Die Qualität muss stimmen

Welche Qualitätskriterien Kitas und Krippen erfüllen müssen, damit die Kinder dort zu ihrem Recht kommen. Und wie Eltern sich davon überzeugen können.

Ein einjähriges Kind oder gar ein Baby in Fremdbetreuung geben? So etwas kann doch nur eine Rabenmutter tun! Sagen die einen. Wir brauchen mehr Krippenplätze, weil Kinder dort Bildungserfahrungen machen, die ihnen allein bei den Eltern verwehrt bleiben. Sagen die anderen. Und: Weil wir „jungen Eltern die schwierige Balance zwischen Familie und Beruf erleichtern wollen.“ Sagt die (Bundes-)Familienministerin. Das Stichwort, bei dem sich die oft erbittert ausgetragenen Gegensätze zwischen den beiden Seiten am ehesten versöhnen lassen, heißt: „pädagogische Qualität“. Ein Baby oder zweijähriges Kind, das vernachlässigt oder gar misshandelt wird, das ohne nennenswerte Ansprache und Förderung in einer „bildungsfernen“ Familie heranwächst, das aufgrund der Beruf tätigkeit seiner (alleinerziehenden) Mutter mal von der Großmutter, mal von Nachbarn betreut wird oder das Eltern hat, die depressiv, suchtkrank oder aus anderen Gründen erziehungsunfähig sind – dieses Kind ist sicherlich genauso schlecht dran wie ein gleichaltriges, das lieblos von einer Tagesmutter versorgt wird, in der großen Gruppe einer weit altersgemischten Kita (also in einem Kindergarten, der einzelne unter Dreijährige aufnimmt) „untergeht“ oder bei offener Gruppenarbeit verloren durch die Räume krabbelt (also in einer Kindertageseinrichtung, die dauerhaft oder für mehrere Stunden am Tag die Gruppen auflöst).

Geliebt und gefördert

Im Grunde sind es immer dieselben Faktoren, die über die Qualität der Betreuung von Kindern unter 3 entscheiden, sein es in einer Krippe, einer altersgemischten Einrichtung, bei einer Tagesmutter oder in der Familie:

  • Jedes Kind hat zwei oder drei verlässliche „Bindungspersonen“, also Menschen, zu denen es eine enge Beziehung aufbauen kann, die ihm Zuneigung und Liebe entgegenbringen, die seine Bedürfnisse einfühlsam erkennen und befriedigen. Das können Eltern, Verwandte oder andere konstante BetreuerInnen sein.
  • Es wächst in einem „Sprachbad“ auf; die BetreuerInnen begleiten seine und ihre Aktivitäten mit Worten, sprechen es immer wieder direkt an. Sie sind in der Lage, sich auf seine begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten einzustellen.
  • Das Kind wird allseitig gefördert. Es findet Möglichkeiten für vielfältige Sinneserfahrungen, für eine selbstständige Bewegungsentwicklung, für das Erkunden von Innen- und Außenräumen (Spielplatz, Garten, Park, Wald), für kreative Betätigungen und für soziale Kontakte. Es benötigt viele Anregungen für seine kognitive Entwicklung. Seine individuellen Neigungen, Interessen und Bedürfnisse werden beachtet.
  • Besonders wichtig ist ausreichend Zeit für das Freispiel – alleine oder mit einigen wenigen anderen Kindern – mit vielfältigen altersgemäßen Materialien. Weitere wichtige Qualitätsmerkmale sind
  • Funktionsbereiche und Rückzugsmöglichkeiten (wie Ruheecken),
  • eine möglichst niedrige Erzieherin-Kind-Relation,
  • eine kleine Gruppengröße,
  • Fachkräfte, die für die Arbeit mit Kindern unter 3 aus- und fortgebildet wurden, die Kinder genau beobachten und ihre Entwicklung dokumentieren sowie im Sinne einer Erziehungs- und Bildungspartnerschaft viel Wert auf den Austausch mit den Eltern legen.

Viele Einrichtungen, das haben wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, lassen in diesen Punkten Wünsche offen.

Am besten erst mal zuschauen

Eltern, die ihr Kind einer Krippe oder Tagesmutter anvertrauen wollen, tun also gut daran, die Angebote vor Ort genau zu prüfen. Eine erste Orientierung ermöglichen die pädagogischen Konzeptionen von Kindertageseinrichtungen. Der nächste Schritt sind ausführliche Gespräche mit den ErzieherInnen und/oder Tagesmüttern darüber, wie sie mit den Kindern umgehen und sie in ihrer Entwicklung fördern. Am besten können Eltern die Qualität des jeweiligen Angebots prüfen, wenn sie hospitieren dürfen – also für mehrere Stunden beobachten können, was in der Kindertageseinrichtung oder in der Wohnung der Tagesmutter passiert, wie sich die Kinder verhalten und ob sie sich wohl fühlen. Schließlich sollte eine „sanfte“ Eingewöhnung möglich sein, das heißt: In den ersten Tagen und bei Bedarf darüber hinaus bleibt ein Elternteil im Vorraum oder im Umkreis (per Handy erreichbar) und holt das Kind ab, wenn es anfängt, untröstlich zu weinen.

Bleibt noch zu klären, welche Art von Kindertagesbetreuung den Bedürfnissen von Eltern am besten entspricht.

  • •Stärken der Tagespflege gegenüber der Kinderkrippe liegen in der größeren Flexibilität der Betreuungszeiten, der kleineren Gruppe, der intensiveren Zuwendung, der familialen Umgebung und dem geringen Infektionsrisiko. Schwächen sind hingegen die Instabilität dieser Betreuungsform, die kleinere Zahl der Spielkameraden (falls überhaupt mehrere Kinder betreut werden), die schlechtere Ausstattung mit Spielsachen, die unzureichende pädagogische Aus- und Fortbildung vieler Tagesmütter und die mangelnde Überwachung durch den Staat.
  • Stärken weit altersgemischter Gruppen sind, dass unter Dreijährige mit bis zu sechs Jahre alten Kindern Kontakt haben, die als Verhaltensmodelle dienen und ihre Entwicklung stimulieren. Schwächen dieser Betreuungsform sind die relativ großen Gruppen, die oft unzureichende Qualifizierung der Fachkräfte für die Arbeit mit (den wenigen) sehr kleinen Kindern und die Schwierigkeit, bei einer so großen Altersspanne pädagogische Angebote für alle Kinder zu machen (deshalb wird zumeist mit Kleingruppen gearbeitet, was in der Summe aber die „Bildungszeit“ reduziert).

Martin R. Textor