...und Schmetterlinge folgen uns
Sehen wir uns im Himmel wieder? Kinder sind mit der Antwort darauf, die Trauernde inständig suchen, oft weiter als die Erwachsenen, hat Angelika Daiker erfahren.
„Dass ich meine Frau im Himmel wiedersehen werde, darüber lasse ich nicht mit mir diskutieren.“ Diesen Satz hörte ich öfter von einem älteren Herrn, den ich nach dem Tod seiner Frau begleitet habe. Er war ein kritischer Geist und eher ein zweifelnder als ein gläubiger Mensch. Als Kind war er Ministrant; davon erzählte er auch später noch, durchaus mit Stolz. Aber ein Kirchgänger war er schon lange nicht mehr. In seinem Freundeskreis gehörte es eher zum guten Ton, gegen die Kirche zu sein, und bei einem Glas Wein stand alles zur Debatte. Nur über eines ließ er nicht mit sich reden: über seinen Glauben an die Auferstehung, der sich allerdings weniger aus seiner religiösen Haltung als aus der unerschütterlichen Sehnsucht nährte, seine Frau wieder zu sehen. Dass seine persönliche Hoffnung sich mit den Glaubensbildern der Kirche vermischte, war für ihn nicht von Bedeutung.
Notvolle Suche
Für trauernde Menschen ist die Frage, wo der Verstorbene ist, ganz zentral. Auch Nichtgläubige haben Bilder von einem möglichen Wiedersehen, zumindest spüren sie eine Sehnsucht danach. Viele, die sich solchen Vorstellungen angesichts des Todes erstmals annähern und keine Beziehung zum Glauben haben, erleben diese Suche oft notvoll. Sie können in ihrer Seele auf keine vertrauten Vorstellungen zurückgreifen, und ihr Wunsch, glauben zu können, geht ins Leere.
Menschen, die in sich Bilder vom Jenseits tragen und womöglich mit dem Verstorbenen ihren Glauben gemeinsam gelebt haben, tun sich mit der Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod meist leichter. Er hilft ihnen, aus dem irdischen Schmerz herauszutreten und in eine Perspektive über den Tod hinaus für ihr eigenes Leben zu übersetzen. So können sie besser mit ihrer Trauer leben.
Ein gelebter Glaube ist jedoch keine Garantie. Eindrücklich erinnere ich mich an eine Frau, die mit ihrem Mann, einem engagierten Kirchenmusiker, ein äußerst aktives Leben in der Kirche gepflegt hatte; die Musik hatte ihre lebendige Verankerung im Glauben noch weiter gefestigt. Doch beim Tod ihres Mannes fiel sie aus allen Gewissheiten. „Seit ich meinen Mann im Sarg gesehen habe“, sagte sie, „kann ich nicht mehr an die Auferstehung glauben.“ Offensichtlich tragen wir unseren Glauben nicht als Gewissheit in der Tasche, und angesichts des Todes kommt er oft auf den Prüfstand.
Wie ein Treffen im Fahrstuhl
Seit Jahren bieten wir im Stuttgarter Hospiz St. Martin für Erwachsene ein Seminar an, in dem wir uns intensiv mit der Frage: „Was kommt nach dem Tod?“, beschäftigen. Fragen, Zweifel, Hoffnungen werden ausgetauscht, Aussagen der Theologie mit dem eigenen Denken verknüpft. Als besonders aufregend empfinde ich die Erinnerungen der TeilnehmerInnen daran, wie sie sich als Kinder das Paradies und den Himmel vorgestellt hatten. Dabei zeigt sich regelmäßig: In der Tiefe unserer Seele schlummern diese kindlichen Bilder bis heute; wir tragen sie wie einen Schatz in uns, und sie beeinflussen unsere „erwachsenen“ Vorstellungen bis heute. Auch wenn wir natürlich nicht nahtlos an die Bilder unserer Kindheit anknüpfen können – es lohnt sich, diesen Schatz als Erwachsene neu zu heben.
Ich jedenfalls habe von Kindern zu der Frage, ob wir uns im Himmel wieder sehen, viel gelernt. Zum Beispiel von Rebekka, deren Oma im Hospiz im Sterben lag, während ihre hochschwangere Mutter die Geburt ihres Babys erwartete. Rebekka fand es gar nicht so schlimm, dass die Oma das Baby vielleicht nicht mehr erleben würde. Die Oma und das Baby würden sich doch auf jeden Fall sehen: „Wenn die Oma mit dem Fahrstuhl zum Himmel fährt, fährt das Baby nach unten, und sie werden sich unterwegs treffen.“ So einfach war das für sie!
Oder von der neunjährigen Sara, die sich an einem Kunstprojekt zur Eröffnung des Hospizes beteiligt hatte und ihr Bild vom Himmel so beschrieb: „Wenn man in den Himmel kommt, vergisst man alles Böse auf der Welt. Gott empfängt uns mit Liebe, im Himmel geht es uns gut. Wir gehen durch ein Tor, und Schmetterlinge und Sterne folgen uns. Das Tor führt uns zu Gott.“
Oder von den Drittklässlern, die mich zu einem Gespräch über den Tod und das Sterben eingeladen hatten. „Was geschieht mit mir nach meinem Tod?“, wollten sie von mir wissen, und: „Wie sieht der Himmel aus?“ Und: „Lebt man im Himmel weiter?“ Und: „Gibt es Engel?“ Die „Expertin“ vom Hospiz, so glaubten sie, müsste diese Fragen doch beantworten können!
Passt ein Mensch in eine Urne?
Die Pappmaché-Urne, die ich mitgebracht hatte, machte sie sofort neugierig. Es war eine besondere Urne, von einem Mädchen bemalt mit einem blauen Lebensfluss, der sich durch eine grüne Wiese nach oben schlängelte. Auf den Deckel war ein Engel gemalt. Die Urne interessierte sie brennend, vor allem die konkreten Details: Wie ist das, wenn man gestorben ist? Wie passt ein Mensch in so eine Urne? Die meisten waren erstaunlich unbefangen; ganz selbstverständlich konnten wir darüber reden, wie der tote Körper verbrannt oder in die Erde versenkt wird. Genauso selbstverständlich erschien es ihnen, dass Menschen nach dem Tod im Himmel, bei Gott, in den Herzen der Menschen oder im Weltall weiterleben, dass der Körper eines Verstorbenen sich verändert und irgendwann nur noch wie ein abgelegtes Kleid ist und mit dem Menschen, so wie er zu Lebzeiten war, nicht mehr viel zu tun hat. Und auch die russische Ikone, die ich aus meiner Tasche packte, verstanden sie schnell. Sie zeigt die verstorbene Maria auf einem Bett liegend, zusammen mit Jesus, der eine kleine, weiße Figur auf dem Arm trägt. Jesus, der schon im Himmel ist, empfängt die Seele seiner Mutter und trägt sie über die Schwelle von dieser in eine andere Welt. Das schien ihnen einleuchtend.
Mucksmäuschenstill wurden sie erst, als ich sie zum Abschluss fragte, ob sie nicht wissen wollten, was in der mitgebrachten Urne drin sei. Damit hatten sie nicht gerechnet. Ich öffnete das Gefäß und holte einen großen bunten Schmetterling aus Blech heraus, den mir jemand aus Mexiko mitgebracht hatte, jenem Land, in dem die Menschen so selbstverständlich mit dem Tod leben. Jetzt war für die kleinen Biologiespezialisten wieder alles klar: Der Schmetterling kann sich entfalten, weil Raupe und Puppe sterben beziehungsweise sich in eine neue Gestalt verwandeln – das musste ich ihnen nicht lange erklären. Und genauso, dass wir uns das Sterben der Menschen ähnlich vorstellen können, dass auch unser Sterben einem neuen Leben bei Gott vorausgeht.
Und ich selbst hatte erfahren, wie Himmel und Erde sich berühren, wenn wir Erwachsenen uns mit den Kindern in einen Austausch über den Tod einlassen.
Angelika Daiker