Helfer auf dem schmalen Grat

Elterntrainings haben Konjunktur. Sie versprechen Eltern Hilfe, die im postmodernen Erziehungsalltag immer häufiger an Grenzen stoßen. Die Konzepte der Trainings unterscheiden sich – doch die Investition zahlt sich für Eltern aus.

 

Kinder sind das Glück auf Erden

„Ich putze mir jetzt aber nicht die Zähne!“ Und ein paar Minuten und Nervenproben später: Ich zieh` mich nicht an!“
Frau S. spürt die Wut im Bauch aufsteigen. Jeden Morgen dasselbe Theater. Die Zeit verrinnt, sie muss noch so vieles erledigen – und schon wieder trödelt ihr Sohn beim Anziehen.

Kinder sind das Glück auf Erden – ja, aber auch oftmals einfach nur nervig! Erziehung ist kein leichtes Geschäft. „Früher, ja früher – da war alles anders…“ Alles zwar nicht, aber es war anders. „Erziehen: Das heißt, das Kind in eine Richtung ziehen.“ So definierte vor vielen Jahren einer meiner Lehrer die pädagogische Aufgabe. Heute graut es mir vor dieser Definition. Doch damals, scheint mir, war sie allgemein gebilligt, wurde derartiges sogar von den Erziehenden erwartet.

Und heute?

Erziehen – wozu? Wie und wohin? Diese Fragen tauchen immer wieder auf. Und die Antwort fällt nicht leicht. Die Errungenschaften der postmodernen Gesellschaft und der individuelle, freiheitliche Lebensstil haben die Anforderungen an die Erziehung und Sozialisation enorm verändert.

„Damals“ lautete der Auftrag an die Erziehenden, die Heranwachsenden über eine lange Zeit hinweg vor allem in das Leben und Wissen der Erwachsenen einzuführen. Doch heute stoßen wir damit schnell an Grenzen. Das krasseste Beispiel ist die Medienwelt, in der Heranwachsende den Erwachsenen schnell etwas vormachen. Wir haben frühzeitig kompetente, wissende Kinder – welche Rolle bleibt da noch für die Eltern?

Elterntrainings boomen

Erziehung muss Kinder heutzutage lebensfähig machen für eine demokratische, plurale, technisierte, mobile, schnelllebige Gesellschaft – und das unter den Einflüssen eben dieser Gesellschaft. Wie sehr sich dadurch das Eltern-Kind-Verhältnis gewandelt hat, zeigen schon die Äußerungen von Kleinkindern: „Du hast nicht über mich zu bestimmen!“ Stimmt – und stimmt auch nicht. Auf jeden Fall macht es deutlich, wie schmal der Grat der Erziehung ist, auf dem Eltern heute wandeln.

Kein Wunder, dass in einer solchen Zeit Elterntrainings boomen. Eltern spüren deutlich: „Alte, bekannte Erziehungsmethoden – schimpfen, drohen, strafen, belohnen – zeigen oft nicht die erwünschte Wirkung. Doch wie kann das gehen: Kinder erziehen, ohne sich eine endlose Kette von Konflikten zu verhaken? Gelassen gar und mit ruhigen Nerven? Und bitte so, dass das Kind eigenständig, verantwortungsvoll, kooperativ und lebensfroh wird?

Immer mehr Eltern suchen eine Antwort auf diese Fragen. Immer mehr Elternkurse versprechen, sie zu liefern, und sie können tatsächlich helfen: Oft genügen kleine Impulse, die die alltäglich Praxis verändern.

Frau R. zum Beispiel glaubte stets, sich ausreichend ihrem Mittleren zuzuwenden. Bis sie, angeregt durch einen Kurs, einmal eine Woche lang Tagebuch führte, wie oft sie sich Zeit für ihn nahm. Frau R. war erschrocken: Ihr Sohn fiel doch hinten runter. Sein auffälliges Verhalten wurde ihr verständlich.

„Edelsteinmomente“

Umso erfreulicher, dass es auch aufhörte, als sie ihm bewusst mehr Aufmerksamkeit widmete. Entsprechend einer Anregung im Kurs streute sie immer wieder „Edelsteinmomente“ in den Alltag ein. Sie hörte ihrem Sohn bei Tisch interessiert zu, ging zu ihm, als er an seinem Spieltisch malte, nahm ihn in den Arm und bewunderte seine Fortschritte im Malen, nickte oder zwinkerte ihm bei vielen Gelegenheiten liebevoll zu oder schenkte ihm einfach ein herzliches Lächeln. Frau R. entdeckte für sich neu, mit vielen kleinen Signalen die wichtige Botschaft zu vermitteln: Ich sehe dich! Ich hab` dich lieb!

Oder Herr K., der sich mit seinem sechsjährigen Sohn immer wieder in Machtkämpfe verstrickte. Im Kurs suchte er neue Anregungen für den Umgang miteinander. Er selber litt darunter, dass sie beide immer wieder in heftige Auseinandersetzungen rutschten, in denen er schließlich aufbrauste und mit einem Machtwort ein Ende setzte. Im Kurs setzte er sich mit dem Spiel um Macht und Gewinnen auseinander und lernte schrittweise, daraus auszusteigen. „Stopp – innehalten!“ Diesen Gedanken ruft er sich nun jedes Mal in Erinnerung, wenn er spürt, dass ein Kampf beginnt. Früher setzte Herr K. zur Strafpredigt an, wenn sein Sohn sich aggressiv fordernd oder auch demonstrativ trödelnd verhielt; jetzt nimmt er sich erst einmal innerlich zurück. Dann erinnerst er sich daran, dass es seinem Sohn vielleicht eigentlich um etwas Positives geht, zum Beispiel um das Grundbedürfnis, mitbestimmen zu wollen, selbst entscheiden zu dürfen. Genau das will Herr K. in seiner Erziehung eigentlich unterstützen…So lernt der Vater, das Verhalten seines Sohnes zu verstehen und zu respektieren. Wo immer möglich, bietet Herr K. seinem Sohn jetzt Wahlmöglichkeiten an:

„Gestern Morgen wollte ich Tim zum Kindergarten bringen. Er kam und sagte fordernd: Ich will mit dem Auto fahren. Nein, sagte ich. Ich will aber!, war seine heftige Erwiderung. Ruhig konnte ich zu Tim sagen: Mit dem Auto bringe ich dich nicht, weil das unnötig Sprit kostet. Doch du kannst entscheiden: Zu Fuß oder mit dem Fahrrad? Okay, mit dem Fahrrad! sagte Tim und holte seinen Helm. Früher gerieten wir bei solchen Auseinandersetzungen in einen heftigen Kampf, diesmal klärte es sich im Nu.“

Herr K. hat mittlerweile viele derartige Beispiele gesammelt. Allerdings erlebt er diese Veränderung ähnlich wie viele andere Eltern: als einen Prozess, in dem es mal gelingt, einen neuen Weg einzuschlagen, dann wieder nicht. „Es sind weniger die einzelnen Momente, es ist vielmehr meine Grundhaltung, die sich durch sie allmählich ändert und das Miteinander entspannter und beziehungsreicher macht. Heute sehe ich im Verhalten von Tim auch eine Stärke. Ich ermutige ihn bewusst immer wieder, selber Entscheidungen zu treffen wo es möglich ist. Dabei entdecke auch ich immer mehr Freiräume – und Tim respektiert nötige Grenzen bereitwilliger.“

Unterschiedliche Ansätze

Wie hier, kann ein Elternkurs oft Wandlungsprozesse anregen, die das Erziehen leichter und entspannter sowie alle Beteiligten zufriedener werden lassen.
Wie der Weg im Einzelnen aussehen soll, beantworten die Elterntrainings allerdings unterschiedlich. Sie unterscheiden sich in Inhalt, Dauer und Zielsetzung. So nennt zum Beispiel das eine, das Ziel, „das Selbstvertrauen der Eltern als Erzieher zu stärken und die Kommunikation in der Familie zu verbessern“ (das Programm „Starke Eltern, starke Kinder“ des Kinderschutzbundes); der nächste Anbieter formuliert als Ziel, „Starke Eltern, starke Kinder“ des Kinderschutzbunds; der nächste Anbieter formuliert als Ziel „Eltern günstiges Erziehungsverhalten nahe zu bringen und dadurch kindliche Verhaltensprobleme zu reduzieren bzw. zu verhindern und eine positive Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen“ (das Gruppenprogramm „Triple P“). Dahinter verbergen sich jeweils unterschiedliche theoretische und damit auch praktische Ansätze. „Starke Eltern, starke Kinder“ des Kinderschutzbunds); stellt mehr das Selbstverständnis des Erziehenden in den Mittelpunkt, das reflektiert und weiterentwickelt wird, „Triple P“ vermittelt vor allem lerntheoretisch orientierte Erziehungsstrategien. Der Elternkurs „KESS-Erziehen“ wiederum, von der Arbeitsgemeinschaft für Katholische Familienbildung entwickelt, geht auf einem individualpsychologischen Hintergrund von den Grundbedürfnissen der Kinder aus, vermittelt Eltern ein Verständnis für etwaiges Fehlverhalten und übt ermutigende Verhaltensweisen ein, die zum einen den kompetenten Umgang mit Konfliktsituationen ermöglichen und zum anderen die Entwicklung des Kindes fördern (nähere Informationen im Internet unter www.elternkurs.info).

Fazit

Das sind nur drei aus einer Vielzahl von Kursangeboten. Eltern müssen prüfen, was der eigenen Grundhaltung entgegenkommt und sich dann auch im Alltag bewährt. Die Stunden der Auseinandersetzung in solchen Kursen mit sich, seinem Erziehungsverhalten und verschiedenen Tipps machen sich auf jeden Fall bezahlt. Frau S. zum Beispiel konnte die morgendlichen Reibereien ganz abbauen, indem sie den frühen Tagesablauf mit ihrem Sohn gemeinsam plante und auch mögliche Konsequenzen mit ihm vereinbarte. Viele Stunden Ärger und Reibereien blieben ihr seither erspart.

Christof Horst