Ein Tag mit dem Internet
Ein Leben ohne das WWW kann Sabina Neumüller sich kaum noch vorstellen. Aber manchmal würde sie sich seiner Sogwirkung gerne ein bisschen entziehen.
Wenn der PC einmal läuft …
Der Arbeitstag des Computers beginnt bei Familie Neumüller täglich kurz nach dem Mittagessen. Heute zum Beispiel taucht, als meine beiden Söhne Frederik (13) und Louis (15) und ich unsere Nachmittags-Pläne abstimmen, die Frage auf: Wann und wo ist eigentlich der Treffpunkt für das Freundschaftsspiel, zu dem Frederiks Fußballmannschaft antreten soll? Gut, dass Mark und Rainer, die beiden Trainer der C-Jugend, alle paar Tage eine Infomail mit aktuellen Informationen senden. Ein paar Klicks, dann weiß ich es: Treffpunkt 17.45 Uhr. Das passt gut, dann kann ich vorher noch einiges erledigen. Ich schicke die mail weiter an meinen Mann, damit er die Abendplanung auch kennt und überlegen kann, ob er Frederik nach dem Spiel abholt. Wenn der PC einmal läuft, schaue ich gleich nach den Zugverbindungen für meinen Termin nächste Woche in Frankfurt. Prima, dann bin ich gegen 17 Uhr wieder zu Hause und kann Frederik zur Trompetenprobe fahren.
Dabei fällt mir ein: Thomas, der Trompetenlehrer, wollte die Stücke mailen, die sie beim Auftritt zum Stadtfest spielen wollen. Die drucke ich gleich aus, damit Frederik seine Unterlagen vollständig zusammen hat.
Jetzt meldet Louis seine PC-Zeiten an. Er muss noch checken, ob Sophie den vorgeschlagenen Termin für einen Arbeitskreis der Schule wahrnehmen kann und wann der Anmeldeschluss für die Romfahrt der Ministranten jetzt wirklich ist.
Und außerdem braucht er zum Chillen eine Runde ICQ und schülerVZ und zur Entspannung ein paar Filmchen von YouTube. Außerdem hat sein Freund David heute früh in der Schule von einem neuen Kinotrailer erzählt, den er sich unbedingt anschauen will. Und bei „Communio“ (ein Computerspiel aus dem Internet, bei dem erfolgreiche Fußballer des Wochenendes bewertet werden und die Spieler je nach eigener Mannschaftszusammenstellung Punkte erhalten) müsste er auch noch vorbeischauen.
Lange reichten ein PC und ein Internetzugang für unsere Familie aus. Doch jetzt haben wir noch einen Laptop angeschafft, W-Lan-Anbindung im Haus inbegriffen. So kann Frederik, der ein Buchreferat vorbereiten muss, auch gleich einsteigen. Nach einem Besuch bei ICQ und schülerVZ, versteht sich, schließlich wollen ja auch seine Kontakte gepflegt werden. Und die aktuellen Informationen zum FC Bayern sind fast schon eine Pflicht, wenn man in der Schule mitreden will.
Mailen - skypen - chillen
In dem Referat geht’s um den Klassiker „Der lange Weg des Lukas B.“ von Willi Fährmann. Super, dass Informationen über den Autor und seinen beruflichen Werdegang übers Internet genauso leicht zu beschaffen sind wie Inhaltsangaben, Rezensionen und andere Informationen. Außerdem will Frederik eine Folie erstellen, die Lukas’ Reise darstellt. Mit den entsprechenden Programmen gelingt das problemlos. Beneidenswert: Schüler müssen nicht mehr mühevoll Büchereien durchforsten, um dann festzustellen, dass es nichts Aktuelles zu ihren Themen gibt – „vielleicht versuchst du’s mal in der nächst gelegenen Großstadt, die Bibliothek dort ist besser ausgestattet.“ Und außerdem nur 30 Kilometer entfernt, ein Großaufwand für die Familie! Jetzt geht’s einfach von Zuhause aus mit dem PC.
Ich selbst werde heute Abend mit meinem Patenkind skypen, das gerade für ein Jahr als Au-pair in den USA arbeitet. Für mich ist das eine Premiere; die Jungs werden mir dabei technisch behilflich sein. Ach ja, Louis hat gerade den PC freigegeben, dann checke ich schnell noch meine persönlichen mails. Oh, Post von Sonja! Ein lieber Gruß von Familienfrau zu Familienfrau und die Erinnerung, dass ich ihr doch noch einen „Geo“Artikel zukommen lassen wollte, der sie interessiert. Ich antworte sofort, und bei der Gelegenheit verabreden wir uns gleich für Anfang nächster Woche auf einen Kaffee in der Mittagspause. Außerdem ist da die Anfrage meines Bruders an mich und meine Geschwister, ob es einen günstigen Termin für die Apfelernte bei meinen Eltern gibt. Ich schlage zwei Termine vor, die meiner Familie passen; mal sehen, ob wir einen finden können, der für alle „geht“.
Vom Weihbischof zu Frank Ribéry
Und weil ich jetzt schon mal „drin bin“, googele ich gleich noch Jan Delay und die neuen Konzertdaten von Wise Guys. Wie so oft rutsche ich dabei unversehens von einer Information zur anderen. Was bringt diese Gruppe denn Neues zu ihrem Projekt bei Misereor? Dabei rufe ich auch gleich mal die Materialien für die Sternsingeraktion 2010 auf, dann habe ich schon erste Anregungen für unseren Familiengottesdienst am 6. Januar. Misereor hat außerdem ein spannendes Projekt in Westafrika zu bieten, wo eine gute Bekannte kürzlich ein freiwilliges soziales Jahr gemacht hat. Die politischen Gegebenheiten vor Ort, aber auch die faszinierende Natur dort wird mir als Zusatzinformation angeboten. Gibt’s eigentlich auch was über die Dominikanerinnen in Durban, bei denen meine Mutter vor vielen Jahren ihre Schwester besucht hat? Es gibt; die Internet-Seite erinnert mich an Mutters Erzählungen … Und da ich einmal in Südafrika bin: Wie weit ist inzwischen der Stadionbau für die WM?
Ich gebe zu: Es begeistert mich als berufstätige Mutter und als Mensch, in einem Zeitalter zu leben, in dem Informationen so schnell und unkompliziert zugänglich sind. Familienorganisation und die Pflege von Kontakten nach „draußen“ werden viel leichter, schneller, unkomplizierter, direkter; über alles und jedes kann ich mich auf ganz kurzem Weg informieren: Wahl- und Testergebnisse (Welcher Staubsauger hat bei Ökotest und Stiftung Warentest gut abgeschnitten, wir brauchen dringend einen neuen?), Nachrichten aus aller Welt, Personen (von unserem neuen Weihbischof bis zu Frank Ribéry), Hobbys (Woher kriegen die Jungs die Gitarrengriffe für den neuen Song von Jason Mraz?) … Ich könnte die Liste endlos fortführen.
Der PC: ein Zeitfresser
Dass beim Hin- und Herklicken ganz leise mal wieder eine Stunde vorbei ist, merke ich gerade noch rechtzeitig. Ich fahre den PC runter, gehe einkaufen – leider jetzt mit viel weniger Zeit als geplant; die neuen Pinsel für den Kunstunterricht muss Frederik sich dann eben selbst besorgen. Auch zum Bügeln komme ich nicht mehr, weil ich doch viel zu viel Zeit am PC vertrödelt habe. Und das ärgert mich nun doch. Genau wie ich verschwenden auch die anderen in der Familie Zeit am PC, die wir sinnvoller nutzen könnten, lassen uns hier von einem Filmchen eines Kabarettisten locken, da von einem Zeitungsartikel über einen Lokalpolitiker und anderen Dingen, die die Welt jetzt gerade nicht braucht.
Beim abendlichen Date mit Lisa in den USA bin ich aber wieder mit dem Internet versöhnt. Wir genießen es beide, zu erzählen und unter viel Gelächter unseren Alltag trotz der großen Entfernung zu teilen. Anschließend bearbeitet mein Mann noch seine Musikdateien und lädt für wenig Geld Songs für seinen MP3-Player runter.
Ich möchte die technischen Möglichkeiten des Internets nicht missen. Aber ich möchte trotz aller Begeisterung souverän bleiben, damit das Medium meinen persönlichen, unmittelbaren Erfahrungen und Kontakten nicht den Platz raubt.
Sabina Neumüller