Zeit zu konsumieren – Zeit zu genießen
Ob wir Zeit haben oder keine Zeit haben, kommt auf die Art und Weise an, wie wir leben. Es kommt darauf an, wofür wir uns entscheiden. Unsere Entscheidung, was wir in unserer Zeit tun, geht aus von dem Wert, den wir einer Sache beimessen.
1. Beobachtungen
a. Das Wort Konsum bezeichnet eigentlich den Verbrauch von Gütern: Essen und Trinken, Benutzung von Werkzeugen und Verkehrsmitteln, das Tragen von Kleidung etc. Es ist nun seltsam und bedenkenswert, dass wir unter Konsum immer mehr den Erwerb von Konsumgütern verstehen. Der Konsum verlagert sich vom Esszimmer, vom Wohnzimmer in die Geschäfte, Ausstellungshallen, Supermärkte. Das Wort „Konsum“ bezeichnet immer weniger den Bereich des Verbrauchs und immer mehr den Bereich des Handels und der Verteilung.
b. Der Konsum in diesem Sinne ist eine typische Verrichtung der Familienarbeit. Der Einkauf wird nicht bezahlt, ist aber auch kaum der Erholung und der Feier zuzurechnen. Es handelt sich um notwendige nicht bezahlte Arbeit. Früher war der Einkauf eine regelmäßige Tätigkeit und bot vor allen den Frauen stabile tägliche Sozialkontakte.
c. Seitdem am Rand der Städte die Supermärkte wie Pilze aus dem Boden schießen, wandelt sich das Konsumverhalten. Der Einkauf findet seltener statt und wenn er stattfindet, dann braucht er sehr viel mehr Zeit. Es gibt eine Tendenz vom kurzen Tageseinkauf zum langen ausgedehnten Wochenendeinkauf, von vielen Spezialeinkäufen zum Einkauf unter einem Dach. Früher ging nur die Frau evtl. mit den Kindern, heute geht die ganze Familie einkaufen.
d. Die wichtigste Veränderung besteht sicherlich darin, dass der Konsum immer weniger als Arbeit, sondern als Freizeit und Erholungszeit aufgefasst wird. Nicht mehr, was man braucht und kauft, spielt eine Rolle, sondern was man sieht und ausprobiert. Konsum kann auch darin bestehen, einfach nur die Fülle des Angebotes zu erleben. Für viele scheint es auszureichen, sich anzuschauen, was sie kaufen könnten – wenn sie das entsprechende Geld hätten.
e. Dieser Konsum bringt auch eine bestimmte Zeiterfahrung mit sich. Dinge die man kaufen kann, gibt es im Überfluss. Es gibt mehr als man verbrauchen kann. Insofern entsteht das Gefühl der Unübersichtlichkeit. Man kann nicht mehr alles überblicken, was es gibt. Man hat nicht mehr genügend individuelle Lebenszeit, um alles, was es gibt, zu betrachten und zu genießen. Zeitmangel wird zu einem Grundcharakteristikum eines Lebens, das seine Höhepunkte im Konsum sucht.
f. Die Erfahrung von Zeitknappheit angesichts eines Überangebots stellt sich auch in anderen Bereichen der Freizeit ein: Beim Fernsehen, bei kommerziellen Freizeitangeboten wie Vergnügungsparks, angesichts der Kultur- und Bildungsangebote etc.
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3. Das gemeinsame Mahl als Teil der Familienkultur
a. Konsum und Genuss sind nicht dasselbe
„Der Konsum verführt uns dazu, dass wir uns mit den Möglichkeiten, etwas genießen zu können, begnügen. Durch die Überfülle des Warenangebots erzeugt er das Gefühl, immerzu etwas zu verpassen. Er erzeugt das Gefühl der Zeitknappheit. In der Hetze vom Supermarkt zum Einkaufszentrum, von Regal zu Regal, bleibt für das Einzelne wenig Zeit. Weil wir alles haben wollen, können wir nichts mehr genießen.“
Falls in dieser düsteren Kritik des Konsumismus nur ein Körnchen Wahrheit enthalten sein sollte, dann ist die Einübung von Genussfähigkeit und der sinnvolle und aufmerksame Gebrauch der Dinge schon eine Art Widerstand gegen den Konsumismus.
b. Das Essen ist ein zentraler Bereich des Familienlebens
Neben der Versorgung der Familienmitglieder mit der lebensnotwendigen Nahrung dient es vor allem dem Gespräch miteinander. Durch die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort sowie die vielfältigen Aktivitäten der einzelnen Familienmitglieder außer Haus wird die Familienzeit im Sinne gleichzeitiger Anwesenheit aller immer geringer. So erhalten die gemeinsamen Mahlzeiten einen besonderen Stellenwert.
Bei Tisch besteht Gelegenheit, miteinander zu sprechen. Erfahrungen auszutauschen, Probleme einzubringen und zu lösen und sich in dem Beziehungsgeflecht Familie zu erleben. Eine gemeinsame Mahlzeit pro Tag trägt dazu bei, der Vereinzelung vorzubeugen und den roten Faden Gesprächskultur nicht abreißen zu lassen. Auch wenn dies nicht täglich möglich ist, sollte eine gewisse Regelmäßigkeit eingehalten werden. Das ausgiebige Frühstück am Samstag oder das sonntägliche Fest-Mahl ragen aus der Reihe der alltäglichen Mahlzeiten heraus.’
Neben der Pflege der Gesprächskultur gilt es auch auf eine gewisse „Esskultur“ zu achten. Dazu gehört z.B. der gedeckte Tisch und das ansprechende Servieren der Speisen. Die Grundregeln des Benehmens am Tisch werden den Kindern in mühevoller Kleinarbeit (und mit ständiger Rückfallgefahr) beigebracht, mal mehr und mal weniger streng. In christlichen Familien gehört das Tischgebet selbstverständlich (?) zur Mahlzeit. Es markiert nicht nur den gemeinsamen Beginn des Essens, sondern macht vor allem deutlich, dass wir diese Speise- und letztlich unsere Existenz – einem liebenden Schöpfergott verdanken.
c. Gemeinsames Essen im Familienkreis und unter Freunden
Die Erfahrung, dass alle etwas mitbringen und das Mitgebrachte wieder neu verteilt wird, dass die Eltern Zeit zum ausgedehnten Gespräch haben, die Kinder nach dem früher beendeten Essen bereits spielen können – dieses und viele andere kleine Akzente sind vielleicht die eindrucksvollsten Erfahrungen in den vielen Familienkreisen, die es im kirchlichen Raum gibt.
d. Das Mahl als religiöses Symbol
Das Mahl ist in der Glaubensgeschichte der Juden und der Christen ein herausragendes religiöses Symbol. Die Kirche, die die Einheit der Menschen untereinander und mit Christus auf ihrem Weg durch die Geschichte realisiert, wird zentral im eucharistischen Mahl erfahren.
Wer wirklich genießen kann, wird im Genuss des Brotes und des Weines den Wunsch verspüren, dass niemand ausgeschlossen ist. Und wer die Eucharistie feiert, dem wird die Unterscheidung zwischen Konsum und Genuss wichtig, der begnügt sich nicht mit den vorbeifliessenden Waren.