Auf Augenhöhe mit den Lehrern
Eltern und Lehrer arbeiten in den Schulen auf vielfältige Weise zusammen. Doch als echte Partner erleben sie sich dabei eher selten.
Ohne die Eltern geht es nicht. Lehrerinnen und Lehrer erfahren das in den Klassenzimmern täglich – zum Beispiel, wenn Kinder nicht bei der Sache bleiben können, weil sie vor dem Unterricht noch nicht gefrühstückt, dafür aber schon reichlich ferngesehen haben.
Ohne Eltern geht es auch nicht aus „höheren“ Gründen: Aus der Erstzuständigkeit für die Erziehung ihrer Kinder, die das Grundgesetz Eltern zuschreibt, folgern konsequenter Weise Mitwirkungs- und Mitsprachemöglichkeiten in den Schulen. Und: Ohne Eltern geht es nicht, weil sich die Begleitung der Heranwachsenden nicht nur auf die Schule beschränken kann, sondern die Aufmerksamkeit vieler benötigt, zuallererst der Eltern.
In der Praxis lassen sich vor allem drei Formen der Kooperation zwischen Elternhaus und Schule unterscheiden:
1. Eltern-mit-Arbeit
Dazu gehören all die Tätigkeiten, mit denen sich Eltern in die Gestaltung des Schullebens einbringen und mit denen sie die professionelle Arbeit der Lehrer unterstützen, bereichern und manchmal auch erst ermöglichen:
- Eltern beteiligen sich, oft unter Einsatz professionellen Wissens und Könnens, mehr oder weniger regelmäßig an der Gestaltung, Einrichtung und Renovierung von Klassenzimmern, Schulhöfen Sporthallen, Kunsträumen, Mensen …, bauen Kulissen und schneidern Kostüme für Theateraufführungen und so weiter. Den Schulen und ihren Trägern erwachsen daraus oft beträchtliche ökonomische Vorteile.
- Sie assistieren bei pädagogischen Aufgaben, leisten Aufsicht in Bibliotheken, bei Exkursionen, Wandertagen, Sportfesten, Klassenfesten, Klassenfahrten …
- Sie unterstützen schulische Informationsveranstaltungen, zum Beispiel durch Vorstellung der eigenen Berufe, oder bereichern Arbeitsgemeinschaften durch Einbringen eigener Hobbys.
- Sie beteiligen sich durch Kuchenspenden und vielfältige andere praktische Arbeiten am Gelingen von Schulfesten, die Lehrer allein nicht organisieren könnten.
Die Aufträge dafür kommen im Wesentlichen von der Schule oder von einzelnen Lehrern, die letztlich auch verantwortlich sind. Diese Formen von Eltern-Mitarbeit sind an vielen, wenn nicht den meisten Schulen verbreitet; oft wird unter „Elternarbeit“ sogar ausschließlich diese Form der „Eltern-mit-Arbeit“ verstanden. Lehrer legen darauf großen Wert, weil Eltern sie entlasten und das Angebot der Schule insgesamt erweitern und differenzieren – ohne dass die Schulträger dafür Geld und die Lehrer zusätzliche Zeit investieren müssen. Und für Eltern eröffnen sich vielfältige Chancen, sich in das Schulleben einzubringen.
2. Eltern-mit-Wirkung
In diesem (schul-)politischen Bereich engagieren sich in der Regel nur wenige Eltern. Sie beteiligen sich an der Gremienarbeit auf Klassen-, Jahrgangs- und Schulebene, an der schulübergreifenden Arbeit in Stadtschulpflegschaften sowie auf Landes- oder Schulträgerebene und in Elternverbänden. Das verbindende Merkmal der beteiligten Eltern ist ihr politisches Interesse. Sie nehmen bei Entscheidungen, die die pädagogische sowie die schulorganisatorische Arbeit betreffen, Mitsprache-, Mitbestimmungs- und Entscheidungsrechte wahr, nicht selten kritisch beäugt von der Lehrerseite, wenn sie beispielsweise zusätzlichen Unterrichtsausfall zugunsten einer pädagogischen Konferenz monieren. In solchen Fällen sind Konflikte unausweichlich. Auch Schulleiter seufzen mitunter über die elterliche Mitwirkung, ohne die sie „ihre“ Schule leichter und reibungsfreier betreiben könnten. Sie übersehen dabei allerdings den Erziehungsprimat der Eltern; er erfordert es logisch zwingend, ihnen Einfluss auf den Schulbetrieb einzuräumen.
Im Widerspruch dazu schränken auch Schulträger die Mitwirkungsrechte der Eltern ein. So existiert bis heute weder in Nordrhein-Westfalen noch in Bayern ein Landeselternrat, der das elterliche Mitwirkungsrecht organisieren könnte. Zudem sehen aktuelle Schulgesetze vor, dass etwa in Schulkonferenzen Eltern und Schüler auf der einen Seite gemeinsam nur so viele Stimmen haben wie Lehrer auf der anderen Seite; im Zweifelsfall entscheidet die Stimme des Schulleiters. (Die neue Landesregierung in NRW will diese beiden Mängel nun endlich abstellen.) Dagegen gilt es klarzustellen: Der Primat bei der Erziehung ihrer Kinder gebührt den Eltern, die Schulen arbeiten subsidiär. Dazu kommt: Bei den politisch engagierten Eltern, die sich für solche Aufgaben interessieren, lösen Einschränkungen ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten empfindliche Reaktionen aus, da sie sich ungern bevormunden lassen. Schlimmstenfalls resignieren solche Eltern, um dann Platz zu machen für andere, denen es bei ihrer Mitwirkung in der Klassen- oder Schulpflegschaft nur noch um einen besseren Draht zu den Lehrern zugunsten der eigenen Kinder geht.
3. Eltern-mit-Erziehung
Unter dieser Überschrift geht es um die eigentliche Erziehungsarbeit, die pädagogische Kooperation zwischen einzelnen Lehrern und Eltern, aber auch auf Klassen- oder Schulebene zwischen den Lehrern und den Klassenpflegschaften sowie dem Gesamtkollegium und der Gesamtelternschaft. Im Mittelpunkt steht dabei häufig die Verständigung über das einzelne Kind. Lehrer fordern von den Eltern Assistenz etwa bei der Erledigung von Hausaufgaben ein (bis hin zur Nachhilfe), Hilfestellung bei der Ordnung der Schulmaterialien, Arbeits- und Lernorganisation. Und sie erwarten – durchaus zu Recht –, dass Eltern ihren Teil
der Erziehung erfüllen und dafür Mitsorge tragen, dass Kinder ausgeschlafen, lernbereit, körperlich fit und mit dem nötigen seelischen Rückhalt ausgestattet in der Schule erscheinen. Eltern ihrerseits erwarten von den Lehrern eine „gerechte“ Behandlung ihrer Kinder, eine pädagogisch kompetente Beobachtung und Förderung ihrer individuellen Entwicklung, die Berücksichtigung familiärer Lern- und Lebenskontexte sowie individueller Befindlichkeiten Jugendlicher während der Pubertät – alles in allem: pädagogisches Geschick, Sorgfalt und Professionalität.
Hinter der erhöhten kritischen Aufmerksamkeit, mit der Eltern die Arbeit von Lehrern beobachten und vielleicht sogar zum Thema von „Familienkonferenzen“ machen, steht ihr Interesse an der Entwicklung und Förderung ihrer Kinder und letztendlich an der Sicherung optimaler Chancen für den eigenen Nachwuchs. Dabei sind Eltern untereinander oft nur solidarisch, solange die Interessen ihrer Kinder identisch sind; bei ihrem Bemühen um die Verbesserung der Lern- und Lebenschancen für das eigene Kind geraten sie mitunter in Konkurrenz zueinander. Als besonders neuralgische Punkte erweisen sich oft die Notenvergabe sowie (je nach Bundesland) die verbindlichen Grundschulgutachten, die
Kinder einer bestimmten weiterführenden Schulform zuweisen. (Nachgewiesenermaßen liegen die Urteile der Schulen dabei in mehr als 30 Prozent der Fälle daneben.) Kommunikationsprobleme und Konflikte zwischen Lehrer und Eltern liegen dann auf der Hand.
Die Vermeidung solcher und anderer Konflikte – oder wenigstens: der sichere Umgang damit –, aber auch eine fruchtbare Elternarbeit insgesamt verlangen von Schulen mehr als ein bloßes Abhaken der alljährlichen Pflichtübungen (TOP 1. Wahl des Pflegschaftsvorsitzenden, TOP 2. Wahl des Stellvertreters …) und das Werben um Hilfskräfte für Klassenfahrten und Schulfeste. Gefordert ist zuerst eine gemeinsame Reflektion von Lehrern und Eltern:
- Es gibt verschiedene Formen der Elternansprache, je nach dem, welche Wünsche die Schule artikulieren will.
- Die unterscheidbaren Formen Mitarbeit, Mitwirkung und Miterziehung evozieren jeweils unterschiedliche Formen der Kommunikation.
- Aktive Eltern sind nicht gleich aktive Eltern: Sie haben unterschiedliche Prioritäten und Stärken.
- Eltern sind in schulischen Zusammenhängen in aller Regel ehrenamtlich und in ihrer Freizeit tätig: Welche Formen der Anerkennung dafür pflegt die Schule?
- Ist den Lehrern bewusst, dass sie von unterschiedlichen Eltern unterschiedliche „Bereitschaften“ zu erwarten haben? Welche Lehrer sind in ihren persönlichen Kommunikationsformen flexibel genug, darauf angemessen zu reagieren?
- Ist Eltern bewusst, dass sie verschiedenen Mitwirkungsformaten gegenüberstehen?
Mit anderen Worten: Gefordert ist ein Konzept, das Eltern-mit-Arbeit, Eltern-mit-Wirkung und Eltern-mit-Erziehung unterscheidet und dann differenziert damit umgeht. Dann können Eltern und Lehrer sich als Partner auf Augenhöhe begegnen.
Michael Sandkamp