Wenn die Bilder zerfließen
„Du sollst dir kein Bild machen“: Vor dem Hintergrund dieses Gebots erweist sich die Zusage im Eheversprechen „Ich will dich lieben, achten und ehren“ als gewagte Zumutung.
Die Liebe ist ein Segen – und stellt in den weiten Raum des Dramas. Liebende möchten sich gegenseitig gut sein, sich beschützen. Sie lassen auf den Geliebten, die Geliebte „nichts kommen“, ihre Liebe wird ihnen heilig. Paare versuchen, sich im Zeichen der Liebe unter einen guten Stern zu stellen, sich ihrer zu versichern, sie immer wieder neu zur Welt zu bringen. Die Liebe nimmt mit Haut und Haar gefangen und wandelt Menschen in Sehnsüchtige.
Sich vom Geliebten „kein Bild machen“
Die Liebe weckt gewaltige, dramatische Kräfte. Sie greift nach dem ganzen Menschen und führt sowohl in den siebten Himmel wie in tiefste Abgründe. Sie macht Menschen berührbar und unlogisch, stark und dünnhäutig, unverletzlich und zerbrechlich, würdevoll und rabiat, sprachlos und sprudelnd. Sie beflügelt und lässt staunen. Furcht vor dem Zerbrechen der Liebe steht immer auch mit im Raum, aber Menschen beschwören die Dauer ihrer Liebe.
„Ich will dich lieben, achten und ehren“ versichern sich die Partner bei der kirchlichen Trauung. Diese Zusage zu einem Menschen ist überragendes Wagnis. Im biblischen Kontext ist sie nur und ausschließlich für die Beziehung zwischen Mensch und JHWH/Gott reserviert.
Biblisch wird die menschliche Leidenschaft an Gott geboten und das Verhalten von „lieben, achten und ehren“ verknüpft mit der „Ersten Weisung zum Leben“: Du sollst dir kein Bild machen. ProphetInnen kritisieren, mahnen, rügen und bitten die Menschen im Wissen um deren Neigung, dass sie doch Gott nicht in ihre Bilder sperren. Aber was bieten sie dafür Neues? Sie interpretieren bestehende Bilder anders, verwerfen einige, erfinden Neue – sie erweitern die Bilderwelt und verweisen darauf: Gott ist nicht in Bildern zu umfassen. Der Mensch aber bleibt das interpretierende und imaginierende Subjekt. Wie die biblischen Menschen tun wir uns bis heute schwer, ungewohnte, andere Bilder zur Kenntnis zu nehmen, anzuerkennen, geschweige denn zu akzeptieren und in unsere Vorstellung als Bereicherung (nicht als Bedrohung) aufzunehmen. Sich vom Geliebten „kein Bild zu machen“ – auf Zuschreibungen zu verzichten: Wie wird das partnerschaftlich möglich und lebbar?
Enttäuschung und Entdeckung
Entwicklungspsychologisch entstehen Bilder vor allen Worten. Erst Einge-Bild-etes können wir auch aus-Bild-en. Bereits als Kinder fühlen, schauen und sehen wir, bevor wir beginnen zu sprechen. Diese Begabung gehört zu uns Menschen, egal wie erwachsen wir werden. Von unserem Partner hatten wir einen ersten Eindruck, der ja erwiesenermaßen entscheidend darüber war, dass wir Interesse entwickeln konnten – ihn/sie anziehend genug zu finden, um in die weiteren Phasen des gegenseitigen Kennenlernens zu investieren. Und manches gesagte Wort oder auch nicht gesagte Wort des „angebeteten“ Partners verschlägt uns die Sprache. Bilder sprechen anders als Worte.
Bei aller Liebe und Behutsamkeit: Menschen können nicht anders, als sich Bilder zu machen, voneinander und von sich selbst. Dass wir uns welche gemacht haben, bemerken wir spätestens, wenn wir feststellen: Der/die andere ist doch ganz anders. Diese Feststellung geht häufig mit herber Ent-Täuschung, einer Krise einher. Ja: Eine Enttäuschung ist die Aufhebung einer Täuschung, und sie birgt die kostbare Chance der Ent-Deckung, der Verflüssigung und/oder Erweiterung bestehender Bilder: Du bist überraschend, erschreckend, fremd, faszinierend anders als ich. Du bist so anders, als ich dachte. Erst die Ent-Deckung des Andersseins ermöglicht die Zusage der gegenseitigen Achtung und Ehre im Trauspruch und fordert sie ein.
Gerade das zu mir und meinen Bildern in Spannung stehende „Andere“ berührt, befragt mich in meinem Selbstentwurf. Fragen in der Auseinandersetzung zwischen Achtung und Verachtung, Ehre und Entehrung, Würde und Entwürdigung können konkret und neu buchstabiert werden.
Menschen können nicht ohne Bilder
Gerade in den Wachstums- und Wandlungsphasen einer Partnerschaft werde ich auf mich selbst verwiesen. Wie erlebe ich mich in meinem Selbstwert, meiner Selbstachtung und -ehre? Und doch, wie entlastend ist es sagen zu können: Ich erlaube mir, mich zu entwickeln, älter zu werden, mich zu verändern, mir treu zu bleiben und gerade darin die Kraft zu finden, dir treu zu sein, um so auch gemeinsam weiter zu wachsen.
Weil es so ist, fordere ich in Selbstachtung die Ehre, die mir gebührt, auch von dir ein. Ich teile mich dir mit und mute dir zu, dass ich in meinem „Anderssein“ von dir geachtet werden will. Genau diese Achtung, die du mir entgegen bringst, bringe ich dir entgegen und ehre dich, indem ich dir ebenso Wandlung zugestehe. Als solche sind wir auch eine Zu-Mut-ung füreinander. Veränderungen sind das Beständigste. Und trotzdem – so hätte ich es mir nicht ausgemalt.
Antworten und neue eigene und gemeinsame Bilder können entworfen werden. Menschen können nicht ohne Bilder. Die gegenseitige Zumutung im Eheversprechen ist das letzte Abenteuer der Welt.
Maria Faber