Eltern brauchen Spiritualität - aber welche?
In welchem Geist wir mit Kindern leben, ist für sie von großer Bedeutung. Im Umgang miteinander oder auch mit uns selbst kann ein »guter Geist« oder ein »schlechter Geist« herrschen.
Eine neue Basis für die Paarbeziehung
Unser Leben ist eben nicht nur materiell, sondern auch durch Spiritualität geprägt. Bereits am Beginn des Lebens ist für viele Kinder in der heutigen westeuropäischen Gesellschaft Annahme oder Ablehnung spürbar. Annahme von Kindern ist ein spirituelles Ereignis. Kinder sind eine Gabe Gottes, und wir Eltern können diese Gabe innerlich annehmen. Dies geht in manchen Situationen mit großer Freude, in anderen Situationen zögernd, mit Bedenken und Ängsten. Ohne Frage aber ist es an den Eltern, diese innere Annahme zu realisieren, und zwar viele Jahre lang: Ich nehme dich so, wie du bist, begleite dich und unterstütze dich, dass du dich entfalten, entwickeln, verändern und wachsen kannst. Zur Elternspiritualität gehört aber auch Staunen und Dankbarkeit. Wenn es Eltern gegönnt ist, dass sie gemeinsam die Geburt ihres Kindes erleben können, ist dies oft die zentrale gemeinsame spirituelle Erfahrung: Es ist ein Wunder, wie dieses Kind, dieses mit menschlichen Augen kaum sichtbar aus einer Samen- und Eizelle entstandene Leben uns entgegenkommt. Das Wunder der Schöpfung hat schon viele Väter und Mütter im Kreißsaal zu Tränen gerührt.
In die Freude mischt sich in den nächsten Wochen und Monaten oft die Erfahrung schlafloser Nächte, übermüdeter Augen und die Sorgen um das Stillen, die Gesundheit und die Veränderungen in der Partnerbeziehung. Ein Kind macht aus einem Paar eine Familie. Aus der Zweierbeziehung wird eine Dreierbeziehung. Neues Leben hat sich eingenistet in das bisherige Miteinander. Der Rhythmus des Lebens wird jetzt wesentlich vom Kind angegeben. Und dennoch ist es von großer Bedeutung, dass die Paarbeziehung nicht verdrängt wird, sie kann sich angesichts dieses Ereignisses weiterentwickeln hin zu einer neuen Basis.
Du sollst aufblühen — fördern und begleiten
Zum einen ist es bei vielen Eltern instinktiv so, dass sie ihr Kind fördern, begleiten, unterstützen wollen. Zum anderen bedarf es aber auch der Reflexion, Organisation und der spirituellen Entscheidung, dem Kind Vorrang zu geben in der eigenen Lebensgestaltung. Oft kommt die spannende Alternative Kind oder Beruf auf, die ganz verschieden beantwortet werden kann. In der zukünftigen Gesellschaft wird es wohl kaum eine Alternative bleiben, vielmehr sind neue Wege, eine kreative Lösung dieses Zusammenhanges fällig. Nicht zuletzt auch im Bereich der Familienarmut sind nicht nur fromme Worte, sondern vielmehr politische Korrekturen wichtig. Es ist ein Skandal, dass Familien mit Kindern in die Armut getrieben werden.
Zur Elternspiritualität gehört Sorge und Freude zugleich: Das erste Lächeln des Kindes, wenn das Kind zum ersten Mal Mama oder Papa sagt, die strahlenden Kinderaugen in den verschiedensten Situationen. Andererseits die Sorge, manchmal auch Ängste bei hohem Fieber, unklaren Diagnosen und Behinderungen oder Störungen in der Entwicklung. Elternspiritualität ist Solidaritätsspiritualität. Zunächst sind die Eltern diejenigen, die mit ihrem Einsatz und mit ihren Möglichkeiten das Kind absichern und ihm den Weg ins Leben ermöglichen. Die Solidarität der Generationen lebt aber auch von der umgekehrten Solidarität: Wenn die Eltern alt und gebrechlich werden, bedürfen sie ihrerseits wiederum der entschiedenen Solidarität ihrer erwachsenen Kinder. Elternspiritualität ist auch Erfahrung der Grenze und Überforderung.
Überstrapaziert
Gott ist meine Mutter, nichts fehlt mir.
Sie gibt mir reichlich zu essen und zu trinken, sie lässt mich ausruhen.
Sie lässt meine Lebenskraft zurückkehren und lenkt behutsam meine Schritte - wie es eben eine Mutter tut.
Selbst wenn ich durch schwarzes Dunkel gehe,
fürchte ich nichts Böses;
denn du trittst für mich ein, dein Einsatz und dein Halt trösten mich.
Du hältst zu mir, auch wenn alle anderen gegen mich sind.
Du gibst ein Fest für mich und verwöhnst mich nach Strich und Faden.
Viel Gutes und Treue werden mir folgen mein Leben lang,
und ins Haus Gottes werde ich immer wieder zurückkehren.
(Marlies Mittler-Holzem nach Psalm 23)
Die Mutter
Der Tag ist mir zwischen den Fingern zerronnen. Wenig von dem, was ich mir vorgenommen hatte, habe ich geschafft. Dafür habe ich Streit geschlichtet, Dinge zum Spielen herbeigeschafft, ausgeholfen, der Nachbarin zugehört, lange bei den Hausaufgaben dabeigesessen, ein Bilderbuch vorgelesen…
Ich habe noch nicht mal die Zeitungen gelesen, keine Minute für mich gehabt, keine Minute allein.
In mir brummt es — und doch bin ich ganz leer. Ich bin müde und gereizt. Und nun steht ihr da und sagt: »Aber unsere Abend-Oase, Mama, bitte! «
Anregung Lassen Sie sich vom Psalm zum Rollentausch einladen: Sie sind ein Kind Gottes — und Ihre Kinder sind die Hände des mütterlichen Gottes
Für die Kinder
Heute braucht Gott eure Hände. Vielleicht sagt eure Mutter: Ich wünsche mir, dass ich ausruhen kann.
Ich fände es schön, wenn wir es dafür richtig gemütlich hätten. Vielleicht habt ihr Lust, für uns eine Kerze anzuzünden oder eine Duftlampe.
Ich würde gern mit euch zusammen meine Lieblingsmusik hören.
Elternspiritualität heißt auch, den eigenen Weg mit Kindern und Jugendlichen Gott anzuvertrauen, religiöse Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen in der Familie immer wieder ins Bewusstsein zu holen, konkrete Möglichkeiten untereinander auszutauschen, Argumente hin und her zu bewegen.
Was daraus wird, haben wir nicht in der Hand
Und dennoch: Auch wenn wir alles getan haben, was möglich und sinnvoll ist in diesem Bereich - was daraus wird, entscheiden nicht wir. Es gibt viele ältere Eltern, die sich fragen: Was haben wir nur falsch gemacht, dass unsere Kinder, die damals sehr religiös waren, heute als junge Erwachsene nicht mehr zum Gottesdienst gehen?
Hier ist Entlastung angesagt. Schon Johann Baptist Hirscher, der Gründer des Lehrstuhls für Katechetik und Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, hat 1836 darüber geklagt, dass sich die Jugendlichen zwischen Schulabgang und der damalig so genannten Christenlehre und ihrer Hochzeit und der Taufe des ersten Kindes von der Kirche distanzieren. Für die Zwanzig- bis Dreißigjährigen ist offenbar etwas anderes dran, z. B. sich beruflich zu verorten oder die Partnerwahl, dies oft mit vielen Komplikationen. Erfahrungsgemäß sind es dann die eigenen Kinder, die in Eltern ihre religiösen Quellen wieder anbohren und durch die so manches zum Sprudeln kommt, was in der frühen Kindheit und Jugendzeit an religiöser Kommunikation in der Herkunftsfamilie und in Jugendgruppen der Gemeinden erfahrbar geworden war.
Eingebunden in Gottes große Liebesgeschichte
Nichts geht von dem »Samen der Gottesbeziehung« in den Seelen von Kindern und Jugendlichen verloren. An irgendeiner Stelle im Leben, bisweilen auch in den Grenzerfahrungen und spätestens in der eigenen Sterbesituation werden das Vertrauen auf Gott und die Visionen für ein Leben über den Tod hinaus wieder aktualisiert.
Wie Menschen mit ihren eigenen Erfahrungen mit Gott in welcher Situation umgehen und wie Gott sie führt und ihnen begegnet, bleibt immer auch ein Geheimnis. Als Eltern sind wir in der großen Liebesgeschichte Gottes mit der Menschheit für unsere Kinder Geber und Beschenkte zugleich. Auch das ist ein Geheimnis.
Albert Biesinger