Ich bin eine Rabenmutter
Ihre Tochter war acht Monate alt, als Anna Giesler sie „fremden Händen“ anvertraute. Das größte Hindernis dabei war sie selbst.
Als ich schwanger wurde, stand mein Entschluss fest:
Ich wollte nach der Geburt bald wieder ins Berufsleben zurück und mein Kind einer Kinderkrippe anvertrauen. Da ich selbst so aufgewachsen war, schien mir das selbstverständlich. Und mein Mann war einverstanden.
Das erste Hindernis: In Ingolstadt ist es nicht so einfach, eine passende Einrichtung zu finden. Aber schließlich fand ich die „kinderWelt“ des Vereins „bürgerhilfe“. Deren Konzept – zwei altersgemischte Gruppen mit je 28 Null- bis Sechsjährigen, betreut von zehn Fachkräften – gefiel mir gut.
Das zweite Hindernis: Unsere Verwandten und Bekannten reagierten sehr unterschiedlich auf meine Pläne. Die einen unterstützten mich, für andere war ich wohl eine „Rabenmutter“. Bei vielen Diskussionen musste ich mich rechtfertigen, warum ich mein Kind „in fremde Hände“ geben wollte; aber an meinem Entschluss hat das nichts geändert. Das dritte Hindernis war ich selbst.
Ein Hin und Her der Gefühle
Als unsere Tochter geboren wurde, hatte ich immer noch keinen Zweifel an meiner Entscheidung. Auch nicht als ich mit ihr die „kinderWelt“ besuchte, um den Vertrag zu unterschreiben; im Gegenteil: Ich fand es schön, wie die Betreuerinnen sie gleich integrierten.
Doch je näher die Zeit rückte, dass Emilie täglich in die Kita gehen sollte, desto unsicherer wurde ich. Hatte ich mich wirklich richtig entschieden? Müsste ich mich nicht doch mehr selbst um sie kümmern? Könnten die Betreuerinnen meiner Kleinen wirklich gerecht werden? Sie war doch erst acht Monate alt, so zerbrechlich und klein! Ich hatte ein schlechtes Gewissen. So sehr, dass wir ernsthaft überlegten, ob ich nicht doch lieber auf meinen Job verzichten sollte.
Dann kam ihr erster Tag. Mit einem mulmigen Gefühl fuhr ich mit ihr zur „kinderWelt“. Ein Glück, dass ich die ersten Tage dabei bleiben und sehen konnte, was Emilie in der Kita anstellte und wie die Betreuerinnen auf sie eingingen. Schon nach der ersten Stunde waren meine Zweifel verflogen; es gefiel mir, wie die Kinder sofort auf sie zukamen und mit ihr zu spielen begannen, wie die Betreuerinnen sie ansprachen und den Tagesablauf gestalteten.
Entwicklung verpasst?
Trotzdem fällt es mir nicht immer leicht, Kind und Job unter einen Hut zu bringen. Vor allem wenn es am Arbeitsplatz mal lang wird und ich eigentlich schon längst zu Hause sein wollte, meldet sich das schlechte Gewissen zurück: Was die Kleine jetzt wohl gerade wieder macht? Wie viel Spaß du jetzt mit ihr haben könntest … Und was du alles verpasst von ihrer Entwicklung!
Andererseits weiß ich auch: Die Zeit, die ich mit Emilie verbringe, nutze ich umso bewusster. Ich genieße es, mit ihr zusammenzusein; deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir einen Tag pro Woche nur für uns haben. Und ich denke, dass die Kindertagestätte ihrer Entwicklung gut tut. Sie hat dort Kinder zum Spielen, kann den „Großen“ manches abschauen, lernt soziales Verhalten. Zum anderen glaube ich nicht, dass ich ihr zu Hause so vielfältige Spiele und Anregungen bieten könnte.
Inzwischen geht Emilie seit drei Monaten in die „kinderWelt“. Da sie noch so klein ist, kann ich Sie ja leider nachmittags nicht fragen, wie es ihr gefallen hat und was sie gemacht hat. Aber ich nehme es als gutes Zeichen, dass sie nicht mehr weint, wenn ich mich morgens von ihr verabschiede. Und auch die Rückmeldungen der Betreuerinnen darüber, wie sie sich in der Gruppe verhält, klingen ermutigend.
Ich gehe mittlerweile wieder gerne arbeiten. Und es gibt nichts Schöneres, als nachmittags zu Emilie zu fahren und mit ihr den Rest des Tages zu verbringen.
Anna Giesler