„Blähungen des Kleinkindes psychoanalytisch gedeutet?“

Elternschulung: pro und kontra.

Kontra:

Nun, das hat mir schon gewaltig gestunken. Nicht nur, dass meine Frau, dass meine werdende Mutter, mir in den letzten Wochen der Schwangerschaft schon gelinde gewaltig auf den Zeiger ging, nein, jetzt kam sie auch noch mit einem „Eltern-Buch (bzw. Tipps von Milupa) vom Kursus „werdende Eltern“ nach Hause und legte es mir vor meine Fernbedienung. Zum Kurs war sie allein gegangen, es war ja auch der letzte Abend, der Psycho-Abend. Also, der Abend, an dem ein Psychologe über die Rolle „des Eltern-Werdens“ und „der Entwicklung des Kleinkindes und deren Sozialisation in der neu gegründeten Familie“ sprechen sollte. Das wollte ich mir nicht antun? Dieses Gequatsche! Ich bin auch gut geraten und ich glaube bzw. bin mir sicher, dass meine Mutter nicht so einen Kurs besucht hat. Damals hatte man da völlig andere Sorgen. Heute wird ja jede Blähung des Kleinkindes schon psychoanalytisch gedeutet!! Ich habe auch keinen Bock, mir eine Diskussion über die verschiedenen Stärken und Schwächen einer Höschenwindel anzutun. Lieber das Sonderangebot für meinen Geldbeutel als die sozialpädagogischen Ratschläge zur optimalen Kommunikationsförderung auf dem Wickeltisch. Ich habe keine Lust, mir ständig „Patentrezepte“ für eine perfekte Eltern-Kind-Kommunikation von, vielleicht sogar kinderlosen, Erziehungsberatungen, Zeitschrift-Pädagogen oder anthroposophischen Kinderphilosophinnen anzuhören. Diese Zeit verbringe ich lieber damit, mein Kind einfach abzuknuddeln oder mit ihm auf den Bolzplatz zu gehen und mal „Maddhäus-Pässe“ zu üben. Es reicht mir völlig aus, wenn meine Frau abends im Bett nicht schlafen kann, sich hin und her wälzt, weil sie darüber rätselt, warum unser Sohn am Mittagstisch „du dumme Kuh“ zu ihr gesagt hat und ob ihre Reaktion („Geh in dein Zimmer!“) pädagogisch sinnvoll zu bewerten ist. Dieses ganze Gerede von neuen pädagogischen Konzepten, von A wie alternative Heilmethoden über W wie Waldorfer Waldkindergarten bis Z wie zwischenmenschliche Interaktionsmuster, hat doch nur den Effekt, dass die Eltern völlig verunsichert sind. Sie haben Versagensgefühle bei der Erziehung der Kinder, wenn die Praxis nicht so gelingt wie in der Theorie vorgeschlagen. Bei diesen ganzen pädagogischen „Patentrezepten“ bleiben doch die Intuition, die Spontaneität, die eigenen Gefühle und die persönliche Beziehung zu meinem Kind völlig auf der Strecke. Elternsein kann ich nicht lernen, sondern ich habe entweder Lust, lerne den eigenen Frust im Spiegel zu genießen und zu meiner Verantwortung als Elternteil zu stehen oder ich versuche meine Verantwortung und meine ureigensten Emotionen, Phantasien, kreativen wie auch oft unkreativ langweiligen Ideen an der Familienpforte zugunsten irgendwelcher pädagogisch-psychologischen ideologisierten Erziehungsmethoden abzugeben. Ich habe mich für Ersteres entschieden!

Peter Karpa

Pro:

„Ich fand diesen Vortrag total positiv und er hat mir viel Kraft und Informationen über meine neue Rolle als Mutter gegeben“, sagte mir eine Nachbarin, die ich morgens in meinem Yoga-Kurs traf. Ich hatte das gleiche Gefühl gehabt. Der Vortrag der Psychologin im Kurs für „werdende Eltern“ war wirklich vom Allerfeinsten gewesen. Endlich mal jemand, der mir sagen konnte, was sich in meinem Leben durch die Geburt unseres Kinder alles ändern würde und gleichzeitig sinnvolle Möglichkeiten und Verhaltensweisen aufzeigte, wie ich mit dieser Veränderung umgehen könne.

Ich wollte diesem Ereignis nicht unvorbereitet entgegensehen. Die ständigen Tipps meiner Schwiegermutter (Zitat: „Wir waren froh, wie die Kinder endlich groß waren. Das Schreien eines Babys ist wie der Spaziergang eines Erwachsenen.“) hatten schon arg an meinen Nerven gezerrt. Mit meinem Mann war auch nicht viel anzufangen. Wenn ich mit ihm abends sprechen wollte, erklang meistens nach kurzer Zeit ein regelmäßiges, mir geistige Abwesenheit signalisierendes Geräusch. Ich fühlte mich ziemlich allein gelassen mit meiner Unsicherheit. Später konnte ich immer wieder die Erfahrung machen, dass mir Krabbelgruppe und Mütter-Treffs zwar immer zum Austausch von Erfahrungen bei der Erziehung unserer Kinder gut taten, mich jedoch Kurse über die verschiedensten pädagogischen Erziehungsstile bzw. Konzepte in meiner eigenen Entwicklung sehr viel weiter brachten. Oft zeigten sich geradezu „Aha“-Erlebnisse, wenn sich im Gespräch mit anderen Eltern herausstellte, dass dieses Problem nicht nur in unserer Familie existierte. Durch das neu angeeignete theoretische Wissen lösten sich plötzlich, nach vielen vergeblichen Anläufen, praktische Familienkonflikte in Luft auf. Ich empfinde es auch heute noch schwer, dem Bollwerk von alten, vorgefassten Meinungen („Das war schon immer so.“ „Wir haben keine Kurse besucht und unsere Kinder sind auch keine Verbrecher geworden!“ entgegenzutreten. Diese „Schwarz-vs.-Weiß-“ „Schuld-vs.-Nicht-schuld-“ „früher-besser-vs.– heute alles anders“.– Argumentationsketten sind für mich enorm Kräfte verschleißend und lassen meinen inneren Dampfkochtopf schnell über zwei rote Ringe hinaus steigen. Die Antwort meiner Eltern: „Das macht man halt so!“ ist mir noch in zu guter bzw. schlechter Erinnerung, als dass ich dieses Erfahrungsdefizit noch an die nächste Generation weitergeben möchte.

Krisenstimmung breitet sich in meinem Frauenhirn aus, wenn ich bemerke, dass Begriffe wie „Sozialisationseffekte“, „“Verhaltensauffälligkeit“, psycho-soziale Integration“, „partnerschaftliche Konfliktlösung“, „problemzentriertes Denken“ etc. wie Miesmuscheln im Sandkasten betrachtet werden. Diese Begriffe gehören heute zum alltäglichen Wortschatz wie „zutexten“, „anbaggern“, „chatten“, „voll geil“ und „Maschendrahtzaun“ und sind nicht Teil einer in chinesischer Sprache verfassten Anleitung einer Fernbedienung. Ich denke, dass die heutigen Ansprüche, die aus der Gesellschaft an die Familie gestellt werden, nicht mehr bzw. nur noch schwer ohne fachliche Hilfe befriedigt werden können. Diese fachliche Hilfe empfinde ich als sehr stärkend und positiv für meine eigene Entwicklung und nicht als eine ungewollte Einmischung oder gar besserwisserische Bevormundung durch andere. Es bleibt letztendlich meine eigene Entscheidung und in meiner eigenen Verantwortung, in welcher Weise ich mein neues Wissen in die Familie einfließen lasse. Lieber „Bildung voll“ als „Flasche leer“!

Jutta Karpa