Wenn der Vater mit dem Kinde… - Rollenbilder und Rollenkonflikte
Die Erwartungen sind eindeutig: Frauen möchten, dass Männer sich nach der Geburt eines Kindes an der Hausarbeit wie an der Pflege und Sorge um das Kind beteiligen.
„Geschlechterkampf“ im Kinderzimmer
Gemeinsam sollen Kosten und Freuden getragen werden. Männer und Väter schließen sich dem an, wollen mehr Zeit für die Kinder. Bei der Beteiligung an der Hausarbeit sind sie dagegen noch zurückhaltender. Doch werden sie notfalls auch mit „sanften Druck“ zu Familienaufgaben herangezogen, wie die nordrhein-westfälische Gleichstellungsbeauftragte Ridder-Melchers einmal ankündigte. Die Thematik ist bekannt, die Diskussion darüber nicht neu. Wie dieser „Geschlechterkampf“ auch ausgehen mag, fest steht, dass die „klassische Rollenteilung“ nicht mehr ungefragt gilt und neue Modelle gefunden werden müssen. In unserer Leistungsgesellschaft wird Anerkennung vorrangig über berufliche und daneben über einige wenige ehrenamtliche Tätigkeiten erworben, die Familien- und Hausarbeit dagegen wird gering geachtet. Dies allein zeigt, dass die Hausfrauenrolle auf Dauer keine adäquate Alternative zur Berufstätigkeit darstellt.
Rollenverteilung hat verschiedene Funktionen
Und doch ging und geht es bei dieser Rollenverteilung nicht um ein patriarchalisches Über- und Unterordnen von Männer und Frauen, wie der Soziologe Talcott Parsons zeigt. Die Rollenverteilung hat verschiedene Funktionen, nach innen unter anderem diese, das Familiensystem zu stabilisieren. Unser Verständnis von Ehe gründet auf der Trennung von Herkunfts- und Zeugungsfamilie: Mit der Eheschließung trennt sich das Paar von den Herkunftsfamilien und bildet einen eigenen Haushalt. Mit dem Auszug der Kinder bleibt das Ehepaar allein zurück. Die Stabilität des Familiensystems ist damit nicht durch die Einbindung in ein Kindschaftssystem gesichert, wodurch das Paar noch in eine Herkunftsfamilie integriert wäre. Die Sicherheit wird vielmehr aus der Verpflichtung hergeleitet, einander zu lieben. Beruht diese Verpflichtung allein auf einer emotionalen Bindung, ist sie ziemlich unsicher. Deshalb muss „Liebe“ strukturell eingebunden werden. Und genau dies geschieht durch die strikte Arbeitsteilung, wonach der Mann für den Unterhalt und den gesellschaftlichen Status geradesteht, die Frau hingegen die Rolle der Ehefrau und Mutter und die damit verbundenen emotionalen Aufgaben übernimmt. Die Aufgabenteilung sei, trotz des strukturellen Defizits ungleicher Rollen, ein funktionales Erfordernis zur Aufrechterhaltung der Liebe. Denn wären beide Eheleute beruflich tätig, halte das Konkurrenzprinzip Einzug. Und dies wiederum sei der Gattenliebe abträglich. So zumindest Parsons.
Die Qualität der Vater-Kind-Beziehung ist abhängig von der Qualität der Ehebeziehung
Inwieweit die eheliche Liebe „dem Wettbewerb um Statuts und Prestige zum Opfer“ fällt, gibt für Familiengruppen sicher einigen Gesprächsstoff ab. Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Yvonne Schütze jedenfalls macht das Konkurrenzprinzip weniger hier als in der Ausübung der Vater- und Mutterrolle aus. Auch das mag für Diskussionsstoff sorgen. In der traditionellen Familie war das Mutter-Kind-System dem Ehesystem zwar nachgeordnet. Doch zumindest während der ersten Lebensjahre des Kindes bildete es eine in sich geschlossene Einheit. Der Vater hatte keinen Zutritt. „Während nämlich die Frau ihr Kind unmittelbar liebte, liebte der Mann sein Kind zunächst über die Frau, die – wie es so schön heißt – es ihm schenkt.“ Schütze sieht noch Spuren dieses Bildes in einer empirischen Untersuchung, „wonach die Qualität der Vater-Kind-Beziehung abhängig ist von der Qualität der Ehebeziehung, während dies bei der Mutter-Kind-Beziehung nicht der Fall zu sein scheint“. Nach der Geburt des ersten Kindes differenziert sich also im „klassischen“ Modell ein Mutter-Kind-System und ein Ehegattensystem heraus, die Vater-Kind-Beziehung bildet eine Leerstelle. Schlüsselfigur ist die Mutter, was das oben erwähnte Statusgefälle im Inneren sehr stark relativiert. Von ihr geht die Initiative aus, die Mutter-Kind-Dyade aufzubrechen, indem sie das Kind auf den Vater verweist. Schütze: „Die latente Konkurrenz zwischen Mutter-Kind- und Ehepaarsystem wird manifest im Oedipuskonflikt, nach dessen Auflösung das Kind die primäre Identifikation mit der Mutter aufgegeben hat, um sich mit beiden Eltern zu identifizieren. Dabei nimmt die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil für den Erwerb der Geschlechtsrolle einen zentralen Stellenwert ein. Die Auflösung der ursprünglichen Mutter-Kind-Symbiose bedeutet gleichzeitig, dass die Mutter für das Ehesystem wieder „frei“ wird. Das Elternpaar grenzt sich als Ehepaar vom Eltern-Kind-System ab, womit die Generationsschranken in der Familie markiert sind.“
Eltern-Kind-Beziehung löst die Ehebeziehung ab
Heute sind die Väter meist bei der Geburt des Kindes dabei: Oft halten sie noch vor der Muter das Kind im Arm. Sie warten nicht mehr, bis die Mutter es ihnen „erlaubt“, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzunehmen. Damit verändert sich nicht nur die Beziehung der Beteiligten zueinander, sondern auch die Etablierung der verschiedenen Systeme. Der Vater steht nicht mehr – wie im traditionellen Modell – emotional am Rande, seine Beziehung zum Kind tritt vielmehr vom heutigen Rollenverständnis her gleichberechtigt neben die Mutter-Kind-Beziehung. „Die Konkurrenz zwischen Mutter-Kind- und Ehesystem entfällt, und in der gemeinsamen Liebe und Sorge für das Kind transformiert sich das Ehesystem zum Familiensystem.“ Die Eltern-Kind-Beziehung löst demnach die Ehebeziehung als tragendes Element von Familie ab. Das Kind erfüllt hierbei zum einen eine verbindende Funktion. Entzweiungen auf der Eheebene können durch die Beschäftigung mit dem Kind zurechtgerückt, in ein umfassendes Ganzes aufgehoben werden. Zum anderen entzweit es aber auch. Denn jeder kann von den beiden anderen als Eindringling in die Innigkeit der Zweierbeziehung empfunden werden. Und genau hier sieht Schütze einen wesentlichen Unterschied gegenüber dem klassischen Modell. Dort brach das Kind in die Exklusivität der Zweierbeziehung ein. Heute werden Vater oder Mutter jeweils zum Eindringling in die Beziehung, die der oder die andere zum Kind hat. Sicher extreme, aber vielsagende Beispiele findet Schütze bei Vätern, die darüber klagen, nicht stillen zu können, oder bei Müttern, die ihrerseits auf das Stillen verzichten, um keinen Konkurrenzvorteil gegenüber ihren Männern zu haben.
Mütter erhalten automatisch einen Kompetenzvorsprung
Eine weitere Folge: „In einer Konstellation“, so Schütze, „in der Mutter und Vater von Anfang an jeweils eine eigenständige Beziehung zum Kind unterhalten, entfällt das Motiv, das Kind baldmöglichst aus der Symbiose zu entlassen, um sich wieder vermehrt der Ehebeziehung zuwenden zu können. Hieraus folgt für das Kind: Es muss die primäre Identifikation mit den Eltern nicht auflösen, wodurch der Prozess seiner emotionalen Verselbständigung verzögert wird. Für die Eltern folgt, dass durch die Konzentration von Mutter und Vater auf das Kind die Ehebeziehung als exklusive Verbindung zweier und nur zweier Individuen in den Hintergrund gerät und gleichsam in der Eltern-Kind-Beziehung aufgeht.“
Für ihre These findet Schütze Hinweise in empirischen Untersuchungen. Zum einen verbringen Eltern heute im Vergleich zu den 50erJahren weniger gemeinsame Zeit miteinander. Zum anderen erwarten zwar viele Mütter, dass Väter sich um die Betreuung und Versorgung des Kindes kümmern. Zugleich fühlen sie sich häufig aber berufener und lassen Väter zu „Assistenten“ werden. Väter hingegen sehen sich aufgrund beruflicher Anforderungen daran gehindert, sich so intensiv um das Kind kümmern zu können, wie sie es eigentlich wollen. Damit erhalten die Mütter aber automatisch einen Kompetenzvorsprung. Unabhängig, ob Mütter diesen herauskehren oder nicht, „die Väter müssen sich in der Beziehung zu den Kindern objektiv benachteiligt sehen und sind entsprechend unzufriedener als die Mütter.“ Schließlich hat die Wissenschaft den mütterlichen Anspruch, besser über das Wohl und Wehe des Kindes Bescheid zu wissen, jahrzehntelang gestützt und den Vätern bescheinigt, das sie „nicht nur relativ unwichtig sind, sondern von Natur aus auch gar nicht für den Umgang mit kleineren Kindern befähigt sind.“ Heutige Untersuchungen zeigen zwar, dass ein Rollentausch von Vater und Mutter auf das Kindeswohl keinen Einfluss hat. Doch wird es noch einige Zeit dauern, bis dies rezipiert ist.
„Beziehungskisten“ wollen geregelt sein
Einen dritten Hinweis für die Konkurrenz auf der Elternebene, die zu Lasten der Ehebeziehung geht, sieht Schütze in den hohen Scheidungszahlen bei Ehepaaren, die etwa zwischen 19 und 26 Jahre verheiratet sind. Ohne Kind hat man sich nichts mehr zu sagen, die Paarbeziehung ist ausgehöhlt.
Subjektiv mag es für ein Paar zunächst zweitrangig sein, ob ihre Ehebeziehung oder ihre Beziehung zum Kind das tragende Element ist. In der Tat bleiben Ressourcen wie Konfliktpotential innerhalb der Familie in der Summe gleich, sie verschieben sich lediglich. Doch macht Schütze die Ambivalenz des Rufes „Väter ins Kinderzimmer“ deutlich: Die „Beziehungskisten“ verschieben sich. Und sie wollen geregelt werden. Zum Wohle des Kindes, und zum eigenen Wohl der Eheleute.
Hubert Heeg