Die sieben Stufen der Liebe
Jede Beziehung ist anders. Doch viele Beziehungen entwickeln sich ähnlich. Was Paaren auf dem Weg zum gemeinsamen Glück alles blüht, lässt sich deshalb (beinahe) vorhersehen.
Auf dem Weg zur wahren Beziehung lassen sich sieben Stufen beschreiben. Diese Vorstellung darf aber nicht zu dem Irrtum verleiten, dass es mit jeder Stufe bergauf geht und dass man jede erklommene Stufe für immer hinter sich lässt. Dem ist natürlich nicht so. Jede Stufe lässt sich mehrfach rauf- und runtergehen oder -fallen.
Stufe 1: Mein Märchenprinz, meine Traumfrau
Jede Liebesbeziehung beginnt mit einem Wunder: Zwischen zwei Menschen funkt es. Beide kommen sich vor wie im Märchen und sind vom andern fasziniert. Hier ist er endlich, mein langersehnter Prinz, hier steht sie, meine Traumfrau. Was man am anderen bewundert, ist das Andersartige. Wer sich verliebt, liebt beim andern vor allem das Fremde. Noch nach Jahren erinnern sich Paare meist an den traumhaften Beginn ihrer Beziehung.
Stufe 2: Du enttäuschst mich!
Was im Zustand der Verliebtheit am Partner so fasziniert, stellt sich bei der ersten Belastungsprobe als Bedrohung heraus. Ist sie anfangs begeistert vom freiheitlichen Geist, der über seinem Chaos weht, zerstört eben dieses Chaos ihr geordnetes Zuhause, sobald er mit ihr zusammenzieht. Mit solchen „Kleinigkeiten“ beginnt die Phase der Enttäuschung: Man merkt: Mein Partner ist, denkt und fühlt in vielem einfach anders als ich selbst, und das findet man schade. Oder fühlt sich gar von ihm betrogen. Auf eine solche Enttäuschung kann man so oder so reagieren: So: „Ich hab mich vertan und mache mich jetzt auf die Suche nach dem richtigen Partner.“ Oder so: „Endlich erfahre ich, wie du wirklich bist und täusche mich nicht mehr in dir. Du bist so herrlich anders, fremd und voller Überraschungen. Das gibt mir die Chance, die vielen unbekannten Seiten an dir zu entdecken.“
Stufe 3: Hurra, wir haben eine Krise!
Zu Beginn jeder Beziehung herrscht ein unerschütterliches Vertrauen: Wenn wir uns nur genügend lieben, kommen wir krisenlos durchs Leben. Das ist glücklicherweise nicht der Fall.
Denn: Wer nicht in die Krise kommt, kommt im Beziehungsleben auch nicht weiter. Natürlich freut sich niemand, wenn er in die Krise kommt. Und doch tut sich ohne Krise so gut wie gar nichts. Denn wenn alles gut läuft, gibt es keinen Grund zur Veränderung. Ein Paar, das sich entfalten will, darf daher dankbar sein, wenn wenigstens einer von ihnen ab und zu die Krise kriegt.
Es gibt zahlreiche typische Zeiten, die sich für Krisen eignen: Die Zeit des Einstiegs in den Beruf. Die Zeit nach der Geburt eines Kindes und die Zeit, wenn alle Kinder wieder aus dem Haus ziehen. Die Zeit der nachlassenden Kräfte. Die Zeiten großer Langeweile und die Zeiten turbulenten Familienlebens. Bei Männern wird das „midlife“ gleich mit dem Zusatz „crisis“ versehen; und auch wenn Frauen an ihrem Partner das Aufregende vermissen, wird es kritisch.
Immer wenn sich etwas ändern muss, kommt mann oder frau in die Krise. So unangenehm das auch ist, so wichtig und notwendig ist es für jede Beziehung. Eine Krise hat gleich mehrere Funktionen:
- Sie bringt wieder Leben und Bewegung in die Beziehung.
- Sie sorgt für Distanz, wenn’s zu nah wird. Zu jeder guten Beziehung gehört auch eine gehörige Portion Abstand.
- Krisen machen lebensklug und weise. In Krisen wird man schlau.
„Augenblicke der Krise bewirken eine Steigerung der Lebenskräfte beim Menschen.“ (François-René de Chateaubriand)
Stufe 4: Du bist eben anders
Wovon man im Laufe einer Beziehung am schwersten loskommt, ist das Ideal, wie eine Beziehung zu sein hat. Ein Ideal trotzt jeder Wirklichkeit. Doch solange man versucht, den Partner dem Ideal gleich zu machen, wird man ihm nicht gerecht.
Eine Krise kann zu der Einsicht führen: Ich muss den Partner nehmen, wie er ist. Es gibt ihn nicht anders. Wahre Liebe lässt den Partner anders bleiben und mag ihn trotzdem.
Den anderen zu akzeptieren, wie er ist, heißt auch: anzuerkennen, dass er in vielen Bereichen besser ist als ich. Hilfe!
Stufe 5: Du darfst Fehler machen
Jeder Mensch glaubt natürlich: Was ich glaube, ist richtig – und versucht, den Partner davon zu überzeugen. Obwohl der andere sich natürlich ebenso im Recht fühlt. Auf diese Weise hält jeder das, was der andere macht, für falsch, und wenn Kinder darunter leiden müssen, dass ihre Eltern sich nicht einigen können, wird es anscheinend besonders problematisch. Eine solche Überzeugung ist eine Art Kriegserklärung an den Partner. Friede kehrt erst ein, wenn beide Partner gelassen mit den nicht akzeptierten Vorstellungen des anderen umgehen lernen.
Gelassenheit ist die Gewissheit, dass es nicht gleich tragisch ist, wenn der andere (aus meiner Sicht) „Fehler“ macht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass unser Partner und unsere Kinder auch ohne unser Zutun missraten.
Stufe 6: Du bist mein Schatz
Hat man sich einmal von der Last der Vorstellung befreit, dass die „beste“ Beziehung sich durch eine stete(sogar unabgesprochene) Einigkeit von Frau und Mann auszeichnet, dann können beide sich darüber freuen, dass jeder so herrlich anders ist. Nur zwei Menschen, die unterschiedlich sind, können sich ergänzen und aus ihren Verschiedenheiten eine fruchtbare gemeinsame Sache machen. Wer darauf verzichtet, den anderen ändern zu wollen, und das Fremde im anderen als persönliche Bereicherung ansieht, der wird erfahren, dass in seinem Partner ein echter Schatz ruht.
Was eine Partnerschaft dauerhaft am Leben erhält, ist die Achtung vor der Unterschiedlichkeit des anderen.
Stufe 7: Mach was du willst
Auf dieser Stufe angekommen, darf jeder machen, was er (wirklich) will. Jeder darf so sein und bleiben wie er ist, und darf sich selbstverständlich auch noch ändern.
Ein solches Lieben um des Liebens willen ist ein echtes Kunststück.
P.S. Wie gesagt: Jede dieser sieben Stufen können Paare im Lauf ihrer Beziehung mehrfach erreichen. Krisen kommen bei jeder passenden Gelegenheit wieder. Und die Freude am Fremden im anderen kommt zwischen Wäschewaschen, Steuererklärung und Kindergeschrei auch nicht immer auf.
Selbstverständlich kann eine Beziehung auch auf der obersten Stufe beginnen und die Partner dann – vom Alltag eingeholt – nach unten zerren.
Eine lebendige Beziehung ist wie ein Herz. Sie kommt nie zur Ruhe. Man kann sich daher nie richtig auf dem Erreichten ausruhen. Positiv gewendet heißt das, dass das Leben mit dem Partner ein Leben lang spannend bleibt. Es sei denn, man macht einfach (rechtzeitig? vorzeitig?) Schluss.
Conrad M. Siegers