Das geht auch mit meiner Frau
Sexuelle Routine statt Leidenschaft: Das kommt in den besten Ehen vor. Ludwig Bauer suchte kreative Auswege aus der verkehrsberuhigten Zone
Essen ist die Erotik des Alters“, sagt ein Sprichwort. Darin spiegelt sich die Erfahrung, dass die Hormone sich mit der Zeit beruhigen. Aber heißt das automatisch auch, dass Sexualität an Attraktivität verliert, dass ein VierGänge-Menü eine größere Anziehungskraft besitzt als die eigene Ehefrau, der Ehemann? Tatsächlich berichten Eheberater, dass viele Paare schon recht bald und nicht erst im Alter klagen: Die sexuelle Leidenschaft miteinander sei einer langweiligen Routine gewichen. „Verkehrsberuhigte Zone“ nennt der Paartherapeut Ulrich Clement das in seinem Buch „Guter Sex trotz Liebe“ (siehe S. 33).
Eins sein: wie langweilig!
Wohlgemerkt: Die Flaute im Sexualleben bedeutet nicht automatisch, dass die Partnerschaft schlecht oder die Ehe in eine Krise geraten wäre. Im Gegenteil: Gerade wenn ich zu sehr von meiner Partnerin her denke, begünstigt das die Flaute. Sie ist das Zentrum meines Denkens; ich mache es, wie ich meine, dass sie es möchte. Aus unserer gemeinsamen Geschichte weiß ich ja, dass ich damit richtig liege; also mache ich es wieder so (und umgekehrt meine Partnerin natürlich auch). Die Wiederholung beginnt, und das Paar geht immer mehr darin auf, „eins zu sein“. „Partnerbestimmte Sexualität“ nennt Clement dieses Verhalten. Es lässt die Liebe wachsen – und das Begehren nachlassen.
Einen anderen Akzent setzt die selbstbestimmte Sexualität. Die ist freilich riskant: Vielleicht mache ich mich lächerlich mit dem, was ich mir wünsche. Oder ich mute meiner Partnerin etwas zu, was sie nicht möchte, was bei ihr Angst auslöst. (Und peinlich ist es sowieso, sexuelle Phantasien zu haben oder Wünsche zu formulieren; zumindest sind die meisten Menschen so erzogen worden.) Dennoch: Das eigene Begehren wahrzunehmen, es sich zuzugestehen und Verantwortung dafür zu übernehmen, ist der erste Schritt; es meine Partnerin wissen zu lassen ist der zweite. Das hat nichts mit Egoismus oder Rücksichtslosigkeit zu tun, denn: Ein Begehren zu formulieren heißt ja noch nicht, dass ich es sofort und mit großer Begeisterung erfüllt bekommen muss. Es ist eine Einladung, die ich ausspreche; wie weit meine Frau ihr folgt, bleibt offen. Denn ich tue nichts, was sie verletzen würde.
Das Tabu wird zum Neuland
Wenn ich den Mut aufbringe, meine Erwartungen auch im Sexuellen auszusprechen, kann ich vielleicht zwei Veränderungen wahrnehmen. Zum einen bekommt auch meine Frau Mut, bei sich genauer hinzuschauen, sich mehr zu öffnen – und zu erzählen, was sie reizen würde. Das, was ich aus Sorge um die Partnerin mich nie zu sagen traute, wird plötzlich Neuland, das gemeinsam entdeckt werden will. Zum anderen werden Unterschiede deutlich: Natürlich sind wir das ideale Paar – aber wir bleiben verschieden. Da gibt es Seiten in mir, von denen meine Frau nichts weiß. Und bei ihr gibt es Schichten, die mir fremd sind. Die ich vielleicht gar nicht kennen lernen will, weil sie mir Angst machen. Die mich aber genau deshalb reizen… Es ist die faszinierende Seite der Fremdheit, die mich ängstigt und lockt. Liegt darin nicht die besondere Würze der Erotik? Dass ich mit dem Fremden spiele, die selbst auferlegte Grenze überschreite?
Clement formuliert es so: „Die ungemütliche Alternative lautet: Willst du es nett und unbefriedigt – oder riskant und mit Chance auf Lust?“ Riskant und mit Chance auf Lust – dafür brauche ich keinen Seitensprung, keine heimliche Geliebte. Das kann ich auch mit meiner Frau erleben, gerade weil wir uns lieben, weil wir eine partnerschaftliche Ehe führen. Gerade deshalb können wir erfinden, ausprobieren. Mit erotischer Neugier kann ich ungeahnte Seiten des Menschen entdecken, der seit vielen Jahren das Bett mit mir teilt. Und ungeahnte Seiten von mir selbst. Es ist ein „Reich der Möglichkeiten“, was sexuell sein könnte – aber eben nicht muss. Ich handele sozusagen auf Probe; je nachdem, wie meine Frau reagiert, können wir weitermachen oder uns etwas Neues ausdenken.
„Erotische Geschenkideen“
Für diese Reise zu den bislang verschwiegenen Seiten des „sexuellen Profils“ gibt Ulrich Clement einige „erotische Geschenkideen“ mit auf den Weg:
- Der erotische Tratsch ermöglicht es, spielerisch über Erotik ins Gespräch zu kommen. Wie es sich für einen Tratsch gehört, geht es dabei nicht über „uns“, sondern über andere; das geht leichter. Vereinbaren Sie dazu einen Zeitpunkt, an dem Sie beide nicht abgelenkt sind, und wählen Sie einen Ort abseits Ihres Alltags (Bar, Parkbank ...). Und dann tratschen Sie über den Sex anderer Leute, was immer Ihnen auch einfällt. Natürlich können Sie nicht wissen, ob es wirklich so ist. Darauf kommt es auch weniger an als auf die schöne Vorstellung…
- Sie können sich auch vornehmen: einmal richtig schlechten Sex machen, so langweilig und fade wie möglich. Zur Vorbereitung sprechen Sie miteinander ab, dass Sie ein Spiel spielen wollen (sonst merken Sie oder Ihre Frau, Ihr Mann am Ende gar nicht, dass Sie gerade jetzt schlechten Sex praktizieren…). Wenn Sie unsicher sind, wie schlechter Sex geht, fragen Sie Ihren Mann, Ihre Frau, was ihn oder sie am meisten stört. Und dann legen Sie eine Spielzeit fest, maximal 30 Minuten, und beginnen. „Spielen Sie nicht einfach Theater. Versuchen Sie nicht jemand zu sein, der Sie nicht sind. Sondern betonen Sie einfach jene Seite von sich, von der Sie wissen, diese törnt Ihren Partner ab.
- Seien Sie gezielt ein unaufmerksamer Liebhaber.
- Ignorieren Sie die Wünsche Ihres Partners.
- Geben Sie die langweilige Geliebte bzw. den langweiligen Geliebten.“ Überlegen Sie anschließend, wie leicht Ihnen die Übung gefallen ist, was Sie über Ihre Frau, Ihren Mann und was Sie über sich selbst gelernt haben. Erzählen Sie sich dann, was besonders gut oder schlecht gelungen ist und was Ihnen zwar missfallen hat, was Sie zur Not aber auch hinnehmen könnten. Aus dem Gespräch heraus können Sie dann konkret und anschaulich die Kennzeichen von befriedigendem Sex entwickeln, wie Sie ihn gern hätten.
- Schon der Apostel Paulus wusste, dass eine befristete Enthaltsamkeit dienlich sein kann. So können Sie verbindlich eine sexuelle Auszeit, beispielsweise eine oder zwei Wochen, vereinbaren, in der Sie alle sexuellen Initiativen unterlassen. Auch kleinere Alltagszärtlichkeiten sind tabu. Wenn Ihnen in dieser Zeit sexuelle Wünsche in den Sinn kommen, schreiben Sie sie auf, aber erzählen Sie sie nicht weiter. Das Ende der Auszeit können Sie mit einem Gläschen Sekt feiern.
- Haben Sie schon einmal Liebesbriefe geschrieben? Das geht auch in späteren Phasen der Beziehung noch, wenn Sie Ihre Frau, Ihren Mann täglich sehen. Ob Sie ihr oder ihm erotische Briefe schreiben oder Postkarten (hat einen besonderen Reiz, da der Briefträger eventuell mitliest), E-Mails oder SMS oder versteckte Botschaften an Orten deponieren, wo sie oder er sie überraschend finden wird – vieles lässt sich leichter sagen, wenn man nicht dabei ist. Und Ihre Frau, Ihr Mann muss nicht gleich antworten. Die Gesprächsroutine wird unterbrochen, es kann eine spannend-prickelnde Zeit des Wartens entstehen. Vielleicht haben Sie Lust bekommen, das eine oder andere auszuprobieren.
Aber Vorsicht: Es könnte sich etwas verändern, und das hat seinen Preis. Und es hat seinen Preis, wenn sich etwas nicht verändert. Umgekehrt gilt aber auch: Es hat einen Wert, alles beim Alten zu lassen, ebenso wie es einen Wert hat kreativ Neues auszuprobieren. Und ob ich zum einen oder zum anderen tendiere, ist kein Gradmesser dafür, ob ich in einer guten oder einer eher weniger befriedigenden Partnerschaft lebe, ob ich unsere Sexualität erfüllend oder weniger erfüllend erlebe.
Wie übrigens Essen nicht nur Erotik des Alters sein muss. Denn was hindert mich, ein abendliches Vier-Gänge-Menü als Einstieg in eine lustvolle Nacht vorzubereiten?
Ludwig Bauer