Immer noch: Die neuen Väter
Die ersten sind inzwischen längst Großväter. Ihre Söhne nehmen selbstverständlich Elternzeit (zwei Monate), wickeln und machen draußen was Wildes mit ihren Kindern. Aber wie geht’s weiter mit der Väterlichkeit, fragt Tilman Kugler.
Meine Karriere als Vater begann vor 27 Jahren. Meine Väterlichkeit hatte ich durchaus schon vorher trainiert: als Mitarbeiter in einer Kinder- und Jugendwohngruppe, auch als Leiter von Jugendfreizeiten. Jetzt also musste ich sie in der Familie bewähren.
Im Geburtsvorbereitungskurs traf ich damals viele Väter, in der Klinik, wo unsere Töchter zur Welt kamen, auch. Samstags auf dem Markt, mit dem Kinderwagen, schon weniger; in der Krabbel- gruppe war ich manchmal allein, höchstens waren wir zu zweit. Am Kindergarten traf ich hin und wieder einen, der Schicht arbeitete. Aber der erste Väter-Abend, den der Kindergarten initiierte, stieß auf gute Resonanz! Und zur Erstkommunion stellten wir Väter zusammen die Holzkreuze her, die unsere Töchter und Söhne umgehängt bekamen.
Es war spürbar damals: Die Vater-Rolle kam in Bewegung. Sie kam in Bewegung, weil manche Männer andere Väter sein wollten als ihre eigenen Väter. Sie hatten an der Vater-Entbehrung gelitten und wollten etwas ändern. Die Vater-Rolle kam auch in Bewegung, weil sich Frauen zunehmend mehr um Erwerbsarbeit kümmerten und Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung auch im familiären Miteinander forderten. Auch die Gehaltsstrukturen änderten sich:
Es wurde schwieriger, mit einem Gehalt, zumal in teuren Ballungsräumen, eine Familie zu ernähren. Gleichzeitig begannen Pädagoginnen und Pädagogen, die Bedeutung der Väter für eine gute Entwicklung von Jungs und Mädchen zu thematisieren.
Die „neuen Väter“ gestalten ihre Rolle selbst
Damals kam die Rede von „Neuen Vätern“ auf. Wahrscheinlich gehörte ich dazu, jedenfalls musste ich mir am Marktstand vom Gemüsehändler anhören: „So an graoßer Kerle, ond dr ganze Dag bloß Kendsmagd!“ (übersetzt: So ein starker Mann, und der hütet den ganzen Tag nur Kinder!) Nicht nur deswegen konnte ich diese Zuschreibung nie leiden. Ich kann das auch heute nicht, wo immer noch von „Neuen Vätern“ die Rede ist. Vieles, was dazu in herkömmlichen und „neuen“ Medien veröffentlicht wird, wirkt für mich sehr oberflächlich und ahnungslos, was die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre angeht. Väter haben sich immer wieder verändert und sich dabei den gesellschaftlichen Entwicklungen und Erfordernissen angepasst. Und sie haben eigene Motive ins Spiel gebracht, ihre Interessen und Interpretationen, was die Gestaltung der Beziehung zu ihren Kindern angeht.
Irgendwann um die Jahrtausendwende war es nichts Besonderes mehr, wenn Väter mit Kinderwagen gesichtet wurden. Es wurde gelästert, dass Väter ihre Kinderwagen „fuhren“ und nicht schoben, und dass nach und nach immer breitere Reifen und immer mehr Technik an den Fahrzeugen zu finden waren. Was soll’s? Die Elternzeit trug und trägt ihren Teil dazu bei, dass Väter es wagen, zeitweise „ganz“ für ihr Kind da und daheim zu sein, auch ohne die Partnerin. Und das wirkt! Langsam, aber ganz bestimmt.
Morgens, auf dem Weg zur U-Bahn, komme ich an zwei Kindertagesstätten vorbei. Da fahren Väter, genauso wie Mütter, ihre Kinder im SUV vor und treiben sie ein wenig ungeduldig zur Eile an. Denn sie müssen weiter, zur Arbeit. Zwei Schwestern im Kindergartenalter, in der Nachbarschaft, höre ich schon, während ich noch frühstücke, fröhlich im Hof quasseln; ihre Eltern holen gerade das Auto aus der Garage, dann geht’s los zum Kindergarten. Es ist kurz nach sieben, ganz schön früh!
Ich treffe auch Väter wie Mütter, die zu Fuß mit ihren Kindern zur Kita gehen, und dabei Schnecken auf dem Weg bemerken, Hundehäufchen oder bunte Blätter. Die Kleinen sind meistens gut gelaunt. Die Großen sehen manchmal müde aus. In der U-Bahn sind es dann mehr Mütter, aber auch Väter, die ihre Kinder zur Kita (oder zu Oma und Opa?) begleiten, vielleicht auch mit- nehmen zur Betriebskita. Auch die werden mehr. Und Väter sind, wenn auch nicht fifty-fifty vertreten, nicht mehr die Ausnahmen.
Welchen Teil der häuslichen Arbeit die Väter übernehmen, und Steuererklärung, Autowartung und Handwerkertätigkeiten gehören da genauso dazu wie Wäsche waschen, Küche und familiäre Terminplanungen, das ist Sache der Paare. Wir sind so frei.
Projekt „Familie“ ist Aufgabebeider Elternteile geworden
Was mir, als Pädagogen, zu denken gibt, sind die Unterschiede von Muße und Stress, die auf diesen Wegen zur Kita herrschen. Und mittags – oder abends – auf den Rückwegen dann auch wieder. Oder zuhause, wenn die To-do- Liste lang ist und die Zeit knapp. Denn Eltern-Sein, egal ob Vater oder Mutter, und Erziehung von Kindern braucht Zeit. Und nicht nur Quality-Time, die effektiv und erfolgversprechend verplant ist, sondern auch Muße, freie Zeit, Langeweile, Ruhephasen, in denen etwas wachsen oder reifen kann. Ein etwas „schlampiger“, pflichtvergessener Papa, der in Haus und Hof fünfe gerade sein lassen kann und mit den Kindern Schlitten fahren geht, weil’s gerade mal Schnee hat, ist mir deshalb oft lieber als eine super organisierte Mama, die lieber noch die Wohnung auf Vordermann bringt, weil abends die kritische Mutter einer Klassenkameradin der Tochter zu Besuch kommt, um den Kindersachenmarkt zu organisieren. Das ist jetzt natürlich etwas platt und polemisch formuliert. Und gilt genauso anders herum: Eine dem Sohn oder der Tochter zugewandte Mutter, die die Fragen des Kindes plausibel beantwortet, ist mir lieber als ein Papa, der in der U-Bahn am Smartphone schnell schon mal die E-Mails checkt, statt sich auf sein Kind einzulassen, solange er es zur Kita begleitet.
Soweit ich das beurteilen kann, sind das Projekt „Familie“ und die Frage der Betreuung und Erziehung heute spürbar mehr die Sache beider Eltern geworden. Mit durchaus unterschiedlich eingefärbten Rollen. Die Väter wollen präsenter sein und können es heute leichter, auch dank der „Väter-Monate“ und mancher betrieblicher Fortschritte. Den Spott der eigenen Geschlechtsgenossen müssen sie dabei gelegentlich genauso aushalten wie die Besserwisserei mancher Frauen. Auf der anderen Seite stehen die Anerkennung, die aktive Väter von Männern und Frauen erleben, und ein höherer Grad an Partnerschaftlichkeit, der durch die Verflüssigung traditioneller Rollen möglich und nötig geworden ist. Und gemeinsam müssen (und dürfen!) sich heute Väter und Mütter gegenüber einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche positionieren, die das „Einfach-Zeit- haben“ und „Zeit-lassen“, die für das Aufwachsen von Kindern und für das familiäre Miteinander so notwendig sind, als unproduktive Verschwendung abtut. Dazu brauchen sie gleichermaßen, aber angesichts unterschiedlicher Rollenmuster und -wahrnehmung immer wieder auch unterschiedliche politisch-gesellschaftliche Unterstützung. Im Sinne von Gleichberechtigung und Partnerschaft. Gisela Erler, Familienforscherin, Gründerin des pme-Familienservice und Autorin („Schluss mit der Umerziehung!“, München 2012) würde sagen: artgerechte Unterstützung.
Tilman Kugler
... arbeitet als Referent für Männerarbeit in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er hat zwei erwachsene Töchter.