Fortschritte im Kükennest

Bei einer Tagesmutter finden kleine Kinder mehr als nur Betreuung, betont Rosemarie Laco. Als beste „Lehrer“ erweisen sich dabei oft die Zweijährigen.

Halb acht. Die Tür geht auf, kleine Füße trippeln herein. Fröhliche Kinderstimmen dringen durchs Haus. Jacken werden ausgezogen, Schuhe gewechselt. Die Mami wird mit einem dicken Kuss und viel „Winke-winke“ verabschiedet, dann wenden die Kinder sich dem ersten Treffpunkt zu: dem „Brotzeittisch“. So oder so ähnlich beginnt mein Tag als Tagesmutter im „Kükennest“, einem Tagespflegestützpunkt in der Gemeinde Wettstetten (bei Ingolstadt). Zusammen mit einer Kollegin betreue ich hier seit anderthalb Jahren bis zu zehn Kinder von 0 bis 3.

Vertretung ist geregelt

Für die Eltern bietet diese Form von Tagespflege einen großen Vorteil: Anders als bei einer „normale“ Tagesmutter, die ihre Schützlinge alleine in ihrer eigenen Wohnung betreut, müssen sie nicht händeringend nach einer Ersatzlösung suchen, wenn die Ersatz-Mama mal krankheitsbedingt ausfällt; zum einen ist immer noch die Kollegin da, außerdem sorgt der Verein „KinderWelt“, in dem die Tagesmütter im Landkreis organisiert sind, sofort für Ersatz.

Natürlich geht es beim morgendlichen Ankommen nicht immer nur fröhlich zu. Manchmal ist der Abschiedsschmerz der Kinder (und auch der Eltern) groß, und es fließen Tränen. Dann brauchen die Kleinen Trost und ihre Eltern das Gefühl, verstanden zu werden. Auf die Eingewöhnung der Kinder legen wir deshalb großen Wert; manchmal bleiben Eltern bis zu einem Monat lang in der Gruppe dabei, bevor sie ihre Kleinen zum ersten Mal alleine bei uns lassen. Kinder, die schon öfter „fremdbetreut“ wurden, lösen sich meist leichter, andere, die vorher vielleicht 18 Monate ausschließlich bei ihrer Mama verbracht haben, „klammern“ stärker. Oder die Mutter hat selbst Probleme, ihr Kind loszulassen; manchmal beenden wir sogar die Eingewöhnung von uns aus, damit ein Kind den Übergang endlich abschließen kann. Der Tag vergeht mit Spielen, Kuscheln, Bauen, Vorlesen, Toben, Trösten, Tanzen und Singen. Oft düsen die Kinder mit Bobbycars über den Hof oder erforschen mit uns den nahen Wald.

Lernen von den "Großen"

Mit Freude und Staunen beobachte ich täglich von Neuem, wie schnell die Kleinen gerade in diesem Alter durch das intensive Spiel und den Kontakt zu anderen Kindern lernen. Mit Begeisterung übernehmen sie Aufgaben und Verantwortung – in altersgerechten Dimensionen natürlich. In kürzester Zeit lernen sie, ihre Jacken und Mützen zu holen, wenn wir in den Garten gehen wollen; hoch motiviert versuchen schon die Einjährigen, in ihre Schuhe zu schlüpfen oder den eigenen, ziemlich großen Korb zum Wickeln zu tragen, Kastanien für unser Kastanienbad zu sammeln und vieles mehr.

Dabei spielt das Vorbild der „großen“ Zweijährigen eine zentrale Rolle. Ich selbst sehe mich dabei weniger als „Lehrerin“, sondern als „Lernbegleiterin“, die beobachtet, Fortschritte und Defizite erkennt, die Umgebung entsprechend vorbereitet, Impulse setzt, Werte vermittelt und notfalls helfend zur Seite steht.

Persönliche Atmosphäre

Die Eltern zeigen sich von den Fortschritten, die ihr Nachwuchs im „Kükennest“ macht, angenehm überrascht. Die meisten sehen unsere Arbeit anfangs als reine Betreuung. Dafür sprechen auch die Motive, deretwegen sie uns die Kinder anvertrauen. Zwar nennen einige gezielt die Erfahrungen in der Gruppe, das soziale Lernen, das ihrem Kind mit den anderen möglich wird. Andere kommen aber eher aus wirtschaftlichen Zwängen, weil sie ihren Beruf nicht missen möchten oder auch weil die Kinder sich zu Hause zu wenig entfalten können („Mein Mann ist Schichtarbeiter und bekommt zu wenig Schlaf, wenn der Kleine tagsüber zu Hause ist.“) Elterlichen Ansprüchen, dass ihr Kind bei seinen Tagesmüttern „etwas lernen soll“, begegne ich eher selten – ganz anders als in dem Kindergarten, in dem ich früher als gelernte Erzieherin arbeitete. Doch auch genau das gehört zu unseren Aufgaben, wie wir im Qualifikationskurs für Tagesmütter gelernt haben: „Aufgabe der Tagesmutter ist die Erziehung, Pflege, Betreuung, Bildung und Förderung der ihr anvertrauten Kinder.“ Ich selbst fühle mich jedenfalls als Tagesmutter gegenüber meiner früheren Tätigkeit mitnichten unterfordert oder gar „degradiert“. Da lästige Büroarbeiten, das Einziehen der Betreuungsgebühr, Teamsitzungen, Protokollbesprechungen und so weiter und so weiter wegfallen, bleibt uns sehr viel Zeit, die wir intensiv mit den Kindern nutzen können. Auch den Kontakt zu den Eltern empfinde ich als persönlicher.

Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir jedoch darin, dass sich die Kleinen bei uns wohl und herzlich aufgenommen fühlen, dass sie gerne zu uns kommen, Freunde finden und die Zeit im „Kükennest“ genießen. Zwar können (und wollen) wir die Wärme und Geborgenheit einer Familie nicht ersetzen, auch wenn viele Kinder den größten Teil ihres Tages im „Kükennest“ verbringen. Aber wir wissen: Positive Bindungserfahrungen sind Voraussetzung für jegliche Art des Lernens; erst wenn sich die Kinder mit ihren Stärken und Schwächen angenommen fühlen, lernen sie „spielend“.

Die innige emotionale Bindung zu den Kindern bringt sehr viele schöne Momente mit sich, kann aber auch zum Problem werden. Denn manchmal fällt es schwer sich abzugrenzen. Aber schließlich muss man irgendwann wieder Abschied nehmen von Kindern und Eltern, die man jahrelang fast täglich gesehen und ein Stück auf ihrem Lebensweg begleitet hat.

Aber auch das gehört wohl zu den Aufgaben einer Tagesmutter.

Rosemarie Laco