Positionen, an denen wir festhalten

Statement von Georg Kardinal Sterzinsky zur Abschlussveranstaltung der Initiative „Hier beginnt die Zukunft: Ehe und Familie“ der Deutschen Bischofskonferenz.

Was ist uns wichtig?

Die Initiative „Hier beginnt die Zukunft: Ehe und Familie“ wurde auf Anregung der Kommission für Ehe und Familie (XI) ins Leben gerufen, um in Kirche und Gesellschaft Impulse zur Unterstützung und Förderung von Ehe und Familie zu geben. Tatsächlich sind Ehe und Familie derzeit auf verschiedensten Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses lebhaft umstrittene Themen. Dies hat sich in den zurückliegenden drei Jahren deutlich verstärkt. Dabei sind alte Diskussionslinien wieder neu zum Vorschein gekommen, aber auch ganz neue Gegensätze aufgebrochen. Was ist überhaupt Familie? Welchen Stellenwert hat sie für unsere Gesellschaft? Hat sie noch Bedeutung oder bekommt sie wieder Bedeutung? Haben Familie und Ehe etwas miteinander zu tun? Ist es sinnvoll, Familie und Kinder stärker zu fördern und dafür die Ehe hinten an zusetzen? Nicht zuletzt: Was sind Ehe und Familie auf der Ebene empirischer Beschreibung und was sollen Ehe und Familie auf der Ebene normativer Leitbilder sein. Diese und andere Grundsatzfragen bestimmten in den letzten Jahren und bestimmen wohl auch in Zukunft die Diskussionen um Ehe und Familie – mag dies nun offensichtlich geschehen oder eher verdeckt durch praktische Umsetzungsfragen. Die Schärfe, die zuweilen in diese Diskussionen hineingerät, hat auch etwas damit zu tun, dass die Menschen sich beim Thema Ehe und Familie sehr persönlich in ihrer eigenen Lebensführung angefragt sehen. Es wird für die Kirche sehr darauf ankommen, einerseits die Menschen in ihrem täglichen Bemühen um ein Leben in Partnerschaft und Elternschaft nicht abzukanzeln und zu verurteilen, andererseits aber die prinzipiellen Einsichten zur Bedeutung von Ehe und Familie deutlich, klar und gut zu vermitteln.

Im Verlauf unserer Initiative war sehr oft die Rede von dem, was uns in Bezug auf Ehe und Familie wichtig ist. Ich möchte daher im Folgenden in einer Art inhaltlicher Zusammenfassung thesenartig einige zentrale Aspekte nennen, die wichtig waren und wichtig bleiben.

1. Die Ehe entspricht Grundbedürfnissen der Partner, sie entlastet und unterstützt diese. Sie ist strukturell die beste Grundlage für eine Familie.

Die Liebe von Mann und Frau verlangt von sich heraus nach Vorbehaltlosigkeit, Ausschließlichkeit und Endgültigkeit der Hingabe und Annahme. Die Ehe verleiht dieser innerlichen Ausrichtung Gestalt und verbindlichen Ausdruck. Sie gibt ihr rechtlichen Schutz und institutionelle Bindung. Dadurch erfahren die Ehepartner auch Entlastung und Unterstützung.

Da die Ehe, die Verbindung der Eltern auf eine verlässliche, verbindliche und - trotz der Scheidungszahlen - im Vergleich zu allen anderen Partnerschaftsformen weitaus stabilere Grundlage stellt, ist sie auch die strukturell beste Grundlage für eine Familie. Die auf Ehe gegründete Familie ist nach wie vor ein überzeugendes Leitbild.

Mit dem Festhalten an der auf Ehe gegründeten Familie ist keine Diskriminierung anderer Familien verbunden. Vielmehr sind die Leistungen, die in anderen Familienformen - insbesondere und gerade auch von Alleinerziehenden - in der Sorge für die Kinder und ihre Erziehung erbracht werden, anzuerkennen und gerecht zu bewerten, gerade wenn sie unter erschwerten Bedingungen erbracht werden müssen.

2. Verlässliche Beziehungen sind die Grundlage jeder Familie. Die Qualität der elterlichen Partnerschaft ist für die Stabilität von Familien entscheidend.

Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit sind Ausdruck der Würde und der Rechte von Partnern. Bei der Gestaltung von Partnerschaftsbeziehungen sind sie unerlässlich. Die gemeinsamen Entscheidungen der Partner - insbesondere der Kinderwunsch - hängen von der Stabilität der Partnerschaft, von der Tiefe der Beziehung und von der Verlässlichkeit der Arrangements ab, die die Paare über ihre Zukunft treffen. Ob Familien die Herausforderungen einer selbstbestimmten Lebensführung in Beruf und Privatsphäre und nicht zuletzt bei der Kindererziehung bewältigen können, hängt wesentlich von der konkreten Beziehungskultur der jeweiligen Partnerschaft ab.[1]
Von Gesellschaft und Politik wird oft einfach vorausgesetzt, dass den Paaren die Gestaltung der Partnerschaftsbeziehung gelingt. Daher werden Faktoren, die eine Partnerschaft destabilisieren, nicht beseitigt und Bedingungen, die Partnerschaft stützen könnten, zuwenig gefördert.

3. Kinder bereichern unser Leben. Die Erziehungsleistung der Eltern verdient Hochachtung.

Kinder sind eine tiefe personale Bereicherung menschlichen Lebens. Sie erlauben ihren Eltern und den Menschen, die sie begleiten, die Entwicklung einer Persönlichkeit mitzuerleben, daran teilzuhaben und daran selbst mit zu wachsen.[2]

Gleichzeitig bleibt es eine schwierige Aufgabe, Kinder aufzuziehen und zu erziehen. Die Anstrengungen der Eltern, die Kinder zu lebenstüchtigen und verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen, sind nicht ersetzbar. Sie verdienen gesellschaftliche Hochachtung. Schließlich finden die Kinder in der Familie ihre erste Schule, für jene sozialen Tugenden, die das Leben und die Entwicklung der Gesellschaft von innen her tragen und gestalten.[3]

4. Die Bedeutung und die Aufgabenvielfalt von Ehe und Familie für die Gesellschaft einerseits sowie ihre Belastung und ihre Verletzlichkeit im gesamtgesellschaftlichen Gefüge andererseits machen ihre umfassende Förderung und Unterstützung erforderlich.

Die Familie ist Keimzelle der Gesellschaft. Über die Erziehung der Kinder hinaus ist sie Leistungsträgerin der Gesellschaft. Sie ist eine der zentralen Institutionen, in denen Werte gelebt und vermittelt werden, auf die der Staat angewiesen ist, die er selbst aber nicht hervorbringen kann. Familien leisten einzeln und im Verbund vielfältige soziale und kulturelle Beiträge in unserer Gesellschaft.

Familien sind im gesamtgesellschaftlichen Gefüge kleine, verletzliche Gebilde und daher zahlreichen Risiken ausgesetzt. Krankheit und Tod eines Familienmitglieds, aber auch Trennung und Scheidung können Familien überfordern. Daneben belastet die Familien gerade die mangelnde gesellschaftliche Rücksicht auf die übernommene Elternverantwortung. Diese Belastung wirkt sich mit zunehmender Kinderzahl immer stärker aus. Die Armut, die insbesondere kinderreiche Familien bedroht, ist hierfür ein mahnender Indikator.

5. Bei jeder Maßnahme zugunsten von Ehe und Familie ist der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Je enger die unterstützenden Maßnahmen auf die Vorstellungen und Wünsche der Eltern bezogen sind, desto leichter lassen sich Widersprüche und Zielkonflikte vermeiden.

Politik zugunsten von Familien kann sich nicht auf Einzelmaßnahmen beschränken. Sie muss vielmehr umfassend angelegt werden und ist aus der Sicht der Bedürfnisse und Interessen der Familienangehörigen zu konzipieren.[4]

Familienpolitik muss an den Bedürfnissen, Vorstellungen und Wünschen der Familien ansetzen. Wie Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen und die Aufgaben in der Familie aufteilen, was sie selbst in die Hand nehmen und wo sie ergänzende Angebote in Anspruch nehmen wollen oder müssen, darf ihnen nicht vorgeschrieben werden. Das müssen sie selbst entscheiden können. Bei allen Prioritäten, die auch in der Familienpolitik gesetzt werden müssen, muss jedoch immer vermieden werden, dass Familien daran gehindert oder benachteiligt werden, ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen.[5]

6. Die Förderung und Unterstützung von Familien muss Frauen und Männern unterschiedliche Optionen zwischen Familie und Arbeitswelt und eigener wie ergänzender Betreuung und Erziehung der Kinder offen halten.

Der Ausbau von Plätzen zur Kinderbetreuung der unter Dreijährigen ist notwendig. Es darf aber nicht übersehen werden, dass sich viele Eltern aus guten Gründen dafür entscheiden, die Berufstätigkeit eines Elternteils, zumeist der Mutter, zumindest in den ersten drei Lebensjahren aufzugeben, um so die Betreuung, Pflege und Erziehung der Kinder in der Familie zu leisten. Eltern entscheiden also sehr unterschiedlich darüber, ob und ab welchem Alter sie eine Kinderbetreuung in einer Kindertagesstätte oder in der Kindertagespflege für ihre Kinder wünschen. Der Staat hat eine echte Wahlmöglichkeit der Eltern zu unterstützen und darf daher nicht nur Anreize für ein Betreuungsmodell setzen.[6]

Im Mittelpunkt der Diskussion um den Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten muss stets das Wohl des Kindes stehen. Die Qualität der frühkindlichen Betreuung ist für das Kindeswohl von herausragender Bedeutung.

7. Die finanzielle Förderung der Familie muss eine leistungsgerechte Besteuerung ebenso umfassen wie Transferzahlungen zur Unterstützung bei entsprechendem Bedarf.

„Familien brauchen materielle Sicherheit. Dafür sind und bleiben zuerst die Eltern verantwortlich. Allerdings entlohnt der Arbeitsmarkt nicht danach, ob ein Einkommen für einen Einzelnen oder für einen Haushalt mit mehreren Personen reichen muss. Im Vergleich zu Kinderlosen haben Eltern deshalb einen deutlichen finanziellen Nachteil. Eine Korrektur im Rahmen eines gerechten Familienlastenausgleichs ist unverzichtbar und verfassungsrechtlich geboten.“[7] Das Steuerrecht und die sozialstaatlichen Leistungen gleichen diese Nachteile für Familien allenfalls punktuell aus. Zudem sind wir weit davon entfernt, dass die tatsächlichen Leistungen der Familien für die Gesellschaft wirklich honoriert werden.

8. Eltern müssen auf ihre Verantwortung in der Familie vorbereitet und durch Bildungs- und Beratungsangebote unterstützt werden. In dem Maße, in dem die Angebote der Betreuung und Erziehung von Kindern ausgeweitet werden, muss auch im Kernbereich der Erziehung die Zuständigkeit der Eltern durch Förderung ihrer Kompetenz unterstützt werden.

Es wird immer selbstverständlicher, dass im Rahmen einer frühen Förderung der Kinder die Erziehung der Eltern ergänzt und Bildungsangebote über das Elternhaus hinaus eröffnet werden. Diese Entwicklung darf nicht dazu führen, die in der Verfassung bestätigte besondere Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder infrage zu stellen. Vielmehr muss es darum gehen, die Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen.

Eltern sind im Prozess des Erwachsenswerdens und der Identitätsfindung von Kindern und jungen Menschen in der Regel unersetzbar. Das gilt ganz besonders für Grundfragen von Beziehung und Erziehung, zu denen nicht zuletzt Wertorientierung und religiöse Sozialisation gehören. Mütter und Väter sollen in diesem Bereich Entscheidungen treffen und auch als glaubwürdige Menschen in Wort und Beispiel für die getroffenen Vorgaben und Entscheidungen stehen.[8] Hierzu müssen Eltern ermutigt und befähigt werden.

9. Eine zukunftsorientierte Familienpolitik darf sich nicht darauf beschränken, lediglich die Anpassung des Familienlebens an die Erfordernisse der Berufswelt zu fördern. Für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es notwendig, die Bedeutung der Familienarbeit stärker ins Bewusstsein zu heben.

Immer mehr Familien wollen eine andere als die bisherige Form der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie fordern eine familiengerechtere Arbeitswelt. Die Arbeitswelt muss hierzu die Belange von Eltern, die erwerbstätig sind, stärker berücksichtigen. Dies gilt bei der Organisation der Arbeit, aber auch während der Arbeitszeit.[9]

Erziehung, Ausbildung und Versorgung der nachwachsenden Generation gehen einer Erwerbstätigkeit stets voraus. Die Leistungen von Familien sind daher die unverzichtbare Basis für eine effiziente Wirtschaft. Entsprechend muss die Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Erwerbsarbeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Gleichwertigkeit angestrebt werden. Insbesondere muss die Vereinbarkeit von Familientätigkeit und Erwerbsarbeit die Belange von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen berücksichtigen.[10]

10. Die Kirche ist nicht nur Anwalt der Gesellschaft und Hüterin des Humanum, sondern sie weiß auch, dass sie mit dem Schutz und der Förderung von Ehe und Familie auch den Heilsweg der Menschen ebnet und ihre eigene Zukunft vorbereitet.

Die Familie ist der erste und ursprüngliche Ort der frühen Glaubenserfahrung. Bei den Eltern erlebt das Kind, was ein Leben aus dem Glauben und im Glauben bedeutet. Es wird in seinem Urvertrauen gestärkt, es lernt beten und auf die Regungen des Gewissens zu reagieren. Mit der Familie wird es in die Gemeinschaft der Kirche eingefügt. Der Familienpastoral kommt damit eine hohe Priorität zu, und zwar als durchlaufende Perspektive.

Es gilt allen zu danken, die sich, insbesondere im Rahmen und im Zusammenhang unserer Initiative, für Ehe und Familie eingesetzt haben. Dieser Dank verbindet sich aber sogleich mit der Hoffnung, dass das Gesagte keinen Abschluss bildet, sondern allenfalls eine kurze Bestandaufnahme, die Anstoß für das weitere gemeinsame Handeln ist. In diesem Sinn freue ich mich sehr auf die Ausführungen von Erzbischof Descubes und hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, den Blick nach vorne zu richten.

Georg Kardinal Sterzinsky



[1] Erklärung des ZdK, „Rahmenbedingungen für das Gelingen stabiler Partnerschaften in Ehe und Familie verbessern“, vom 3. Mai 2002.

[2] Kardinal Lehmann, „Kindersegen - Hoffnung für das Leben“, Beitrag zum Themenheft der Woche für das Leben 2005, S. 6, 7.

[3] Apostolisches Schreiben „Familiaris consortio“ von Papst Johannis Paul II., 22. November 1981, Ziff. 42.

[4] Fünfter Familienbericht, „Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland – Zukunft des Humanvermögens“, S. 33.

[5] Agenda Familie des Familienbundes der Katholiken, S. 10.

[6] Presseerklärung der deutschen Bischöfe zur Diskussion um den Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder unter drei Jahren vom 14.04.2007.

[7] Agenda Familie des Familienbunds der Katholiken, S.18.

[8] Brigitt Schwarzmann, Hier beginnt die Zukunft – Perspektiven für Ehe und Familie, S. 29.

[9] Zeit für Familie, Beitrag zur Vorbereitung des 7. Familienberichts, These 6 der kath. Familienverbände.

[10] Fünfter Familienbericht, „Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland – Zukunft des Humanvermögens“, S. 274.