Die Ostereier im Januar
Worum geht es bei der Konsumerziehung wirklich? Und warum kann die „Pädagogik des Kirchenjahrs“ dabei helfen!
»Durchstarter« finden das toll
Was für ein einladen des Versprechen! »Wir machen den Weg frei«, steht auf dem Plakat der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Vor mir sehe ich eine breite Straße, die schnurstracks zum Ziel führt ... Aber so einfach ist das nicht mit dem »Weg frei machen«, schon gar nicht, wenn das Mittel dazu Geld heißt. Im tatsächlichen Leben gibt es nun mal Kurven, Steigungen, Hindernisse, Stolpersteine; mit der Wirklichkeit hat das Bild von dieser geraden, breiten Straße also nichts zu tun. Es verstärkt darüber hinaus eine Sieger-Mentalität, die wir in unserer von Geld und Konsum geprägten Gesellschaft überall antreffen können. »Durchstarter« finden das toll. Doch an der Strecke leben viele Menschen, denen wichtige Entwicklungschancen verwehrt bleiben. Für sie gilt »Wir machen den Weg frei« nicht.
Auch darum geht es, wenn von der Erziehung zum richtigen Konsumverhalten (Konsumerziehung) oder von der Erziehung zum vernünftigen Umgang mit Geld (Gelderziehung) die Rede ist. Wie immer, wenn es um Erziehung geht, sind dann zentrale Werte und Haltungen der Erziehenden selbst und des Umfelds, der Gesellschaft angesprochen. Deshalb ist Konsumerziehung keine »Spezialabteilung« erzieherischer Bemühungen. Der Umgang mit Geld und Gütern samt aller Konflikte, die sich daraus ergeben, muss genauso eingeübt werden und berührt ähnliche Werte wie das Diskutieren, Planen, Freizeit gestalten. Erziehung zum souveränen Konsum hat zu tun
- mit dem Entdecken eigener wichtiger Bedürfnisse,
- mit dem rechten Augenmaß, sich nicht zu verzetteln,
- mit der Freude an schönen Dingen, lustvollen Erfahrungen und Lebensfülle,
- aber auch mit Gerechtigkeit und Rücksichtnahme.
»Kinder im Kaufrausch«???
Seit Jahren berichten Medien verstärkt über das (angeblich) problematische Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen. Da wird von Konsumabhängigkeit gesprochen, von Sucht und exzessivem Verhalten. Ist das wirklich so? Befinden sich Kinder und Jugendliche — oder zumindest viele von ihnen — tatsächlich im Kaufrausch?
Wie so oft wird ein »neues« Problem zunächst bei jungen Menschen festgestellt und festgemacht. »Kinder im Kaufrausch«: Solche Schlagzeilen vermarkten sich gut. Tatsächlich zeigen wissenschaftliche Untersuchungen jedoch: Das Kaufverhalten von Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich nicht vom Kaufverhalten der Erwachsenen. 82 Prozent konsumieren »normal«; bei den übrigen18 Prozent ist das Kaufverhalten »auffällig« oder »problematisch« - in allen Altersgruppen.
Also Entwarnung? Nein. Kinder und Jugendliche verhalten sich genauso konsumkonform, wie es die durch und durch von Konsum geprägte Gesellschaft ihnen vorgibt. Sie tun, was gesamtgesellschaftlich erwartet wird. Angebot und Nachfrage beleben die Wirtschaft; Kinder und Jugendliche sind darin mit ihrer Kaufkraft ein wichtiger Faktor. Ihr Geld wird gebraucht - ob uns das passt oder nicht. Und es gibt Junge wie Ältere, die vom Konsum abhängig sind, deren Verhältnis zum Kaufen kräftig gestört ist.
Demonstrativ, kompensatorisch, süchtig
Die Fachliteratur unterscheidet drei Arten von problematischem Konsum:
- Demonstrativer Konsum »versucht soziale Anerkennung statt durch Leistung durch den Besitz und die Darstellung materieller Güter zu gewinnen und den eigenen Status gegenüber anderen aufzuwerten« — so der Bielefelder Konsumforscher Elmar Lange.
- Kompensatorischer Konsum »soll Defizite kompensieren, die aus dem Nicht-Lösen ganz anderer Konflikte entstanden sind. (Er) kann beispielsweise die Funktion haben, dem Käufer über beruflichen Stress oder private Enttäuschung hinweg zu helfen« — so Langes Hohenheimer Kollege Gerhard Scherhorn.
- Kaufsucht kann sich aus kompensatorischem Kaufverhalten entwickeln. Ihre typischen Merkmale sieht Lange in der »Verengung auf bestimmte Objekte«, »Unwiderstehlichkeit«, »Dosissteigerung« sowie »Entzugserscheinungen«.
Die Übergänge zwischen demonstrativem, kompensatorischem und süchtigem Konsum fließen. Zudem warnt Lange davor, das Kind mit dem Bad auszuschütten. »Jeder konsumiert im Lauf seines Lebens mehr oderweniger häufig auch kompensatorisch und gönnt sich etwas, um den Frustrationen des Alltags zu begegnen.«
Hast du was, bist du was!
Problematische Vorbilder setzt vor allem die allgegenwärtige Werbung. Sie erzeugt ein Lebensgefühl, dem sich auch Kinder und Jugendliche kaum entziehen können. Die Botschaft ist klar und stimmig: Du willst dazu gehören, also musst du dies und jenes besitzen.
Darin spiegelt sich ein Haupt-Wert unserer Gesellschaft: Hast du was, bist du was! Das erfahren Kinder und Jugendliche ständig. Viel zu besitzen, gilt als Wert an sich - je mehr, desto besser.
Vorbildfunktion hat auch die Politik. Welchen Eindruck hinterlassen eine öffentliche Verschuldung und Haushalts-Überziehungen in Milliardenhöhe? Bei solchen Summen, könnten Kinder und Jugendliche denken, ist das Überziehen des Taschengelds doch kaum der Rede wert. Wahrscheinlich denken auch viele Erwachsene so.
Und wie steht es um das Vorbild der Erwachsenen im näheren Umfeld von Kindern und Jugendlichen? Können Kinder bei ihnen angemessenes Konsumieren »am Modell« erlernen? Haben sie es mit Erwachsenen zu tun, die souveräne Konsumenten sind? Wie gehen wir in der Familie mit unseren Konsum- Wünschen um? Wie und wofür geben wir (unser) Geld aus? Wer hat dabei das Sagen? Welche Regeln gibt es? Wer hat sie vorgegeben? Oder sind sie gemeinsam entwickelt worden? Halten wir dogmatisch daran fest oder passen wir sie dynamisch wechselnden Bedürfnissen an? Wie klären wir Konflikte um Geld und Konsum? Gilt auch hier: Geld ist Macht?
Konsumerziehung trifft also den Nerv. Sie beginnt im Umgang mit sich selbst, mit der Partnerin oder dem Partner, im Umgang mit den Kindern. Zuallererst geht es dabei nicht um das Erlernen von Techniken und Wissen (etwa über Waren- und Geldkunde oder das Erkennen von Werbestrategien), sondern um das Erfahren und Entwickeln von sozialen Kompetenzen.
Damit können Eltern und andere Pädagogen auch gegen die gesellschaftlichen Trends und Werte eine Menge bewirken. Als bestes Mittel zur Stärkung des souveränen Konsumverhaltens von Kindern und Jugendlichen hat sich dabei — wieder einmal — der Leitsatz bewährt: Macht die Kinder stark! Tut alles dafür, dass sie sich zu selbstständig denkenden und handelnden Persönlichkeiten entwickeln. Dann konsumieren sie wesentlich problemfreier. Umgekehrt hält der Sozialwissenschaftler Professor Elmar Lange fest: »Kompensatorischer Konsum und Kaufsucht sind im Wesentlichen die Folge einer ausgeprägten Selbstwertschwäche, die aus einer Störung der Entwicklung der persönlichen Autonomie entstanden ist.«
Was heißt das konkret? Was ist zu vermeiden, was hilft?
Kein Mittel, um Selbstständigkeit zu fördern, sind jedenfalls Vorhaltungen, Kontrolle und Eingrenzungen. Die Konsumforschung belegt eindeutig: Ein autoritärer Erziehungsstil begünstigt Konsum genauso wie Überbehütung im Elternhaus. Eltern müssen also für sich klären, mit welchen Einstellungen und Mitteln sie erziehen: Sind sie ängstlich, behüten sie zu sehr — und blocken damit persönliche Entwicklungen und das Selbstständigwerden der Kinder ab? Oder sind sie umgekehrt autoritär, drängen sie auf Leistung — und vermitteln Kindern und Jugendlichen so das Gefühl, nicht »okay« zu sein? Ein möglicher Ausweg (auch von Erwachsenen!), mit einem solchen Mangel an Erfahrungen oder solchen Minderwertigkeits-Gefühlen fertig zu werden, könnte heißen: Tu dir was Gutes — kaufe! Willst du wer sein — kaufe! Der Kunde ist bekanntlich König. So wird das Gefühl von Schwäche und Unterlegenheit kompensiert.
Positiv entwickeln kann sich das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen dagegen, wenn die Eltern ihnen viel zutrauen. Vielleicht müssen sie hin und wieder ermutigt werden: »Ich traue dir das zu. Das schaffst du schon.« Dieses Zutrauen (das manchmal auch ein »Zumuten« sein kann, vgl. »Praxis 1-3«) müssen Kinder spüren. Je autonomer sie sind, desto besser können sie für sich und andere sorgen. Und desto weniger sind sie davon abhängig, sich von anderen »den Weg frei machen« zu lassen.
Praxis 1: Taschengeld
Am Taschengeld entzünden sich Konflikte. Darin steckt eine Menge Emotionalität: unterschiedliche Maßstäbe und Auffassungen bei den Eltern, das Feilschen und die Klagen der Kinder (»Der Peter bekommt aber...«) Schlussfolgerungen aus einer kleinen Umfrage unter Kindern und ihren Eltern:
- Es gibt keine Taschengeld-Patentlösung. Durchschnittswerte, die Ratgeber nennen, taugen bestenfalls als Orientierungshilfe. Eigene Regelungen sind vorzuziehen. Das Aushandeln und Absprachen über die Höhe und die Verwendung des Taschengelds einschließlich späterer Anpassungen und Korrekturen eröffnen wichtige Lernchancen.
- Das heißt auch: die eigenen (finanziellen) Grenzen klar haben und den Kindern auch benennen. Es lohnt sich, Kinder frühzeitig an Haushaltsfragen zu beteiligen: Wie viel brauchen wir für den Haushalt? Was kostet der Urlaub? So erfahren Kinder Grenzen und lernen am Beispiel der Eltern mit Geld zu planen.
- Eltern tun gut daran, die Taschengeld-Höhe nicht in Konkurrenz zu anderen Familien zu bemessen. Viel wichtiger ist es, dass die Regelungen für die eigene Familie stimmig sind.
- Und wenn das Taschengeld nicht ausreicht? - Die Erfahrung, dass es nicht vom Himmel fällt, ist wichtig. Warum sollen Kinder den Zusammenhang von Arbeit und Geld nicht erfahren, indem sie sich zusätzliches Geld dazu verdienen?
- Besonders jüngere Kinder (Schulanfänger) brauchen Unterstützung beim Festlegen von Prioritäten und bei Entscheidungen im Umgang mit dem Geld — so dass sie die Erfüllung von Wünschen zu planen lernen.
- Aber: Kinder müssen über ihr Geld frei verfügen können. Bedingungen (»Wenn du nicht..., dann bekommst du nicht«) laufen auf einen Handel »Wohlverhalten gegen Geld« hinaus.
- Bei der Taschengeld-Zahlung aufs Konto statt in die Hand entstehen Bedenkzeiten, die einen bewussteren Umgang mit dem Geld fördern.
Praxis 2: Teilen
»Silvi kommt heute spät aus der Schule. Wir lassen ein großes Stück Kuchen für sie übrig — okay?« Alltag in der Familie: Alle sollen ihren Teil bekommen.
Selbstverständlich ist diese Haltung nicht. (Kleine) Kinder müssen sie erst lernen. Und der Zeitgeist fördert eher die »Entsolidarisierung«: »Wieso soll ich abgeben? Ist doch sein Problem, wenn er nichts bekommt.«
Dagegen steht die Idee der Gerechtigkeit. Für sie ist Teilen-Lernen ein wichtiger Teil von Konsumerziehung. Das geschieht im Alltag und auch in »symbolischen« Handlungen, die den Sinn für Gerechtigkeiten schärfen. Zum Beispiel: das bewusste Einkaufen von Kaffee aus dem »fairen Handel«, der Verzicht auf regelmäßige Besuche in Fast-Food-Ketten, das besonders einfache Essen an einem bestimmten Wochentag für einen »guten Zweck«, dem die damit verbundene Ersparnis zugute kommt. (Viele weitere Ideen finden sich in den Materialien zu Kampagnen und Fastenaktionen von Hilfswerken wie Missio und Misereor.) Unverzichtbar ist dabei auf jedem Fall das erklärende Gespräch mit den Kindern: Warum machen wir das so? Steckt hinter »billigeren« Möglichkeiten vielleicht Kinderarbeit oder Ausbeutung der Schöpfung?
Praxis 3: Ostereier
Christstollen im September, Ostereier im Januar: Da gerät im Einzelhandel (und bei uns zu Hause?) einiges durcheinander. Rhythmen und Zeiten, Zeichen und Symbole, Alltag und Sonntag stimmen nicht mehr überein. Wenn der Weihnachtsbaum schon vor dem Advent hell strahlt, kann die Symbolik des ersten, zweiten, dritten, vierten Lichts nicht mehr verstanden werden.
Die Pädagogik des Kirchenjahrs und des Brauchtums macht auf etwas aufmerksam, was für die Erziehung zum souveränen Konsumieren wichtig sein kann: Nicht alles muss gleichzeitig da sein; wir brauchen Rhythmen und Abschnitte, um begreifen und genießen zu können. Die Konsumforscher sprechen von einer niedrigen »deferred-gratification«-Haltung, die typisch sei für problematisches Kaufverhalten. Gemeint ist: Bedürfnisbefriedigung sofort. Mühen müssen sich gleich auszahlen; die Bereitschaft, die Belohnung für Anstrengungen auf später zu »vertagen«, ist bei kompensatorischen Konsumenten und Kaufsüchtigen gering ausgeprägt. Schuldnerberatungen können ein Lied davon singen.
Es macht also Sinn zu warten, nicht alles gleich und gleichzeitig haben zu wollen. Das ist kein Wert an sich. Aber dahinter steckt eine Haltung, die natürliche Grenzen zunächst akzeptiert und dann versucht, die Situation kreativ zu meistern — ohne sich dabei zu verschulden.
Georg Bienemann