Beten – und auch handeln
Beten heißt nicht, sich aus dem Alltag zurückzuziehen, sondern Beten heißt, sich der Absicht Gottes bewusst werden, seinen Plan begreifen und aufspüren, was er mit uns in dieser Welt vorhat.
Gott misst unsere Gebete nicht nach den Worten, sondern nach der Aufrichtigkeit unserer Herzen
Denn er will uns nur haben, um das zu tun, was er mit uns vorhat und was wir von ihm erbitten. Er will uns nur haben, um weiterzugeben, was er weitergeben möchte.
Als Beispiel — das wie jedes Beispiel überspitzt benutzt wird — will ich ein Tischgebet nehmen: Herr, segne uns und diese Gaben, diesen gastlichen Tisch und gib auch den Hungernden Brot!
Heißt das nicht für viele mit anderen Worten: Ich setze mich zu Tisch, ich sorge für mich! Nach dem Motto: Jeder für sich und Gott für alle. Müsste es nicht heute vielmehr heißen:
Du hast Dein Brot so reichlich an uns verteilt, dass Du uns damit auch den Mut geben willst, mit denen zu teilen, die hungern.
Wer dazu noch Amen sagt, wird sich dieses Amen gut überlegen müssen, denn Gott misst unsere Gebete ja nicht nach den Worten, sondern nach der Aufrichtigkeit unserer Herzen.
In einer wasserarmen Gegend veranstaltet man jährlich große Bittprozessionen um Regen. Aber es zeigt die Erfahrung, dass dennoch jahrelang der Regen ausblieb. Eines Tages kamen Techniker und errichteten einen Staudamm, so dass die Menschen Wasser im Überfluss hatten. Die Bittprozessionen hat man aufgegeben. Das ist mehr als bedauerlich. Bedauerlich ist, dass die Initiatoren der Bittprozessionen nicht auch die Erbauer der Bewässerungsanlagen waren. Und es ist bedauerlich, dass die Erbauer der Bewässerungsanlagen keine Bittgänge veranstalteten.
Das Gebet macht Arbeit nicht überflüssig
Aber so ist es: Arbeiten diejenigen nicht, die beten, so bleibt es nicht aus, dass diejenigen nicht beten, die arbeiten. Das Gebet macht Arbeit nicht überflüssig, wie die Arbeit nicht auf das Gebet verzichten kann.
Heute sind wir eher und weitgehend in der Gefahr, zu arbeiten, ohne zu beten. Wir machen Liturgiereform, aber haben wir auch im Gebet genau darauf hingehört, wie Gott von uns verehrt werden will, damit sich unsere Herzen ergreifen lassen? Wir werfen die Tradition über Bord, aber haben wir auch im Gebet genau hingehört, was Gott in dieser Stunde der Kirche von uns will?
Wir erziehen die Kinder, organisieren ihr Leben, aber haben wir uns im Gebet abgesichert, dass uns die Gesinnung Christi antreibt und hilft? Wir beklagen die Ferne Gottes in unserem Leben, aber haben wir uns im Gebet wirklich einmal überwunden, sein Wort als Anruf und Antwort für unseren Glauben zu bedenken?
Die Zuneigung Gottes und sein Heil für die Verhältnisse unseres Lebens werden die Welt nur verändern, wenn wir uns haben umgestalten lassen und Welt umgestalten helfen. Gott spricht auch und wesentlich in den Hilferufen der Notleidenden und in den Flüchen der Verzweifelten. Kein Mensch wird verstehen, dass Brot und Wein, Mahl und Haus, Stadt und Land, Reichtum und Fülle Symbole des ewigen Lebens sind, solange seine irdische Existenz einer Folterkammer von Nacktheit, Hunger, Heimatlosigkeit und Armut gleicht. All unsere frommen Gedanken werden unglaubwürdig, wenn der Glaube im Gebet sich nicht die Kraft holt, den Menschen Mensch werden zu helfen.
Beten und Handeln gehören zusammen!
Die Verflechtungen von Unrecht und Ausbeutung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden nur aufgebrochen werden können, wenn wir uns das Mitleid nicht abdressieren und durch die Macht der Anpassung und Abstumpfung des bürgerlichen Alltags herabmindern lassen. Wie kann aller Zorn, alle Empörung, aller Hass, alle Verzweiflung im grenzenlosen Elend dieser Welt ernst genommen, ertragen und überwunden werden, wenn wir nicht betend in uns beschwören, wozu Gott diese Welt geschaffen hat, wenn die Erinnerung und Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies nicht betend unsere Hoffnung beflügeln.
Ohne Hoffnung keine Kraft zu kämpfen. Ohne Hoffnung keine bessere Welt. Wer sich betend auf Gott einlässt und sich in Gott verankert, wird frei für den anderen. Wer sich mit Gott für den anderen einsetzt, wird für die Gerechtigkeit kämpfen. Beten und Handeln gehören zusammen!
Klaus Kliesch