Dann fällst du nicht um

Eigentlich sei er nicht der klassische Familientyp, meint Heinz Becker. Aber durch seinen Sohn Josua glaubt er zu spüren, was "Leben" ausmacht.

„Der Papa macht das.“

Wie oft habe ich das schon gehört, wie oft schon auch die Augen verdreht dabei. Aber in stillen Minuten (Stunden gibt’s nicht mehr) merke ich doch ergriffen, wie tief mich diese Verbundenheit zwischen Papa und Sohn berührt. Nicht immer spielt die Mama die Hauptrolle; manchmal bin ich zuerst gefragt. Beim Vorlesen, beim Anziehen und auch sonst heißt es:

„Was macht der Papa?“, und morgens gleich nach dem Aufstehen sind die ersten Worte „Wo ist der Papa?“. Das sichert mir die emotionale Füllung der so häufigen und geläufigen Bezeichnung „Papa“, gibt mir das Gefühl: Ich bin’s nicht nur biologisch, sondern ich fülle diese Rolle auch aus.

Dann wieder sehe ich mich selbst wie im Spiegel, wenn mal wieder etwas nicht so klappt, wie mein dreieinhalb- jähriger Josua das möchte, und die Wut aus ihm heraus- bricht – und werde nachdenklich. Über mich selbst – aber auch über das, was einen Menschen ausmacht, was ihn leitet, antreibt, welche Chancen er überhaupt hat, er selbst zu sein… Und dann versuche ich, sofort für ihn da zu sein mit Hilfe, Rat, Trost, Beruhigung. Er soll ja mal besser aufgestellt sein als der Papa.

Kinder schenken zusätzliche Perspektive

Ich bin von Haus aus eigentlich nicht der Familientyp, im Gegenteil. Ich brauchte meinen Freiraum und habe ihn genossen – was nicht heißt, dass ich keine Kinder wollte. Es war zwischen mir und meiner Frau schon klar, dass Kinder zum Leben dazugehören, dass eins oder auch mehr unsere Beziehung vervollkommnen, verändern, formen sollten. Es war eine bewusste Entscheidung, keine nach bloßem gesellschaftlichem oder kulturellem Brauch. Fast schon neugierig auf das, was uns da erwartete, gingen wir zusammen das „Abenteuer“ an, um unsere Werte weiter- und neuem Leben Platz zu geben. Und auch wenn das vielleicht negativ klingt: Das Projekt „Unsere Kinder“ wollten wir durchaus anders angehen als manche Lifestyle-Papis und „Alles was das Kind braucht“-Muttis, die wir in unserem Umfeld beobachteten.

Und auch wenn manches sich als schwieriger herausstellte als erwartet: Es war jede Mühe wert. Allein dieser Moment, als nach dem Kaiserschnitt das kleine Kerlchen auf meiner nackten Brust lag und mich vorsichtig und voller Vertrauen anblickte! Diese Erfahrung hat mich emotional verändert. Wenn ich heute Dokumentationen oder Filme sehe (egal ob „Schindlers Liste“ oder „Das Schicksal des Robert Blum“), in denen Kinder leiden oder sich Eltern wissend für immer von ihren Kindern verabschieden, bekomme ich feuchte Augen und leide mit. Solche Regungen habe ich vorher nicht gekannt.

Josua schenkt mir gewissermaßen eine neue, zusätzliche Perspektive auf die Welt. Ich sehe, wie Kleinigkeiten seine Augen staunen und vor Freude und Glück strahlen lassen, und ahne in diesen Momenten: Jetzt gerade bist du ganz nah dran an dem, was echtes, unbefangenes Leben ausmacht. An dem, was Jesus schon ahnte oder wusste: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, ihr, die ihr immer kritisiert, fragt, wisst, zögert, zaudert – dann kommt ihr nicht ins Himmelreich. Ich lerne dazu – und versuche im Gegenzug, Josua alles zu erklären. Zum Lohn tröstet er mich, wenn mir etwas schief geht: „Papa, nicht schlimm. Ist nicht schlimm. Du musst nicht weinen.“ Da muss ich einfach lachen.

Bereicherung und Einschränkung

Und doch empfinde ich neben der Bereicherung und dem Halt, den Josua mir schenkt, auch die Einschränkung. Immer sind es die Bedürfnisse der Kinder, die einfach Vorrechte haben, die unseren Tagesablauf prägen, gestalten, einengen. Morgens ausschlafen geht nur noch, wenn Oma und Opa einspringen. Jede Arbeitsphase, jede Stunde für mich selbst muss im Kompromiss erarbeitet sein, will ich nicht wie so oft „der verlorene Vater“ sein, auf den die Familie wegen seiner beruflichen Karriere verzichten muss. Gerade wenn ich mehr Zeit für mich brauche, stelle ich fest, wie unabdingbar wichtig, not- wendig und klischeehaft sozialkompetent die zweite Säule der Familie ist: Ohne die größere Bereitschaft meiner Frau, sich zurückzunehmen und auf eigene Bedürfnisse zu verzichten, ginge gar nichts. Morgens der Kindergarten-Bringdienst, nachmittags das ständige wachsame Auge auf Josuas Spiele …

Und bald kommt Nummer zwei dazu und wird wieder alles ändern, auch die Rangfolge der zu befriedigenden Bedürfnisse. Das gehört zu diesem Leben dazu; es bleibt immer ein Geben und Nehmen im Bewusstsein, dass Sozialverhalten und Gemeinschaft nicht erlernt werden können, wenn Menschen sich kinderlos und wohlhabend selbst verwirklichen.

Schade, dass die Politik nicht in der Lage ist, den Eltern die Entscheidung fürs Kinderkriegen und das Erziehen leichter und einfach schöner zu machen. In der Familie geben wir uns gegenseitig den notwendigen Halt, aber was darüber hinausgeht, da fühlen wir uns letztlich allein gelassen. Aber ich habe ja Josua. Wenn wir „zusammen“ etwas arbeiten und er mir gerade nicht unmittelbar helfen kann, stellt er sich oft hinter mich und sagt: „Papa, ich halt‘ dich fest. Dann fällst du nicht um.“

Heinz Becker