Wie viel Mama braucht das Kind?
Über kein Thema wird unter Müttern so viel gestritten wie über die Frage: "Was ist die beste Betreuung für Kinder?" – Ein Interview mit der Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins.
"Natürlich zu Hause! Wozu bekommt man Kinder, wenn man sie gleich wieder abschiebt?", sagen die Vollzeitmütter. "Mein Kind hat Spaß und lernt jede Menge, wenn es ein paar Stunden am Tag in der Krippe ist. Und abends und am Wochenende bleibt uns genug Familienzeit!", sagen die Berufstätigen. 60 Prozent der Deutschen sind nach einer Spiegel-Umfrage vom vergangenen Jahr der Meinung, dass ein Krippenbesuch den Kindern nützt, ein knappes Drittel ist vom Gegenteil überzeugt und meint, dass die Krippe schadet.
Wer hat nun Recht in diesem Glaubenskrieg? Ausgiebige Studien in den 90er Jahren erbrachten das Ergebnis, dass die Unterschiede zwischen den Krippenkindern und den zu Hause Betreuten äußerst gering sind. Je nach Studiendesign finden sich mal für die einen, mal für die anderen Kinder minimale Vor- oder Nachteile. Auch das Standardwerk der Krippenforschung, die amerikanische Studie des National Institute of Child Health*, bei der über tausend Kinder vom Zeitpunkt ihrer Geburt bis zum Ende der sechsten Schulklasse begleitet wurden, zeigte: Das Wohl eines Kindes hängt nicht davon ab, ob es in einer Krippe betreut wird, sondern davon, wie feinfühlig die Mutter mit ihm umgeht. Nicht zu früh und nicht zu lange - das ist die Meinung der meisten Experten.
Dass die stundenweise außerhäusliche Betreuung kleinen Kindern schadet, ist nicht zu belegen. Das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) weist in seiner Erklärung zur Familienpolitik vom Mai 2008 darauf hin, dass zudem niemand befürchte, "dass die Berufstätigkeit des Vaters einem Kind schadet." Die Ansicht, "dass Väter zu Hause genauso gebraucht werden wie Mütter, ist kaum verbreitet." Das ZdK fordert, dass klare Qualitätskriterien für die Betreuung von kleinen Kindern in das Sozialgesetzbuch aufgenommen werden.
Marianne Heimbach-Steins ist Professorin für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Universität Bamberg. Die Theologin ist Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der Theologischen Kommission des Frauenbundes und war zehn Jahre lang Beraterin der Deutschen Bischofskonferenz in der Kommission für gesellschaftspolitische und soziale Fragen.
KDFB Engagiert: Hausfrauen können sich in Zukunft nicht mehr auf ihre wirtschaftliche Versorgung verlassen. Schwächt die neue Familienpolitik dadurch die Institution Ehe?
Heimbach-Steins: Nein, mit dieser Sichtweise würde man das Pferd von hinten aufzäumen: Wir können uns doch nicht wünschen, dass die Bindekraft der Ehe auf einseitigen ökonomischen Abhängigkeiten beruht. Wichtig ist, dass die Ehepartner gemeinsam Verantwortung für Kinder und gegebenenfalls für pflegebedürftige Alte übernehmen, und dass sie auch eine wechselseitige Verantwortung füreinander akzeptieren. Deshalb ist eine Familienpolitik begrüßenswert, die echte Wahlmöglichkeiten für Frauen und Männer eröffnet und anfängt, die Verteilung der Lasten zwischen Männern und Frauen gerechter zu steuern. Je partnerschaftlicher die Rahmenbedingungen jedoch sind, umso mehr müssen wir darüber nachdenken, was die Ehe im religiösen Sinn, als Verbindung zweier Menschen vor Gott, als Sakrament im Kern bedeutet. Je mehr wirtschaftliche Abhängigkeiten abgebaut werden, desto deutlicher wird die Herausforderung für die Kirche, Ehe als einen Wert zu verkünden. Darin sollten wir aber keinen Nachteil der neuen Familienpolitik sehen.
KDFB Engagiert: Wie kann die Kirche dieser Herausforderung begegnen?
Heimbach-Steins: Zunächst sind kirchliche Verantwortungsträger aufgefordert, realistisch über Familie heute nachzudenken. Da wird ja oft noch mit einem sehr idealisierten Familienbild als Maßstab gearbeitet. Das macht es nicht leichter, unvoreingenommen über Fragen zu reden, die sich aus dem gesellschaftlichen Wandel der Familie ergeben. Wir haben ja in den Gemeinden längst alle möglichen Lebensverläufe: Hausfrauen und berufstätige Mütter, stabile und scheiternde Ehen, Ein-Kind-Familien, Patchworkfamilien und so weiter. Es ist wichtig, den Menschen, die in unterschiedlichen Lebensentwürfen Familie leben, Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen. Zugleich geht es darum, den ideellen Sinn der Ehe zu stärken: Das Ja zum anderen vor Gott in den Blick zu nehmen und Paare in allen Phasen ihrer gemeinsamen Geschichte zu begleiten.
KDFB Engagiert: Die Kirche ist ja auch Träger vieler Kindertagesstätten...
Heimbach-Steins: ... und wird sich fragen müssen, ob und wie dieser Bereich in Zukunft auch bei den Kindern unter drei Jahren ausgebaut werden soll. Was die Qualität der Angebote angeht, hat die Kirche ja bereits eine Menge zu bieten. Und auch da kommt es sehr auf den Blickwinkel an: In den meisten Familien leben ja nur noch ein oder zwei Kinder. Wenn aber zu Hause Spielgefährten fehlen, dann muss das soziale Lernen auch außerhalb stattfinden. Kindertagesstätten sind deshalb ein sehr wichtiges ergänzendes Angebot für Familien. Sie bieten Fördermöglichkeiten für Kinder und unterstützen Eltern in der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Familie.
Interview: Susanne Zehetbauer