber und sogar ein wenig gemütlich. Trotzdem fand ich es kalt und die Vorstellung, meinen gesamten Sommerurlaub hier verbringen zu müssen, stimmte mich missmutig.

„Ich könnte euch helfen!“

Da ergriff mein Sohn die Initiative. „Ich weiß, wie man Streit schlichtet. Ich könnte euch helfen!“ eröffnete er uns.

Auch das noch! Das blöde Streitschlichterprogramm, das er in der Schule kennen gelernt hatte! Unsicher schaute ich zu meinem Mann. Sein Kommentar fiel kurz und knapp aus: „Hm.“ - „Wir können es ja mal versuchen“, blieb mein Sohn hartnäckig. „Was müssen wir denn machen?“, wollte mein Mann wissen.

Nun schien das Ganze auch für unsere Tochter spannend zu werden. Sie holte sich demonstrativ ein Buch, schlug es auf und setzte sich ans andere Ende des großen Tisches. Deutlich war ihr die Aufmerksamkeit anzumerken.

Mir war unbehaglich zu Mute. Es war mir peinlich, dass mein Sohn meinen Missmut so deutlich gespürt hatte und sich jetzt offensichtlich verantwortlich fühlte. Außerdem helfen Eltern ihren Kindern und nicht umgekehrt!

„Also“, begann er eifrig, „ihr müsst euch gegenüber setzen, und ich sitze dazwischen. Dann müsst ihr genau erklären, was euch stört. Ihr müsst den anderen ausreden lassen und dürft nicht unterbrechen. Alles klar?“ Prüfend wanderte sein Blick von einem zum anderen.

„Alles klar!“ beeilte sich mein Mann zu bestätigen. „Mama?“ Frederics Blick klebte an mir.„Okay. Meinetwegen“, gab ich etwas unwillig nach.

„Mama, du fängst an. Du hast dich ja schließlich geärgert. Du darfst alles sagen, was du willst!“
Marie blickte von ihrem Buch auf. Mein Mann sah mich aufmerksam an. Mein Sohn lächelte mir aufmunternd zu.

Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut. Unsicher überlegte ich, um ganz klar in Worte fassen zu können, was mich letztlich so sehr enttäuscht hatte. Immerhin tat mir diese ungeteilte Aufmerksamkeit gut.

Meine Familie hatte sich in den vergangenen Tagen wirklich sehr bemüht, mir die Vorteile dieses Urlaubsortes näher zu bringen, und mir auch viele kleine Dienste erwiesen, um mich positiv zu stimmen. Eigentlich war es ungerecht von mir, so schlecht gelaunt zu sein. Schließlich hatten wir beschlossen, diesmal demokratisch abzustimmen, und ich hatte dem beigepflichtet. Allerdings in der Erwartung, mein Mann und ich könnten das Geschehen so lenken, dass alle zufrieden das entscheiden, was mir ein großes Anliegen war.

Einer nach dem anderen

Vorsichtig begann ich zu berichten, was ich mir für einen gelungenen Urlaub gewünscht hätte, zum Beispiel: ein gemütliches Café, einen netten Stadtbummel, ein bisschen mehr grün als grau, baden im Meer statt frieren am Meer. Im Hochsommer!

Alle hörten mir aufmerksam zu, und ich hatte das Gefühl: Endlich konnte ich mal so richtig berichten, was mich bewegt. Der dicke Kloß in meinem Hals begann leicht zu rutschen.

„Fertig?“ fragte Frederic nach einer kleinen stillen Pause.
Ich nickte.
„Jetzt du.“ Er nickte seinem Vater mit der gleichen Aufmerksamkeit zu wie mir kurz zuvor. Auch mein Mann hatte jetzt Gelegenheit zu erzählen, warum er so gerne hier ist und wie groß sein schlechtes Gewissen mir gegenüber ist, weil er mit den Kindern einen Konsens gefunden hatte, der gegen meine Vorstellungen ging.

Meine Tochter hatte ihr Buch auf dem Tisch abgelegt und verfolgte äußerst aufmerksam das Geschehen.

Ein Opfer der Demokratie

Langsam verstand ich meinen Mann ein wenig besser und begriff immer mehr, wie sehr er sich bemühte, alle zufrieden zu stellen. Es tat gut, ihm in aller Ruhe zuhören zu können. Meine Anspannung ließ nach.

„Wollt ihr noch etwas fragen? Oder habt ihr alles verstanden?“ hakte mein Sohn nach, nachdem sein Vater geendet hatte.
Wir hatten alles verstanden.
„Gut. Was können wir von den Sachen, die ihr erzählt habt, nicht ändern?“
Wir zählten gemeinsam einige Punkte auf: das Wetter, den Wind … Ich fand es inzwischen gar nicht mehr merkwürdig, dass unser Sohn die Führung übernommen hatte. Voller Vertrauen in sein Tun erwartete ich den Fortgang.

„Okay. Was können wir denn machen, dass Mama sich ein bisschen wohler fühlt? Mama, was willst du machen?“

„Ich möchte wenigstens einmal in eine größere Ortschaft und gemütlich Tee trinken. Ich möchte in Ruhe meine Bücher lesen und wenigstens einmal am Tag mit Matthias einen langen Spaziergang machen.“

Oh Wunder, es ging mir besser.

"Ihr könnt euch einen Kuss geben"

Frederic klärte mit uns gemeinsam, inwieweit sich meine Wünsche erfüllen ließen. Und nachdem das versprochen war, sah er sein Unternehmen Streitschlichtung als gelungen an. Er blickte keck von einem zum anderen. „Na Leute, alles easy! In der Schule müssen die sich immer die Hand geben, aber ihr könnt euch ruhig einen Kuss geben.“

Freudig stand er auf und klapste seiner Schwester auf die Schulter: „Na, wie hab’ ich das gemacht? Komm’, lass’ uns ’ne Runde Volleyball spielen.“

Marie grinste uns breit an. „Gut, Kleiner! Wir lassen die jetzt besser mal allein“. Und raus waren sie.

Bleibt anzumerken: Der Urlaub war kalt, aber unsere Verabredungen wurden alle eingehalten. Wieder zu Hause fassten wir demokratisch den Entschluss: Die nächsten zehn Jahre fahren wir nicht mehr in den Norden von Norddänemark. Jedenfalls nicht gemeinsam.

Gelernt haben wir, dass jeder in der Familie Verantwortung für die anderen seinen Fähigkeiten entsprechend übernehmen kann. Danke, mein Sohn!

Angelika Neuser