Leben mit Kindern – eine Bereicherung des eigenen Menschseins
Vom Gewinn, mit Kindern zu leben und von ihnen zu lernen.
„Kinder sind das Knopfloch zum Paradies“
„Kinder sind das Knopfloch zum Paradies“, so lautet ein Sprichwort. Mit „Paradies verbinden die Menschen sehr vielfältige Vorstellungen. In den Religionen wird Paradies als ein Zustand der Gottesnähe, der totalen Geborgenheit, der Ruhe, des Friedens, fern von Unheil und Tod beschrieben, als ein „Ort vollkommener Glückseligkeit“ verstanden.
Schauen Erwachsene Kindern beim Spielen zu, dann haben sie manchmal den Eindruck, Kinder leben noch in diesem paradiesischen Zustand. Man könnte darauf neidisch werden, so spielen, so arbeiten, so leben, noch soviel „Zukunft“ haben zu können, wie sie. Mit Kindern zu leben, lässt uns – selten zwar, aber immerhin – einen Blick ins „Paradies“ werfen.
Von Kindern zu lernen, kann für uns zum Segen werden. Mütter und Väter machen die Erfahrung, dass sie mit jedem Entwicklungsschritt ihrer Kinder auch selbst und in ihrer Partnerschaft einen Entwicklungsschritt weiterkommen, ungeahnte Kräfte freisetzen und in ihrer Persönlichkeit wachsen können. Mit Kindern zu leben, kann bedeuten, für sich selber Zukunft und Hoffnung, Sinn und Ziele im eigenen Leben zu finden.
An diese Erfahrung knüpft das christliche Menschenbild an: Jedes Kind ist ein Segen, ein Geschenk Gottes, das die Botschaft seiner Liebe in sich trägt.
Kinder zu haben, ist ein Glücksfaktor
In diesem Beitrag geht es bewusst darum, den Blickwinkel zu drehen: Nicht auf die Kinder, was sie brauchen und was wir ihnen geben, richtet sich das Augenmerk, sondern darauf, was uns Erwachsenen gegeben wird, was unser Gewinn ist. Das können Augenblicke des Glücks sein, aber auch schmerzhafte Ereignisse, die uns an Grenzen führen und zeigen, welche Kraftquellen in uns stecken.
Es geht auch nicht um Idealisierung. Der Armutsbericht der Caritas, aber auch die Zahl der Abtreibungen spiegeln die Konflikte wider, die Eltern und Familien oftmals bewältigen müssen. Es gibt auch Schattenseiten im Leben der Eltern wie der Kinder: Angst und Frust, Sterblichkeit, Krankheit und Not, Gewalt und Heimatlosigkeit und es gibt in unserer Gesellschaft strukturelle Rücksichtslosigkeit. Kinder zu bekommen, Kinder zu haben löst bei Frauen und Männern nicht nur freudige Gefühle aus. Nicht zuletzt gibt es die von unzähligen Paaren als großes Leid empfundene ungewollte Kinderlosigkeit, wofür auch die stetig steigende Zahl künstlicher Befruchtungen ein Indiz ist.
Kinder zu haben, ist ein Glücksfaktor. In bzw. mit einer „Familie leben zu wollen“ ist immer noch ein sehr hoher Wert. Kinder waren und sind immer noch Geschenk und Schicksal zugleich.
Kinder als Chance für die psychologische und soziale Entwicklung
Wer mit Kindern lebt, hat eine besondere Chance, dass sich Dimensionen menschlicher Entwicklung verändern und erweitern. Die Dimension der eigenen persönlichen Entwicklung, der Paarentwicklung und die der Religiosität.
Mutter bzw. Vater zu werden, ist nicht nur ein biologisches Ereignis im Laufe der eigenen Biographie. Es ist ein unumkehrbares, existenzielles Ereignis: Man bleibt ein immer Mutter oder Vater. Dieses Ereignis beeinflusst das eigene Leben und die eigene Entwicklung vielfältig und umfassend. Mit der Geburt des ersten Kindes verändert sich der Lebensstil total. Tages- und Nachtrhythmen verschieben sich, private oder berufliche Lebensabläufe müssen flexibel gestaltet werden. Banale Dinge wie ein Mittagessen, aber auch komplexe Entscheidungen wie Gelderwerb und Ort des Arbeitsplatzes müssen immer wieder dahingehend geprüft werden, ob diese auch „kinderkompatibel“ sind. Kinder und deren Leben sind „unverfügbar“.
Andererseits werden gerade durch Kinder – in allen Altersstufen (!) – eigene gelernte und eingefahrene Verhaltensweisen und Denkmuster immer wieder neu aufgebrochen und umgeformt. Je älter die Kinder werden, desto öfter stoßen Mütter und Väter an Grenzen, auf ihre Kinder Einfluss nehmen zu können, lernen, dass sie nicht alles kontrollieren und nicht „perfekte“ Eltern sein können. Sie lernen auch im Bereich der verbalen und besonders in der nonverbalen Kommunikation. Gefühle, Wünsche, Phantasien, Intuition werden aktiviert, damit sie mit dem Kind, aber auch untereinander in Kontakt kommen. Wie oft braucht es nur einen Blick, eine Mimik, um den anderen zu verstehen: „Geh du!“ oder „Kommst du zurecht?“ oder „Was ist los?“ Solche Fähigkeiten sind dann nötig, wenn direkte und gesprochene Kommunikation gerade nicht möglich ist! Untersuchungen belegen, wie die Qualität der Kommunikation sich direkt auf die Qualität der Beziehung innerhalb der Familie und auf die Erziehung auswirkt.
Erwachsene wie Jugendliche haben eine Umbruchsituation zu bewältigen
Mit dem Kind wird die eigene Kindheit nacherlebt. Das Kind erinnert durch sein Dasein an alte Fähigkeiten und Erlebnisse aus der eigenen Kindheit, reaktiviert alte Werte und Grundhaltungen der Herkunftsfamilien beider Elternteile und zwingt damit die Erwachsenen, sich auf einem höheren Entwicklungsniveau bewusst neu zu positionieren. Ausgelöst durch die jeweilige Entwicklungsstufe des Kindes kommen eigene Lebensthemen wie Symbiose und Autonomie (Kleinkind), Behalten und Loslassen (Kindergartenalter), Freiheit und Bindung (Schulalter), Macht und Ohnmacht (junger Erwachsener) in zyklischer Bewegung erneut in den Blick und müssen bearbeitet werden. Übergangssituationen der erwachsenen Frauen und Männer und Krisen der Kinder liegen häufig thematisch und zeitlich nahe beieinander. So ähneln sich etwa Pubertät und Midlifecrisis in Bezug auf die Sinnfrage und auf die Suche nach einer neuen Identität. Erwachsene wie Jugendliche haben eine Umbruchsituation zu bewältigen, und das im Gefüge der eigenen Familie. Der Prozess der Erziehung stimuliert den Selbstfindungsprozess als Frau und Mann, als Mutter und Vater.
In der Weitergabe ihres eigenen Lebens bereiten Eltern für sich eine „Zukunft“ vor, die mit Hoffnungen und Erwartungen gefüllt ist und bringen so einen Austausch der Ressourcen in Gang. Durch die Gründung einer Familie lernen sie, das was ihnen eigen ist neu einzuschätzen und weiterzugeben, sei es nun Weltwissen, Traditionen oder materielle Güter.
Zugleich erhalten sie Neues von »außen«. Sie lernen von den eigenen Kindern die Welt der Jugend »hautnah« kennen und damit auch ein Stück »junge Zukunft«, die selber »jung« hält. In die Lebenswelt der Erwachsenen dringen Dinge, Begriffe, aber auch unerwartete Kontakte, die sie sich selber kaum angeeignet hätten, ein: neues Schulwissen, fremde Menschen, Freizeitaktivitäten oder der Umgang mit den neuen Medien. Eltern lernen aber auch, wie die nachfolgende Generation das Leben und ihre Zukunft anpackt.
Kinder verhelfen zu einer gemeinsamen »Welt«
Kinder erzwingen auch die Weiterentwicklung der Eltern als (Ehe-)paar. Aus einer Zweierbeziehung wird eine Dreierbeziehung. Diese so genannte Triangulierung löst die Mutter-Kind-Symbiose nach der Geburt auf und zu gleicher Zeit die alleinige Fixierung auf den Lebenspartner.
»Wir haben ein Kind, es liegt zwischen uns! « Dieses Erleben von jungen Eltern bewirkt zweierlei: Einerseits fördert das Kind den Zusammenhalt, Eltern entwickeln sich zu einem Erziehungsteam und ein neues »Wir-Gefühl« entsteht, andererseits erfordert das neue Dreieck eine neue Balance zwischen der Liebe von Frau und Mann und der Liebe als Eltern zur »Familie«. Wie viel Energien und Sorgfalt für die Pflege der Paarbeziehung nötig sind, wird am Konfliktpotenzial in den ersten drei Lebensjahren des ersten Kindes deutlich. Einen der wesentlichen Faktoren, die eine Ehe stabil machen, bezeichnet der Paarpsychologe Jürg Willi als das »gemeinsame Haus«. Kinder verhelfen zu einer gemeinsamen »Welt«, die ein Elternpaar, eine Familie so unverwechselbar macht. Gelingt die Balance zwischen Abgrenzung und Durchlässigkeit nach außen, entwickeln sich gleichermaßen gesunder Stolz und Selbstwertgefühl, sowohl beim Paar und der Familie, als auch bei Frau und Mann als Mutter und Vater. Selbst die Beziehung zur eigenen Verwandtschaft bekommt eine neue Qualität. Mit Kindern eröffnen sich für Eltern Kontakte auch zu anderen, fremden Familien und sie erleben Solidarität.
Fritz Ihmig