Mit den Kindern den Tag in Gottes Hände legen

„Papa, betest heute Du mit mir?" Die Kinder kuscheln sich in die Kissen, und ein entspanntes Gähnen signalisiert mir: Jetzt kann's losgehen.

In den Jahren gestaltet sich in unserer Familie das Abendgebet mit den Kindern durch ganz einfache Elemente.

Miteinander ruhig werden

Unsere beiden Kinder beten — anders als beim Tischgebet oder bei anderen Gebetsanlässen — je für sich in ihren Kinderzimmern. Kein Kind lenkt das andere ab, sie kommen daher leichter zur Ruhe, und ich kann ganz persönlich und individuell auf die Bedürfnisse unseres Sohnes oder unserer Tochter eingehen. Unser Jonas ist ein kleiner, ganz sensibler Philosoph, der sehr lange am Thema bleibt, bei jeder Frage nach einer befriedigenden Lösung sucht und nach ihr ringt, ein Perfektionist, der die Fehler schneller bei sich als bei anderen sucht. Das Gebet am Abend mit ihm erfordert von mir oder meiner Frau viel Zeit und Ruhe. — Hannah hingegen ist ein kleiner aufbrausender Hitzkopf, der den Tag wie eine Berg- und Talfahrt durchlebt, abends zufrieden und lebenssatt ins Bett fällt; je schneller gebetet, desto besser. Auch wenn es uns Eltern nicht immer gelingt, bemühen wir uns doch sehr, auf die unterschiedlichen Eigenheiten unserer Kinder einzugehen und sie zu unterstützen, ihr Leben und mittendrin in ihrem Leben Gott zu entdecken.

Das Bild bekommt einen Rahmen

Trotz dieser Unterschiedlichkeit tut beiden gut, still zu werden, die Hände zu falten und den ganzen Tag an sich vorbeiziehen zu lassen: Kindergarten ... Beule am Kopf vom Fahrradfahren... mit dem Nachbarskind gestritten ... Spaghetti gegessen ... Opa im Garten geholfen .. .

Beim Anschauen des Tages fragen wir uns: Was war heute schön, was ist mir gelungen, für was kann ich dankbar sein? Was lief heute schief, was ist mir nicht gelungen, wo habe ich Fehler gemacht, wem bin ich etwas schuldig geblieben? Im Nachleben bekommt der Tag noch einmal deutlichere Konturen, und für die Kinder (aber auch für die Eltern) wird dieser Durchgang zu einer Schule der Achtsamkeit. Schon des Öfteren versuchte Hannah das Abendgebet mit der Aussage „Heute war nichts besonderes!" vorschnell abzukürzen. Im Nachhinein kann sie sich dann aber doch freuen über kleine Dinge des Lebens, die in der Alltagsroutine fast übersehen worden wären. — Aber auch die negativen Anteile des Lebens sollen hier ihren Platz haben, angeschaut werden und durchgearbeitet werden: erfahrene Ungerechtigkeit beim Spiel, Versagensängste beim Sport. Auf diese Weise erhält das Bild des Lebens mit seinem reichen Farbenfluss jeden Abend seinen Rahmen.

Dank sei Dir, mein Gott — Schenker und Tröster

„Und diesen ganzen Kinder-Tag bringen wir am Abend vor Dich, Du unser Gott." Je nach Situation fordere ich die Kinder auf, Gott Danke zu sagen für dieses volle und vielfältige Leben. Versöhnung und Trost lasse ich sie durch eine Umarmung, einen Versöhnungskuss erfahren: „Auch Gott ist jetzt hier bei uns, umarmt Dich, tröstet Dich und ist die ganze Nacht bei Dir!"

Ich bin froh, dass es Dich gibt — Gott segne Dich, mein Kind

„Papa, mach' mir noch ein Kreuzchen!" Segnen heißt für mich, dass ich im Segensgestus meine Freude über das Dasein unserer Kinder vermitteln will: „Gott sagt ganz und gar Ja zu Dir und Deinem Leben. Hannah, auch wenn Du mir heute den allerletzten Nerv geraubt hast, nehme ich Dich, nimmt Gott Dich an. Du kannst Dich in die Hände Gottes fallen lassen und ruhig und gelassen einschlafen. — Jonas, Du alter Grübler, Gott freut sich über jeden Schritt von Dir, Du bist o. k. So wie Du bist. Komm, lass Dich in die Arme Gottes fallen!"

Jeden Tag das Leben mit Gott neu entdecken

Auch wenn manchmal Protest laut wird („Schon wieder beten!?"), so haben ich und meine Frau doch den Eindruck, dass unser schlichter Abendritus für die Kinder ein guter Weg ist, sich der eigenen Kräfte und Grenzen bewusst zu werden. Das Gebet verleiht dem eigenen Leben Ausdruck und Gestalt, der Tag fließt nicht an den Kindern vorbei, sondern wird als ganzer erfahren und in die Persönlichkeit integriert: Das war mein Tag, so bin ich, so will ich sein. Glücks- und Grenzerfahrungen können so auch zum Anlass werden, über sich selbst hinaus voll Dankbarkeit auf den zu schauen, der alles hält und erhält, unseren Gott.

Thomas Kiefer