Die Ehe - Kein Auslaufmodell!
Plädoyer für die Ehe als die einem Paar gemäße Lebensform.
Werte-Wandel betrifft auch die Christen
Die Ehe als das christliche Modell der lebenslangen Treue zu einem Lebenspartner scheint den Status der Selbstverständlichkeit ja sogar schon fast der Normalität verloren zu haben, sie sieht sich stattdessen einer Pluralität von möglichen Lebensformen gegenüber. Wenn die Ehe in Zukunft nicht auf eine Marginalexistenz zurückdrängt, sondern auch weiterhin eine reale und für den vernünftigen Menschen gangbare Weise der Lebensgestaltung sein soll – und diese These wird hier vertreten -, dann muss plausibel gemacht werden können, inwieweit das Modell „Ehe – lebenslange Treue zu einem Lebenspartner“ dazu beitragen kann, die Wünsche, Sehnsüchte und Träume des modernen Menschen aufzugreifen und einer Verwirklichung näher zu bringen.
Auf der Suche nach diesen Zielen des modernen Menschen wird man schnell fündig, wenn man berücksichtigt, dass in den 50er und 70er Jahren nach Auskunft von Soziologen eine Umorientierung von so genannten Pflicht- und Akzeptanzwerten zu Selbstentfaltungswerten stattgefunden hat. Werte wie Gehorsam, Treue, Pflichterfüllung, Unterordnung, Fleiß, Selbstlosigkeit und Enthaltsamkeit verloren an Boden zugunsten des „modernen“ Wertehimmels, der sich eher aus dem Streben nach Emanzipation, Gleichheit, Autonomie, Genuss, Abwechslung, Kreativität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit und Eigenständigkeit zusammensetzt. Dieser Wandel betrifft auch die Christen. Denn wenn jemand auch heute noch die Ehe als ein für seine Lebensgestaltung taugliches Modell erachtet, ist er deswegen kein „Fossil“ aus der Zeit vor dem Wertwandlungsschub, sondern als moderner, heutiger Mensch stellt er an sein Leben in der Ehe die entsprechenden Anforderungen, die hier auf die folgenden Nenner gebracht werden: Er will frei sein, identisch mit sich selbst, und er möchte seine Ehe insofern als bereichernd erleben, dass er ein reiferer Mensch wird, der sein Leben bewusster und voller erfährt. Aber trotz allem Freiheitsstreben will er auch einen festen Halt finden und gewappnet sein gegen Vergänglichkeit, Flüchtigkeit, ja, sogar gegen Verlustangst und Todesfurcht.
Solch hohe Erwartungen verschaffen der Ehe und mit ihr auch den anderen Modellen des Zusammenlebens von Mann und Frau im Vergleich zu früher eine gewaltige Bedeutungssteigerung, die aber ambivalent zu werten ist: Denn mit der Emotionalisierung erhöht sich auch ihr Konfliktpotential und verschärft sich die Gefahr des Scheiterns.
Das Modell Ehe – was kann es leisten?
Die unterscheidenden Merkmale des christlichen Modells „lebenslange Treue zu einem Partner anderen Geschlechts“ lassen sich in einer Form zum Ausdruck bringen, die zunächst als Paradoxien erscheinen mögen. In Wirklichkeit tragen diese Formulierungsversuche aber gesicherten Erkenntnissen von Human- und Sozialwissenschaften Rechnung, denen zufolge das menschliche Sozialverhalten nicht vollkommen beliebt formbar ist, sondern bestimmten Antriebsgesetzlichkeiten folgt: Die Beziehungen der Menschen können nur gesund und dauerhaft wachsen, wenn sie in einem ausgewogen Verhältnis von Bedürfniserfüllung, Selbstbehauptung und Führungsbereitschaft integriert sind. Der Münchner Sozialethiker W. Korff nennt diese triadische Struktur menschlicher Vergesellschaftung „die soziale Perichorese“. Korff wendet diesen griechischen, ursprünglich der altkirchlichen Trinitätslehre entstammenden Begriff auf den Bereich menschlichen Sozialverhaltens an und kennzeichnet damit die gegenseitige Durchdringung und Verflechtung der verschiedenartigen Antriebsstränge menschlicher Sozialität. Der Begriff verweist darauf, dass weder das Moment des Gebens, Schenkens und Sich-gebrauchen-Lassens noch das des Aufnehmens, Gebrauchens und Sich-beschenken-Lassens übergewichtig werden darf; nur in der Balance kann sich menschliche Beziehung in gesunder Weise entfalten. Angemerkt sei, dass die im Folgenden angesprochenen christlichen Grundhaltungen nicht nur für die Ehe, sondern auch für die Familie von ebenso großer Bedeutung sind. Aus Platzgründen kann dieser Aspekt nicht ausgeführt werden.
Sich selbst finden – durch das Ja zu einem anderen
Schon Jesus weist nach dem Zeugnis der Evangelien in paradoxer Redeweise darauf hin, dass, wer sein Leben krampfhaft festhält, es gerade verlieren, aber wer es hingibt um seinetwillen, es gewinnen werde. (Mk 8,35)
In der Tendenz der heutigen Leistungsgesellschaft liegt es, die Qualität der Liebe unter das Bewertungskriterium zu stellen: Was bringt es mir – dient diese Beziehung meinen individuellen Bedürfnissen? Diese Sichtweise ist nicht von vornherein völlig illegitim, aber sie setzt die Liebe dem Strudel von Rationalität, Berechenbarkeit und Wirtschaftlichkeit aus und macht sie dadurch unfähig, die doch eigentlich so sehr erwünschte Alternative zur kalten Gesetzmäßigkeit der Arbeitswelt zu bieten. Geborgenheit, Sicherheit und Wärme – das, wonach sich fast alle sehnen – können nur wachsen, wenn der eine sich auf den anderen unbedingt verlassen kann und wenn er merkt, dass nicht nur seine (vielleicht noch so zahlreichen) guten Eigenschaften akzeptiert werden, sondern dass er selbst als Person – auch noch jenseits seiner Leistungsfähigkeit – geliebt ist. Auf einen ganz simplen Nenner gebracht heißt das: Es braucht die Erfahrung, dass nicht nur etwas an ihm, sondern er selbst gemeint ist! Unter der Atmosphäre von Unsicherheit und Angst („Bin ich auch dann noch was wert, wenn ich versage?“) kann kein Vertrauen und kann niemand zu sich selbst finden.
Das zitierte „jesuanische Paradoxon“ bietet einen alternativen Weg an: Personale Stabilität, Selbstfindung und Reife erlangt man, indem man nicht ein entsprechendes Verhalten des anderen einfordert, gewährt, wo er so sein darf, wie er ist, und wo er nicht befürchten muss, er könnte fallengelassen werden, wenn er nicht die erwartete Leistung erbringt. Selbstfindung also gerade nicht durch krampfhafte Selbstbehauptung, sondern durch liebevolle Hingabe? Dieses Paradoxon ist mehr als ein Wortspiel – es lebt von der Erfahrung her: Wer fähig ist, einen andern um seiner selbst willen zu lieben, kann erfahren, dass der andere gerade dadurch liebenswürdig wird und diese Liebe erwidert; und: Die eigenen Fähigkeiten kommen viel leichter zur Geltung, wenn sie nicht ständig eingefordert werden; denn: Leistungsdruck macht oft leistungsunfähig (mit einem Fremdwort: „impotent“!) Wenn ein Paar der christlichen Überzeugung folgt: „Mich selbst finde ich gerade dann, wenn ich dem Nächsten diene“, dann öffnet es den Raum, in dem die Partner sich personal weiterentwickeln und nach und nach sich selbst finden und verwirklichen können. So kann Liebe wachsen.
Aus der gegenseitigen Hingabe entsteht ein „Mehrwert“
Konkrete Kennzeichen hingebender Liebe sind: die Annahme des anderen um seiner selbst willen – mit seinen Sonnen- und auch Schattenseiten, die Förderung und Unterstützung des anderen bei der Findung seiner Lebenspläne und Bedürfnisse und in deren Realisierung, der Blick für die Nöte des andern und das Aushalten-Können (oder wenigsten das Aushalten-Wollen) der Problematik, die den anderen belastet. So entsteht aus der gegenseitigen Hingabe ein „Mehrwert“ – ein Überschuss, der die Summe der guten Eigenschaften der einzelnen Partner übersteigt.
Aber: Mit „Hingabe“ oder „liebevoller Annahme“ wird nicht der Aufgabe der eigenen Individualität oder einer Verschmelzung mit dem anderen das Wort geredet. Vielmehr verknüpft die christliche Formulierung des Liebesgebotes („Liebe deinen Nächsten [so] wie [du] dich selbst liebst [liebst] – Mt 19,19 par) in sehr kundiger Weise die Nächsten- mit der Selbstliebe und übernimmt darin im Grunde das Prinzip der sozialen Perichorese. Übrigens kennt auch die Volksweisheit diese Zusammenhänge, indem sie menschliche Unfähigkeit zu lieben auf einen Mangel an Selbstliebe zurückführt, wenn sie sagt: „Der mag sich ja selber nicht!“
Freiheit erlangen – durch Mut zu Bindung und Entschiedenheit
Freiheit und Selbstbestimmung sind grundlegende Güter, ohne die kein humanes Leben vorstellbar ist. Jeder Lebensentwurf – auch die Ehe – muss nach seiner Leistungsfähigkeit für die Förderung der Freiheit befragt werden. Allerdings macht es keinen Sinn, Freiheit ausschließlich als Wahlmöglichkeit zu sehen. Denn sonst höbe sich Freiheit schrittweise selbst auf, wenn sie ausgeübt wird, weil damit Wahlmöglichkeiten beschnitten werden: Wenn ich mich für das eine entscheide, kann ich eben gerade das andere nicht tun! Dieses Dilemma löst sich erst, wenn klar wird: Freiheit äußert sich nicht nur im Auswählen (-können), sondern auch – und vielleicht noch tiefer – in der Entschiedenheit.
Das bedeutet: Es ist ein menschlich sehr reifer Akt der Freiheit, zu einer Entscheidung zu stehen, die man getroffen hat. Selbstverständlich gibt es Entscheidungen, die revidiert werden müssen; aber für meine Selbstidentität ist es zunächst einmal förderlich, wenn ich die Geschichte meiner Entscheidungen als meine Geschichte gelten lassen kann, auch wenn ich möglicherweise aus heutiger Sicht dies oder das anders machen würde. Denn diese „heutige Sicht“ ist ja gerade aus meiner Lebensgeschichte herausgewachsen. Sie hat aus mir den gemacht, der ich heute bin; wenn ich meine Geschichte nicht annehmen kann, lehne ich auch den ab, der ich selber geworden bin. Fähigkeit zur Entschiedenheit ist also Basis für die Bildung von Selbstidentität.
„Entschiedenheit“ ist notwendig
So sehr somit die Ehe nicht ohne spontane und emotional geprägte Zuneigung denkbar ist, so braucht sie doch darüber hinaus auch die Fähigkeit zum Stehen zu einem Menschen, für den man sich einmal entschieden hat. „Entschiedenheit“ ist in unseren Tagen stark unterbewertet. Doch aus ihr kann die Kraft wachsen, Konflikte auszuhalten und zu meistern. Oftmals wird davon ausgegangen, dass, wenn zwei Partner nur „zusammenpassten“, Konflikte vermeidbar seien. Es ginge also nur darum, den „idealen“ Partner zu finden – wenn dies nicht gleich beim ersten Mal gelingt, so doch wenigstens beim zweiten oder auch dritten Versuch.
Sigmund Freund soll dagegen einmal – sicher überzeichnend, aber doch nur zu wahr – gesagt haben: „Die Liebe zwischen Mann und Frau beginnt dort, wo die beiden merken, dass sie nicht zusammenpassen!“ Damit betont er überdeutlich die Notwendigkeit der Entschiedenheit für eine tragfähige Beziehung. Denn den Partner schlechthin gibt es nicht, genauso wenig, wie ich selbst der ideale Partner sein kann. Heirat aus Liebe allein genügt nicht. Die Ehe bleibt nur dann Liebesgemeinschaft, wenn Mann und Frau sich ständig um das Wachsen und die Vertiefung ihrer Liebe bemühen, was Bereitschaft zur Leidenserfahrung, die die Kraft zur Entschiedenheit mit einschließt.
Über die beglückende Erfahrung eines gemeisterten Konfliktes hinaus ist auch die Erkenntnis zweier Partner, dass sie nicht nur trotz, sondern vielleicht gerade wegen so mancher Verschiedenheit ein gewinnbringendes Leben miteinander führen können, sehr bedeutungsvoll; diese Erkenntnis ist aber nicht umsonst zu haben und kann sich nicht einstellen, wenn entschiedene Liebe nicht vor dem vorschnellen Zurückschrecken vor einem Konflikt bewahrt.
Flinte nicht zu früh ins Korn werfen
Es soll natürlich in keiner Weise verleugnet werden, dass es auch tatsächlich verfehlte Entscheidungen in der Partnerwahl geben kann, und es soll hier nicht das sture und rein gesetzliche Festhalten an einer längst hohlen und unwiederbringlich toten äußeren Form gepredigt werden. Das wäre Aufforderung zur Selbstzerstörung. Die Entscheidung jedoch, wann wirklich jeder Wiederbelebungsversuch, unsinnig geworden ist, ist sehr schwer und nur im konkreten Einzelfall zu treffen. Für einen gewissenhaften Umgang mit dieser Entscheidung ist in der Regel eine fundierte Beratung vonnöten. Andererseits wird hier die Aussage gewagt, dass oftmals zur früh die Flinte ins Korn geworfen wird – und zwar nicht zuletzt in Verkennung des Wertes und der Leistungsfähigkeit der „Freiheit der Entschiedenheit.“
Zuletzt darf nicht vergessen werden, dass die Kraft der Entschiedenheit die Ehepartner füreinander vertrauenswürdig macht, indem sie die Liebe dem Wechsel der Gefühle zwar nicht zur Gänze entzieht, diesen aber doch in einer Weise abfedert, dass die Eheleute sich nicht tagtäglich ganz neu der Liebe und Treue des anderen vergewissern müssen; so wächst ihnen eine Sicherheit zu, die nötig und förderlich ist für den Einsatz in Familie, Gesellschaft und Beruf.
Eine weitere Stabilisierung erfährt dieser „Schutzraum Entschiedenheit“, indem die Partner ihre Entscheidung füreinander öffentlich kundtun. Von allen theologischen Begründungen einmal abgesehen, liegt hier der Wert einer öffentlich-verbindlichen Eheschließungsform. Dadurch, dass die Umwelt um die Entschiedenheit zweier Partner füreinander weiß, ergeben sich zusätzliche Sicherheit und eine Förderung des gegenseitigen Vertrauens.
Die Angst vor der Vergänglichkeit besiegen – durch Fähigkeit zum Mut zum Wandel
„Sich hinzugeben ganz und eine Wonne/Zu fühlen, die ewig sein muß/Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung sein/. Nein, kein Ende! Kein Ende!“ Diese Worte, die Goethes Faust beim Zusammensein mit Gretchen äußert, spiegeln ein Sehnen wider, das keinem fremd ist, der Liebe kennt. Kaum eine andere Situation drängt so sehr nach Dauer und erweckt doch gleichzeitig die dunkle Ahnung der Vergänglichkeit wie die Stunden der Liebe. Jenseits aller Konfliktlösungspotentiale und -fertigkeiten, deren Wert nicht genug betont werden kann, spürt der Mensch dennoch, dass ihm in einer letzten Dimension das Glück und die Liebe nur geliehen sind; wohl kann und muss er einen guten „Nährboden“ schaffen, auf dem sie gedeihen können, aber letztlich bleiben sie doch unverfügbar.
Dies ist der Punkt, wo sich nicht mehr adäquat vom menschlichen Leben reden lässt, ohne nach dem eigentlichen Grund der Liebe zu fragen, der sie in aller Vergänglichkeit hält.
„Knotenpunkte“ in der Geschichte des Zusammenseins
Nun soll aber nicht der zweite Schritt vor dem ersten getan werden; deshalb muss das Thema „Vergänglichkeit“ noch einmal auf der Ebene unterhalb dieser letzten Unverfügbarkeit von Beziehung angesetzt werden durch den Hinweis auf die vielen „Knotenpunkte“ in der Geschichte des Zusammenseins von Frauen und Männern, die nach Auskunft der Soziologen besonders „veränderungsträchtig“ sind, allen voran die Geburt des ersten Kindes und der Zeitpunkt, wo die Kinder das Haus verlassen. An diesen Schnittstellen müssen die Partner ihre Rollen neu definieren und sehen sich dadurch einem hohen Anpassungsdruck gegenüber, wodurch gleichzeitig das Konflikt- und Krisenpotential erhöht wird. Dazu kommt, dass nicht nur in der Beziehung als solcher, sondern auch in dem vielfältigen Netzwerk, in das sie verwoben ist, ständig Änderungen stattfinden – durch äußerlich sichtbare Prozesse wie Krankheit eines Familienmitglieds, berufliche Wandlungen oder Krisen, oder aber auch durch weniger objektivierbare, aber genauso reale innerpsychische Krisen und Reifungsprozesse der Partner. Jede Veränderung an irgendeinem Punkt betrifft das Gesamtsystem mit, stört dessen Balance und ruft nach neuer Austarierung. Wegen dieser Schwierigkeiten wird vielfach die christliche Option einer lebenslangen Bindung als Utopie erklärt und demzufolge ein Abbau der Institutionalität der Ehe gefordert. Es sei unrealistisch, sich einen Lebenspartner zu erwarten, bestenfalls könne man einen „Lebensabschnittspartner“ finden.
Lebenslange Treue: ein realistisches Ziel
So wenig ein stures und rücksichtsloses Festhalten an einer unwiederbinglich abgestorbenen Beziehung im Sinne einer recht verstandenen „Unauflöslichkeit“ sein kann, so sehr bleibt aus christlicher Sicht dennoch das Modell „lebenslange Treue zu einem Partner“ ein realistisches Ziel, das anzustreben sich lohnt. Dieser Optimismus rührt aber nicht aus einer Blauäugigkeit her, die unter Verkennung der Realität und unter ideologischer Verbrämung mehr fordert, als was menschenmöglich ist. Wenn katholisches Verständnis die Ehe ein „Sakrament“ nennt, dann drückt sich darin die Erfahrung aus, dass der Weggemeinschaft der Liebenden von Gott her eine Heilszusage gegeben ist, ihre Liebe kann beständig sein, weil sie vorgängig immer schon eingebettet ist in die Liebe Gottes, von der sie ihre Kraft bezieht. Mit anderen Worten: Christen sehen die Liebe in keiner Phase als reines Menschenwerk (so sehr das Mühen um menschliche Beziehungs- und Liebesfähigkeit unbedingte Voraussetzung ist), sondern wenn Liebe vorkommt in dieser Welt, dann ist immer schon Gott mit im Spiel.
Befreit zum Lieben
Daraus ergeben sich ganz handfest und von Lebenswissen gedeckte Folgerungen. Denn die Liebe steht immer unter dem Dilemma, dass sie einerseits eine für das Gedeihen jedes Menschen unabdingbar notwendige Erfahrung ist, sich aber andererseits wiederum nur schwer entfalten kann, wenn sie eingefordert wird. Nirgendwo gilt so sehr wie hier: Was sein muss, wird (gerade deswegen) verhindert, nur was in Freiheit sein darf, kann geschehen. Es wäre eine ungeheure Belastung, wenn sich ein Partner für das Glück des anderen im letzten verantwortlich machen würde; und es wäre eine zerstörerische Überschätzung des anderen, wenn man von ihm in einer Art „Vergötterung“ das erwarten würde, was menschenunmöglich ist und eben nur Gott geben kann. Ganz konkret: Wer die Verbindung zu seinem Partner im Sinne des christlichen Eheverständnisses gestaltet, ist sich erstens zwar seiner Verantwortung wohl bewusst und arbeitet nach Kräften daran, einen sinnvollen Beitrag für sein Glück zu geben; glücklich machen im eigentlichen Sinne aber kann und muss er ihn nicht! Und zweitens: Wenn jemand selbst Liebe erfährt, dann ist dies in einer Ehe zwar nicht gerade außerhalb der Wahrscheinlichkeit, aber einen Anspruch darauf gibt es nicht; wenn es doch geschieht, ist es Geschenk.
Nicht, dass die Gedanken christlicher Ehepartner ständig um solch hohe Ideale kreisten; aber diese Sichtweise kann zu einer inneren Grundhaltung „gerinnen“ und wirkt dann für beide Partner sehr entlastend. Sie befreit zum Lieben, weil sie den Zwang dazu wegnimmt: Was in Freiheit sein darf, kann geschehen!
„Ehe als Sakrament“
Was Veränderungen im Leben der Menschen unbehaglich macht, sind die Ahnung der Vergänglichkeit und das damit verbundene Wissen, nichts festhalten zu können. Im Grunde also ist es Verlustangst, die im allerletzten in der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität wurzelt, also in der Tiefe nichts anderes als die Furcht vor dem Sterben. Gerade an diesem zentralen Knotenpunkt menschlicher Existenzbewältigung kann das christliche Verständnis von „Ehe als Sakrament“ eine bedeutende Rolle spielen. Denn wer den theologischen Begriff „Sakrament“ in den Mund nimmt, spricht damit die christliche Grundbotschaft an: Das Sterben in all seinen vielfältigen Formen muss nicht Ende bedeuten, sondern kann Zentrum eines Wandlungsprozesses werden – theologisch gesprochen: Im Tod liegt die Verheißung der Auferstehung und des neuen Lebens.
Auf die Lebensgeschichte einer Frau und eines Mannes angewendet kann das heißen: All die vielen Tode und „Karfreitagsstunden“, die eben auch zum Prozess einer Beziehung gehören – das Erlöschen der Zuneigung, keine Zeit füreinander, Getrennt-sein (als innerer oder äußerer Vorgang), Entfremdung und bittere Enttäuschung, kräfteverzehrende Konflikte, Loslassen-müssen von Lebensplänen, das Zu-Grabe-Tragen“ von unrealistischen Erwartungen – diesen Momenten ist „Auferstehung“ verheißen.
Auch hier gilt, dass diese Botschaft keinem Christen jederzeit explizit vor Augen steht, aber wiederum erweckt eine entsprechend gewachsene Grundhaltung ein Urvertrauen, das den Mut verleiht, Veränderungen und Krisen auch als Chance zu begreifen. Damit kann einer christlichen Ehe eine sonst kaum denkbare Kraft zuwachsen, Krisen und Konflikte durchzustehen und zu bewältigen; gerade das ist aber unabdingbar notwendig, denn es gibt keine gelingende Ehe oder das Annehmen der je neu sich ergebenden Verschiedenheit zweier Menschen, ohne Bewältigung der Konflikte, die unvermeidlich im Aufprall von Wunschbild und jeweils konkreter Wirklichkeit entstehen.
Kritischer Blick auf die konkrete Verkündigungsgestalt „christlicher Ehe“
Selbst wenn man davon überzeugt ist, dass christlich verstandene Ehe auch heute noch die Grundlage für eine gelingende partnerschaftliche und familiäre Lebensgestaltung bieten kann, darf dennoch nicht übersehen werden, dass die Ehe sich vor einigen, für sie besonders verfänglichen Versuchungen zu hüten hat, wenn sie in der Lage sein soll, ihre an sich gegebene Leistungsfähigkeit auch konkret zu entfalten. Dass dabei in erster Linie an das je konkrete Handeln derer zu denken ist, die christliche Ehe leben wollen – man bleibt ja immer wieder hinter den Idealen zurück, die man anstrebt -, ist so selbstverständlich wie banal. Hier wird der Blick auf den leichter greifbaren Bereich der Verkündigung der christlichen Ehelehre und des kirchlich-offiziellen Umgangs mit dem Umfeld „Ehe“ gelenkt.
Missachtung der sozialen Perichorese in der Verkündigung
Wer wenigsten ab und zu Gelegenheit hat, eine Trauungspredigt zu hören, dem wird auffallen, dass im Zusammenhang mit kirchlicher Eheschließung auch heute noch oftmals recht unrealistisch und damit auch wenig hilfreich geredet wird. An der Wurzel solch unwahrer Rede liegt nicht selten die Verkennung der triadischen Grundstruktur menschlichen Zusammenlebens, die sogenannte „soziale Perichorese“. Beinahe romantisierend wird eine der drei Grundkomponenten, nämlich die fürsorgende, den Partner um seiner selbst willen annehmende, so stark übertont, dass die beiden anderen – Bedürfniserfüllung und Selbstbehauptung – ganz übersehen oder gar abgewertet werden. Im Zusammenklang mit einer hier nicht näher auszuführenden verhängnisvollen Tradition christlicher Ehejahre steht bisweilen immer noch das „Begehren“ in seinen vielfältigen Formen unter einem gewissen Vorbehalt, ebenso wie die Kraft der Aggression, ohne die es aber keine gesunde Selbstbehauptung gibt. Eine zutreffende Interpretation von „typischen“ Hochzeitslesungen (z.B. 1 Kor 13 – Das Hohelied der Liebe) geht mit diesem Irrtum gut zusammen und zeichnet ein Leitbild von Liebe, das – sollte es sich ein Ehepartner aneignen – zur hoffnungslosen Überforderung führen muss. Es ist legitim, ja sogar unabdingbar, dass auch in der intimen Verbindung von Mann und Frau jeder der Partner auf seine Individualität und auf die Wahrung seiner Interessen acht hat; ebenso wäre eine Ehe, in der eine nicht von den guten Eigenschaften und Fähigkeiten des anderen profitieren dürfte, eine sehr traurige und im Grunde wenig sinnvolle Angelegenheit. Das Moment des Aufnehmens, Gebrauchens und Sich-behauptens ist an und für sich nicht schlecht; dies würde es erst, wenn es sich verselbständigen würde und nicht mehr eingebettet wäre in eine vom Fürsorgeimpuls bestimmte Grundhaltung.
Unterschätzung der Notwendigkeit von Krisen- und Konfliktlösungsfertigkeiten
Zum Zentrum der kirchlichen Eheverkündigung zählt – natürlich mit Recht – die Botschaft von der Unauflöslichkeit, Dauerhaftigkeit und lebenslangen Treue. Jedoch wird oftmals übersehen, dass es mit deren Einforderung allein nicht getan ist; soll Dauerhaftigkeit lebendige Realität werden, muss auch die Befähigung dazu, und das heißt konkret: zu Konflikt- und Krisenmanagement, vorhanden sein bzw. gefördert werden. Zwar ist auf diesem Gebiet z.B. durch die Tätigkeit der diözesanen Seelsorgeämter oder der Eheberatungsstellen bereits sehr wertvolle Arbeit – auch bewusstseinsbildender Art – geleistet worden, z.B. durch die Entwicklung eines breiten Seminarangebotes in der Ehevorbereitung und –begleitung, oder ganz besonders durch die Zunahme der so genannten „EPL“ – und „KEK-Kurse, die in äußerst intensiver Weise die Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Eheleute betreiben.
Dennoch besteht hier weiterhin ein bedeutender Entwicklungsbedarf, etwa in der Kooperation von Psychologen, Therapeuten und Seelsorgern.
Inadäquater Umgang mit Scheitern
Es scheint sich ein Gegensatz aufzutun zwischen der geforderten Barmherzigkeit zu den Gescheiterten und der Treue gegenüber der von Jesus selbst geforderten lebenslangen Treue zum einmal gewählten Partner (Lk 16,18). In der hier geforderten Kürze kann nur ein knapper Hinweis auf eine mögliche Lösung gegeben werden. Es wurde schon ausgeführt, dass die Rede über die Sakramentalität der Ehe von der gottgeschenkten Möglichkeit kündet, durch „Karfreitagserlebenisse“ hindurchzustoßen zur Erfahrung der Auferstehung – also des Neubeginns auch nach scheinbar aussichtslosen Krisen. Wenn diese so verstandene Sakramentalität nun wirklich ernst genommen werden soll, dann kann sie nicht ausgeblendet werden, wenn eine Frau und ein Mann so tief ins Scheitern geführt werden, dass sie ihre Beziehung nicht mehr bewahren könne. Auch ihnen gilt – jeweils als einzelne – die in der sakramentalen Eheschließung einmal zugesagte Verheißung der Auferstehung. Die Treue Gottes zu den betroffenen Menschen geht nicht zu Ende, wenn diese das Zerbrechen ihrer Ehe durchleiden müssen. In diesem Zusammenhang schreibt der Münchner Theologe, Psychologe und Eheberater L. Wachinger: „Auf die Auferweckung wäre zu hoffen, auf die Erfüllung einer Ehe im Nicht-Verrechenbaren und Nicht-Aufweisbaren.“ Und er fragt, ob nicht damit gerechnet werden müsste, dass ein Mensch geläutert aus einer Scheidung hervorgeht und dass ihm nach dem „Durchstehen und Durchtrauern der Trennung des Schmerzes, der Wut und des Hasses“, nach dem Zerbrechen alter Formen neue Lebensmöglickeiten zuwachsen können.
Fazit: Ehe muss nicht zum Auslaufmodell generieren; es gibt gute Gründe, auch heute noch das Miteinander von Frauen und Männern nach diesem Modell zu gestalten. Jedoch muss sich dieses Modell auch in Zukunft als so wandlungsfähig erweisen, dass es Menschen unserer Tage den Raum gibt, sich in seinem Rahmen human zu entfalten. Dies ist eine Aufgabe sowohl der einzelnen Eheleute als auch derjenigen, die Verantwortung tragen für die Formulierung der christlichen Ehelehre – kirchliche Amtsträger wie Theologen und andere Fachleute.
Alfons Hämmerl