Die besseren Ehen?

Früher erschien Andreas Werner vieles, was ihm als „Spiritualität“ begegnete, als irgendwie weltfremd. Aber es hinterließ trotzdem einen Stachel.

Das Wort „Spiritualität“ kannte ich früher nur aus den Ankündigungen der Kirchenzeitung. Sie luden zum Beispiel zu einem Besinnungstag „Maria im Neuen Testament“ ein oder zu einem Wochenende „Mit Yoga zu Jesus“. Besonders spannend fand ich das nicht.

Bis Angela und Markus, die wir durch unsere Kindergartenkinder kennen gelernt hatten, bei der Suche nach einem Termin für einen Ausflug erklärten: „Nein, dann fahren wir nach XYZ, zu einem Wochenende über Ehespiritualität.“ Diese Auszeit vom Familienalltag gönnten sie sich jedes Jahr.

Spiritualität im Alltag: Luxus für Familien

Sie sagten das ganz beiläufig, und es fiel mir erst wieder ein, als ich Monate später auf einem Katholikentag den Stand einer geistlichen Gemeinschaft erblickte. Ein älteres Ehepaar versuchte da mit einem bescheidenen Plakat und Handzetteln zwischen aufwändig gestalteten Ständen von Verlagen und Verbänden Aufmerksamkeit zu wecken. Die wöchentlichen „vertieften“ Gespräche, die sie Neugierigen ans Herz legten, hatten in meinen Augen etwas rührend Weltfremdes; es erschien mir höchst unwahrscheinlich, dass der Alltag mit drei kleinen Kindern mir und meiner Frau einen solchen Luxus genehmigen würde.

Aber die leuchtenden Augen, mit denen das freundliche Paar seine Mission verfocht, beeindruckten mich doch.

Und ich dachte an Angela und Markus. Ich hatte die beiden immer ein bisschen bewundert. Zwischen drei eigenen Söhnen hatten sie ein behindertes Mädchen adoptiert und engagierten sich in der Pfarrgemeinde; sie hatten Bettina und mich auf den Geschmack an selbstgebackenem Brot und Vollwertkost gebracht, und das eine oder andere Ritual, das wir bei ihnen abgeguckt hatten, tat unseren Kindern sichtlich wohl. Kurzum: Wir empfanden ihre Gesellschaft immer als bereichernd und herzerwärmend.

Sind spirituelle Ehen bessere Ehen?

Hatte das alles mit ihrer Ehespiritualität zu tun? Wir haben nie darüber gesprochen; irgendwie ergab es sich nicht. Aber hin und wieder ging es mir durch den Kopf: Was ist das eigentlich für eine Ehe, die Bettina und ich führen? Was ist eigentlich das spezifisch Christliche daran?

Okay, wir besuchen gemeinsam den Gottesdienst, regelmäßig. Wir haben es geschafft, unseren Kindern christliche Werte zu vermitteln. Unsere Berufstätigkeit haben wir so eingerichtet, dass Ehe und Familie dabei jederzeit Vorrang hatten. Und „vertiefte“ Gespräche führen wir durchaus auch, allerdings nicht nach Terminkalender, sondern nach Anlass und Notwendigkeit

Die andere Seite: Wir beten nicht gemeinsam. Und die Frage, was Gott hier und heute von uns erwartet, haben wir uns so ausdrücklich nie gestellt. Vielleicht weil wir in der Routine erstickt sind? Oder weil es für uns beide, traditionell katholisch erzogen, so selbstverständlich ist? Oder weil wir wissen, dass wir die Konsequenzen – Mutter und Vater zu verlassen, alle unsere Habe zu verschenken und als Entwicklungshelfer zu den Armen dieser Welt zu gehen – doch nicht ertragen könnten?

Der Stachel bleibt. Aber könnte ein Mehr an Spiritualität ihn wirklich beseitigen? Sind spirituelle Ehen bessere Ehen?

Angela und Markus leben heute getrennt. An den Gründen, die dazu führten, wären vielleicht, vermutlich auch Bettina und ich gescheitert. An meiner Achtung für die beiden, dafür, wie sie mit den Folgen fertig zu werden versuchen, hat das nichts geändert.

Vielleicht habe ich ja auch einen schiefen Begriff von „Spiritualität“. Vielleicht gibt es ja eine Vielzahl von „Spiritualitäten“, die Paaren helfen, eine gute Ehe zu führen?

Andreas Werner