Beten Sie bügeln!
„Betet ohne Unterlass!“, ermahnt Paulus die Thessaloniker. Ignatius von Loyola hat damit seine Gesundheit ruiniert. Aber für moderne Familienmenschen geht es nicht anders.
Keine Zeit zum Beten
Geben wir es ruhig zu: Selbst für Familienmenschen, die religiös sind und sich der Kirche verbunden wissen, bedeutet das Beten Stress. Gut, für das Tischgebet gibt es Hilfen in Buch- und Würfelform, das Gute-Nacht-Gebet mit den kleinen Kindern lässt sich irgendwie bewältigen. Aber als Erwachsene beten?
Dafür scheint oft nicht der Ort da zu sein. Es bräuchte einen geschützten Raum, in den wir uns zurückziehen könnten; nur ist der normalerweise nicht vorhanden. Dafür scheint oft auch nicht die Zeit da zu sein. Es bräuchte die halbe Stunde zwischen dem Ende der täglichen Pflichten und der endgültigen Erschöpfung; und auch die fehlt uns oft.
Innehalten und aufmerksam werden
Aus eigener Erfahrung – ich bin verheiratet, und wir haben vier Kinder, das Älteste wird jetzt gerade neun – würde ich sagen: Die einzige Chance zu beten ist immer zu beten. Im Originalton bei Paulus heißt das: „Betet ohne Unterlass“ (1 Thess 5,17).
Beten unter Familienbedingungen geht nur rund um die Uhr. Als zusätzlichen Programmpunkt im Tagesablauf schaffen es die wenigsten, eine feste Gebetspraxis durchzuhalten. Ohne Unterlass beten: Das geht natürlich nicht in dem Sinne, dass ständig Gebete gesprochen werden. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, hat nach seiner ersten Bekehrung versucht, sich dieser Vorstellung vom 24-stündigen mündlichen Gebet anzunähern und dabei so gründlich seine Gesundheit ruiniert, dass er später seinen Ordensbrüdern dringend von solchen Exzessen abriet. Und dabei musste Ignatius nicht für Kinder sorgen und einem geregelten Beruf nachgehen.
Alle Zeit beten heißt vielmehr: Alle Zeit das Leben in der Gegenwart Gottes halten. Auch das klingt schon wieder anstrengend. Aber: Gott müssen wir nicht halten. Seine Zuwendung ließe sich nicht erstreiten, wäre sie nicht schon kostenlos gegeben. Alle Zeit beten ist folglich noch einfacher: Alle Zeit in Gottes geschenkter Gegenwart leben. Konkret: Computerschreiben beten, Abspülen beten, Autofahren beten, Kinder beaufsichtigen beten, Rasen mähen beten… „Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren quillt es uns entgegen“, schrieb Alfred Delp SJ einmal.
Üben, üben üben…
Die Gegenwart Gottes ist für uns ähnlich fundamental und umfassend wie unser Ort in der Welt, wie unser Leben in einer Familie. Immer ist Gott um uns. „Gott strengt sich an und müht sich um meinetwillen in allen geschaffenen Dingen auf der Welt“, beschreibt es Ignatius von Loyola. Für Gott ist schon alles, was unser Leben ausmacht, durchsichtig auf ihn hin. „Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir“, formuliert es der Psalmist (Ps 139,2).
Dagegen lässt sich unsere Hellsichtigkeit, unser bewusstes Durchsehen unseres Lebens auf Gott hin noch verbessern. „Beten“ nennen das die einen, „sehen“ die anderen. „Sehen“ ist vielleicht besser, denn „beten“ ist in der Gegenwart Gottes leben, also schon geschenkt. Das Sehen braucht manchmal noch etwas Übung.
Also beten üben. Dafür gilt das Gleiche wie für die Schulung unseres Sehens. Wer darin geübt ist, sieht in einem Kunstwerk mehr als andere. Der geübte Blick des Biologen entdeckt auf einer Wiese anderes als die, die nur darüber schlendern. „Aufmerksamkeit“ ist das Zauberwort – für das Sehen wie für das Beten. „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“, sagt Paul Celan. Beten üben heißt: Aufmerksam wahrnehmen, was geschieht, was mein Leben ausmacht, wie Gott sich um mich müht.
Wer Kinder im Musikunterricht hat oder im Sport, der weiß: In der Praxis funktioniert „Üben“ nur durch Wiederholen. Und auch, dass „Üben“ manchmal Geduld, Zähigkeit, fast schon Härte gegen sich selbst erfordert. „Aufmerksamkeit üben“ geschieht also im steten, geduldigen, zähen Wiederholen des bewussten Wahrnehmens.
…und manchmal ein „echtes“ Gebet
Die einfachste Übungsform, die womöglich schon den größten geistlichen Gewinn abwirft, ist das Innehalten. Wann immer Sie eine Tätigkeit beenden, bevor Sie zur nächsten übergehen, können Sie die halbe Minute nutzen, um das zu tun, was Gott ständig für sie tut: liebevoll aufmerksam zu sein auf Sie selbst.
Was war gerade?
(Situation, Menschen, Tätigkeiten)
Was kommt nun?
(Aufgaben, Begegnungen Zeiten)
Was ist mit mir?
(Müdigkeit, Anspannung, Gelassenheit …)
Was ist in mir?
(Gefühle, Regungen, Erinnerungen …)
Wie müht sich Gott um mich?
Wie ist Gott da für mich?
Wichtig ist dabei, dass Sie nichts – vor allem nicht sich selbst – überspringen. Auf die Frage „Wie ist Gott jetzt gerade da für mich?“ wird Ihrem Verstand normalerweise kaum eine sinnvolle Antwort einfallen. Oft aber folgt die Antwort sehr leicht aus dem achtsamen Wahrnehmen der Zeichen um uns und in uns. Nicht das Grübeln führt zu geistlichem „Geschmack“, sondern das Verkosten von innen her – das Verkosten dessen, was sich von sich aus zeigt und sich mitten in unserem Leben anbietet.
Üben wirkt nicht dadurch, dass Sie einmal eine heroische Anstrengung vollbringen und allen zeigen, was Sie können. Das ist Wettkampf. Üben wirkt durch stetes Versuchen dessen, was noch nicht leicht fällt. Die Vorstellung, sich nach dem Bügeln zu fragen, wie sich Gott gerade jetzt um Sie müht, mag Ihnen sehr fremd sein. Dabei ist es nur die logische Folge unseres Glaubens, dass Gott immer für uns da ist. Üben Sie das Innehalten, diesen Blick auf sich selbst und ihre Jetzt-Welt, achtsam und hartnäckig und schließen Sie immer wieder ab mit der Frage: „Und Gott? Jetzt? Für mich?“ Der Herr sorgt schon für sich und auch für Sie und nutzt jeden noch so schmalen Spalt, um sich zu zeigen.
Suchen Sie sich einen Trainer
Selbstverständlich werden Sie das Innehalten oft vergessen. Und doch werden Sie sich auch immer wieder erinnern, und die Aufmerksamkeit und die Hellsichtigkeit wird unmerklich Raum in Ihnen greifen. Sie können sich selbst unterstützen, in dem Sie abends – halb auf der Bettkante oder auch schon weiter – noch einmal das Gleiche tun: Aufmerksam wahrnehmen
Was war heute?
Was war in mir?
Was geht mir noch nach?
Wie war Gott heute da für mich?
Wie hat sich Gott um mich gemüht?
Nur dass sich dieses Innehalten jetzt auf den vergangenen Tag bezieht und deshalb ein klein wenig länger dauert – ein paar Minuten höchstens. Vielleicht ist das auch der Moment, ein, zwei ausdrückliche Sätze des Gebets zu sprechen: ein Seufzen, einen Dank, eine Bitte, ein Lob, eine Klage, so wie es gerade geht.
Wenn Sie mit der Zeit ein wenig Übung bekommen haben und damit Aufmerksamkeit frei wird, können Sie eine weitere Frage einschieben:
Wohin drängt mich, was in mir war/ist? Zu mehr Leben, Lebendigkeit, Freiheit, Weite, Freude am Gebet, Nähe zu Gott? Oder zum Gegenteil?
Die Zeit des abendlichen Innehaltens sollte dadurch aber nicht wesentlich länger werden. Üben Sie deshalb erst ein wenig.
Je liebevoller Sie mit sich selbst sind, wenn Sie innehalten, umso betender tun Sie es. Denn das haben Sie doch verdient als Geschöpf eines liebenden Gottes. „Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder und für dein Leben ganze Völker.“ (Jes 43,4) Deshalb heißt diese Form, Beten zu üben, auch: das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit.
PS. Im Sport oder in der Musik üben Sie mit einer Trainerin oder einem Lehrer. Beim Beten üben profitieren Sie noch mehr, wenn Sie ab und an einen oder eine andere teilhaben lassen an dem, was Gott in Ihnen bewegt. Der nahe liegendste Trainer ist vielleicht Ihre Frau oder Ihr Mann. Oder aber eine Freundin, ein Seelsorger…
Peter Hundertmark