Eine einmalige Chance
Die Erstkommunionvorbereitung in einer priesterlosen Gemeinde erlebte Ludwig Bauer als Gunst der Stunde für die beteiligten Eltern.
Die Gunst der Stund nutzen
Die Rahmenbedingungen waren günstig für einen Coup: Unsere Pfarrei war vakant und wurde vom Nachbarpfarrer mitverwaltet, und andere „hauptamtliche pastorale Mitarbeiter“ gab es nicht, weil infolge anstehender Umstrukturierungen der ganze Personalplan umgestellt werden sollte. Gerade jetzt stand die Erstkommunion unseres Sohns an. Wir freuten uns auf das Fest; andererseits bereitete uns die Form der Vorbereitung Bauchschmerzen. Unsere erste Überlegung, Philipp in einer anderen Pfarrei anzumelden, in der wir öfter den Gottesdienst besuchten, quittierte Sohnemann abschlägig: Er wolle mit seinen Klassenkameraden gehen. Also setzten wir uns mit einigen anderen Eltern zusammen und waren uns schnell einig: Wir nutzen die Gunst der Stunde, kippen die bisherige Form der Vorbereitung und machen die Sache selbst.
Ohne Priester? So ein Affront!
Der Nachbarpfarrer war froh über die Entlastung und ließ uns freie Hand. So konnten wir loslegen: Wir, das waren drei Mütter (zwei davon Religionslehrerinnen) und ich. Erster Schritt: ein Elternabend für die möglichen Kommunioneltern, Ende August, noch bevor sie ihr Kind zur Vorbereitung anmeldeten. Da ging es anfangs hoch her: Ein Teil der Eltern hatte erwartet, dass jetzt der Pfarrer oder sonst jemand von der Kirche ihren Kindern „den Glauben erklärt“; schließlich seien die ja dafür zuständig! Sie empfanden es fast als Affront, dass kein Priester da war. Doch genau dafür hatten wir uns entschieden und mit dem Pfarrer geklärt: Wir nehmen die Situation so, wie sie ist, also auch, dass wir im Moment eine „priesterlose“ Gemeinde sind. Und wir hatten Sorge, dass seine Anwesenheit die Eltern doch wieder auf ihn fixieren würde.
Andere Eltern interessierten sich vor allem für die organisatorischen Details: Wann denn die Erstkommunion sei? Wie sie denn ablaufen würde? Die Frage konnten (und wollten) wir nicht beantworten; stattdessen gaben wir sie an die Eltern zurück: „Sie wollen, dass ihr Kind zur Erstkommunion geht. Wir sind als ,Katecheten‘ bereit, Kindergruppen zu übernehmen; ansonsten aber auch nur Eltern. Wann die Erstkommunion ist und wie sie ablaufen soll, müssen wir gemeinsam überlegen.“ Wir machten deutlich, dass jeder etwas mitbringen würde: Erwartungen und Anliegen, Wünsche und Befürchtungen, unterschiedlichste Fähigkeiten, auf die wir bei Bedarf zurückgreifen wollten. Verbinden würde uns ja wohl der Wunsch, dass unserem Kind etwas Gutes geschehe, dass es „Segen“ erfährt, dass es ein schöner Tag werde. Und das sei, bei Licht betrachtet, beileibe nicht wenig, sondern ein gutes Rüstzeug, mit dem wir uns miteinander auf einen Weg einlassen könnten. „Im Laufe der Zeit werden wir dann schon herausfinden, wie das Ende aussehen soll.“ Eine Alternative dazu konnten wir nicht anzubieten, außer: „Dann müsste Ihr Kind halt in einer Nachbarpfarrei zur Erstkommunion gehen.“
Gemeinsame Überlegungen
Im Lauf des Abends veränderte sich das Klima merklich. Einige erzählten von ihrer Erstkommunion und fragten, ob es heute noch genauso sei. Andere ergänzten ihre Vorstellungen. Wir überlegten miteinander, was davon zu uns und unserem Anliegen passen könnte, und hatten recht bald eine Fülle von Ideen. Eine Mutter fragte, ob die Kinder nicht gemeinsam ein Wochenende verbringen könnten; zwei Väter meldeten sich und wollten das „Freizeitprogramm“ dafür organisieren; eine andere Mutter erklärte sich bereit, sich um Haus und mögliche Zuschüsse zu kümmern. Für uns vier „Katecheteneltern“ war das Basis genug für unsere Zusage, dass wir uns dann um das „Inhaltliche“ kümmern würden. Es wurde fast elf, bis wir schließlich das Pfarrheim verließen, hoch motiviert und bester Stimmung.
Die ersten Wochen mit den Kindergruppen im September und Oktober liefen prima, und das Wochenende Anfang November war ein Highlight. Trotzdem wurde es uns Katechetinnen und Katecheten zunehmend mulmig.
Da könnte ja jeder kommen …
Zum einen wurden wir von Teilen der „Kerngemeinde“ sehr kritisch beäugt: Was sind das für Elemente, die alles auf den Kopf stellen? Das ging so weit, dass mir ein Ehrenamtlicher den Pfarrheimschlüssel verweigerte: Da könne ja jeder kommen… So musste die Gruppenstunde halt bei mir zu Hause stattfinden, sollte sie nicht ausfallen.
Zum anderen und mehr als das Gerede bereitete uns der nächste Elternabend Kopfzerbrechen. Dann wollten wir nämlich nicht nur „Organisatorisches“ klären, sondern uns auch über Inhalte austauschen. Konkret bedeutete das: Die Erstbeichte der Kinder rückte näher. Und wir Vier sahen uns keinesfalls als Vorbilder an, was unsere eigene Beichtpraxis betraf…
Die Nachricht, dass wir „außer der Zeit“ für Anfang Januar einen neuen Kaplan bekommen würden, kam uns zuerst wie eine Erlösung vor: Prima, dann kann der ja den Elternabend machen! Doch gleich darauf meldete sich unser Unbehagen zurück: Es hat doch so gut begonnen – sollen wir das jetzt bei der ersten Schwierigkeit aus der Hand geben? Nein, das wollten wir dann doch nicht. Umso gespannter warteten wir auf das erste Treffen mit dem „Neuen“. Und erlebten eine erfreuliche Überraschung: Nein, er wolle uns keinesfalls das Heft aus der Hand nehmen, erklärte er. Er sehe sich mehr als Unterstützer.
Wir beschlossen, den Elternabend zur Beichte genauso offen anzugehen wie alles andere bisher. Wir wollten mit den anderen Eltern ins Gespräch kommen über Schuld und Verantwortung, gemeinsam suchen, worin für uns heute Sinnspuren dieser alten Praxis zum Ausdruck kommen. Der Kaplan wollte das weiterführen und, wo sinnvoll und nötig, um Sinngehalte aus dem Glaubensschatz der Kirche ergänzen. Und abschließend wollten wir alles zusammenführen bei der Frage, wie der Tag der Erstbeichte mit den Kindern gestaltet werden soll.
Zur Entlastung der Hauptamtlichen …
Es wurde ein schwieriger Abend. Mit dem Kaplan in der Runde war die Gruppe eine andere. Unser Einstiegsimpuls wurde nicht aufgenommen; stattdessen wurde der Kaplan mit Fragen überhäuft und mit Vorwürfen überschüttet. Eigene schlechte Erfahrungen mit der Beichte kamen zur Sprache, Vorurteile über die Doppelmoral der Kirche, die das Gewissen der Menschen kontrollieren wolle… Ähnlich wie beim ersten Elternabend „ging die Post ab“. Der Kaplan nahm die Beiträge ernst, ging darauf ein, zeigte Verständnis, ermutigte die Eltern in ihrem Suchen. Mit der Zeit stiegen wir Katecheten-Mütter und -Väter mit ein, erzählten von unseren eigenen Schwierigkeiten mit der Beichte. Dass man sie trotzdem erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe, und was wir diesbezüglich den Kindern gern mitgeben wollten.
Wieder war die Stimmung im Verlauf des Abends gekippt. Die Eltern gingen sehr nachdenklich nach Hause. Nicht dass sie jetzt alle zur Beichte gegangen wären. Doch unser Versuch, einen gemeinsamen Kommunionweg zu gestalten, hatte einen neuen Auftrieb bekommen. Von hier spannte sich der Bogen über zwei weitere Elternabende hin zu einer ganz „dichten“ Eucharistiefeier am Erstkommuniontag.
Mindestens genau so beeindruckend war der darauf folgende Sonntag: Fast alle Familien trafen sich zu einer gemeinsamen Wanderung, mit Eucharistiefeier im Freien und anschließendem Picknick. Es war ein einmaliges Erlebnis.
Allerdings blieb es auch ein einmaliges Erlebnis. Die nächste Kommunionvorbereitung verlief in den üblichen Bahnen, und auch zwei Jahre später, als unser Jüngster zur Erstkommunion ging, blieb es beim Althergebrachten. Unsere Pfarrei war inzwischen Teil eines Verbandes von vier Pfarreien, und die Vorgabe lautete: eine einheitliche Vorbereitung in allen Gemeinden – zur Entlastung der Hauptamtlichen!
Schade eigentlich. Vielleicht hätten wir doch mehr einfordern sollen.
Ludwig Bauer