Wie ein ständiges Jonglieren
Flexiblen Arbeitszeiten bestimmen den Familien-Alltag von Beate und Klemens Frey, in dem beide gewinnen - und ihren Preis zahlen. Beide berichten aus ihrer Perspektive:
Ausgleich zwischen Pflicht und Kür
Er: „Nach den Sommerferien habe ich tierisch viele Seminare. Mein Kollege hat mich gebeten, ein paar seiner Termine zu übernehmen..“ Ich: „Oh nein, schon wieder so viele Wochenenden. Muss das denn sein?“ Ich schenke mir den anschließenden Wortwechsel über die Entbehrlichkeit oder Notwendigkeit der freiberuflichen Tätigkeit als Coach. Über Ansprüche und Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen. Aber immer wieder geht es bei uns darum. Und über die Fragen, die sich daran anschließen: Wer ist für was zuständig? Wie steht es um den Ausgleich von Spaß und Last, Pflicht und Kür? Wer hat es mehr verdient, am Samstagabend als erster aufs Sofa zu sinken und die Spülmaschine sein zu lassen: Derjenige, der erst spätnachmittags nach Hause kommt, müde und erschöpft, aber im Moment der Heimkehr bestens gestimmt. Oder diejenige, die den verregneten Tag mit drei kleinen Kindern größtenteils zuhause verbracht hat, ohne Termin- und Leistungsdruck, aber geräumt, gekocht, gewaschen, gespielt, Geschrei ausgehalten, kleine Gäste bewirtet, verschmierte Gesichter gesäubert hat …
An mir ist keine Super-Mama verloren gegangen
Nein, an mir ist nicht die Super-Mama, -Haus- und -Ehefrau verloren gegangen. Mir geht der runde Geburtstag der Nachbarin durch die Lappen, im Stapel auf dem Schreibtisch versteckt sich bestimmt auch die Mahnung vom Finanzamt und in der Flickwäsche liegt jetzt schon seit drei Wochen die Lieblingshose meiner Tochter. Wir waren einmal angetreten, die Aufgaben rund um Familie, Haus und Hof partnerschaftlich anzugehen. Ähnlich gut ausgebildet sind wir ins Berufsleben eingestiegen. Als ich ein halbes Jahr nach der Geburt unseres ersten Kindes wieder vormittags arbeiten ging, war es für uns selbstverständlich, dass mein Mann drei Vormittage zuhause blieb und für unsere Kleine sorgte. Nach dem zweiten Kind klappte es noch so gerade, wieder in den geliebten Beruf einzusteigen, diesmal aber nur mit sehr viel mehr bezahlter Hilfe, da auch mein Mann stärker eingespannt war. Doch mit dem dritten Kind und einem Hausumbau schien mir eine weitere Berufstätigkeit schier unmöglich – mir schwante schon, dass meine Kraft dafür nicht auch noch reichen würde. Eine Auszeit stand an, diesmal für eine längere Zeit als nur ein halbes Jahr. Diese Entscheidung fiel mir auch deswegen leicht, weil mein Arbeitgeber den Geschäftsbereich, in dem ich tätig war, bei uns am Ort aufgelöst und in den Süden verlegt hatte. Meinem Job hinterher ziehen und künftig vor allem auf mein Einkommen setzen – das wollten wir beide nicht. Wir fühlten uns wohl an unserem Wohnort. Auch war uns die Nähe zu unseren Elternhäusern sehr wichtig: Binnen einer Autostunde konnten wir beide unsere Eltern erreichen, von denen zwei schon pflegebedürftig waren und unsere Unterstützung schätzten.
Fortan ging’s eher „klassisch“ bei uns zu:
Er baute seinen Beruf aus, übernahm mehr und mehr Aufgaben, nicht zuletzt um mein fehlendes Einkommen aufzufangen; ich regelte in der Hauptsache die Dinge zuhause. Die drei Kinder und das Leben mit Haus und Garten, forderten mir jedenfalls soviel Lebensenergie ab, dass ich froh über jeden Tag war, an dem unsere kleine Welt abends wieder ruhig einschlief. Haushalt, Elternabende, Sozialkontakte, Minijob: Muttersache; Geldverdienen, im Beruf fortkommen: Vaters Ding. So richtig glücklich war keiner von uns mit dieser Aufteilung. Ich beäugte neidisch alle Frauen, die ein richtiges Bein in der Berufswelt hatten, er war oft frustriert, weil er zuhause so vieles nicht mehr mitbekam und viel weniger Zeit mit den Kindern verbringen konnte, als er sich früher vorgestellt hatte. Zusätzlich erschwerten seine unregelmäßigen Arbeitszeiten ein Familienleben in gleichmäßigen Rhythmen.
Flexibilität braucht entsprechend flexible Hilfe
Letztlich war es aber diese seine Flexibilität, die es mir ermöglichte, nach fast fünf Jahren Auszeit vom Beruf den Wiedereinstieg zu testen: beim alten Arbeitgeber, auf einer halben Stelle, die meiner alten ganz ähnlich war, jetzt aber weit weg in einer süddeutschen Großstadt und befristet auf ein Jahr. Gerade diese Befristung hat es mir erleichtert, ja zu sagen. Ein Jahr! Das musste doch klappen! Das konnte doch ein gutes Signal sein: Hey, Arbeitsmarkt, mit mir kannst du wieder rechnen. Eigentlich habe ich nicht lange überlegt. Ich war glücklich, dass mein berufliches Können nachgefragt wurde, zumal ich mich in den letzten Jahren kaum fortgebildet hatte. Diese Chance wollte ich auf jeden Fall nutzen. Und mein Mann? Der war ebenfalls Feuer und Flamme, hat mich ermutigt: Ja, trau dich, wir kriegen das schon hin, das müssen wir uns auch etwas kosten lassen. Denn dass unter diesen Bedingungen nichts zu verdienen war, war uns ebenfalls klar: Pro Woche würde ich zwei oder drei Tage weg sein, wir bräuchten zuhause eine entsprechend flexible Hilfe, die ab Mittags für die Kinder da sein sollte, mein Mann müsste seine freiberufliche Arbeit einschränken.
Rückblick
Rückblickend sind wir recht gut durch dieses Jahr gekommen. Mein Mann hatte seine Arbeitszeiten reduziert, hatte so viel Zeit für die Kinder und auch für das Klein-Klein, das alltäglich zu regeln ist. Klar: Für die Zeiten meiner Abwesenheit sorgte ich für vieles im Voraus: Einkäufe, Essenspläne, Bring- und Holdienste, Verabredungen. Aber ich finde immer noch, dass ich den angenehmeren Part hatte: Wenn ich weg war, war ich weg. In jeder Woche hatte ich ein bis zwei richtige Feierabende, an denen ich tun und lassen konnte, was ich wollte – fern von Wäschebergen und Kindergeschrei. Sicherlich hat mir dieses Jahr letztlich geholfen, meine jetzige Arbeitsstelle zu finden. Der große Aufstieg ist mir zwar nicht gelungen – dafür sind mir andere Dinge zu wichtig im Leben, dafür investiere ich letztlich zu wenig in den Beruf.
Auch weiterhin ist mein Mann viel unterwegs. Daran wird sich vielleicht noch viele Jahre nichts ändern. Vielleicht entwickeln Familien, die wochenlang auf ihren Vater verzichten müssen, Rituale, einander auf dem Laufenden zu halten, was Klein und Groß bewegt – so stelle ich es mir zumindest vor. Doch mein Mann ist ja „nur“ drei Tage unterwegs, dann zwei Tage zuhause, anschließend aber wieder ein paar Tage weg. Nie ist es so lang, dass er „richtig“ draußen wäre. Und sooo viel passiert ja auch gar nicht, normalerweise. Aber just an solchen Tagen ist das Gemeindefest (immer wieder an solchen Tagen), feiert die Großmutter Geburtstag, wird die Mathearbeit vermasselt und die Kaninchen hauen ab.
Auf diesem Wege kommen übers Jahr einige zig Nächte und viele Wochenenden Familienzeit ohne Partner, ohne Vater zusammen. Schade, aber so ist nun einmal. Für uns als Paar, als Familie bleibt die ständige Herausforderung: Die gemeinsame Zeit intensiv miteinander erleben, ohne sie mit übertriebenen Erwartungen zu belasten.
Beate Frey
Nicht richtig da – nicht richtig weg
Ich drücke den Lichtschalter. Mist – stimmt ja: Schon den fünften Tag funktioniert es nicht. Wieder einmal habe ich nicht daran gedacht, Birnen zu besorgen und zu wechseln. Na – morgen aber. Nein, doch nicht: Da bin ich ja für einen Tag in Hamburg. Früh weg, spät zurück; Dann also doch später mal.
Seit 13 Jahren leben wir eine recht flexible Arbeitsaufteilung. Mal 50:50 in Sachen Arbeit und Erziehung; dann wieder in klassischer Rollenaufteilung – dies nun eben wieder seit 7 Jahren, von einem Jahr der Arbeitsteilung unterbrochen. Die 50:50 Zeiten waren für mich eine enorme Bereicherung. Auch wenn gerade die Zeit, als meine Frau beruflich in Süddeutschland war, hauptsächlich von Minutenmanagement geprägt war und so manches wie Sport und Unternehmungen hintenüberfiel, ich konnte beides, Familie und Beruf, intensiv erleben. Inzwischen steht unser Familienleben jedoch wieder unter dem Diktat einer „modernen klassischen Familie“: Ich in der Rolle, das Familieneinkommen zu sichern, meine Frau meistert in einer beruflichen Orientierungsphase, die Doppelbelastung von Familie und einer Halbtagsbeschäftigung. Mein Beruf erfordert viel Flexibilität: Es gibt Phasen von 12 Stunden-Tagen, sieben Arbeitstagen pro Woche; dann aber auch wieder terminfreie Wochen und ruhigere Zeiten, insbesondere zu den Ferienzeiten der Kinder. Für die Familie bin ich je nach dem da – und auch wieder nicht. Beides nicht zuverlässig. Will heißen: Anwesenheit und Abwesenheit wechseln willkürlich. Mit mir ist grundsätzlich erst einmal nicht „zu rechnen“. Bin ich daheim, wünsche ich mir, Familie zu erleben oder auch einfach in Ruhe gelassen zu werden, je nach vorangegangener Belastung - und hoffe auf Achtsamkeit, Verständnis und – ja: Flexibilität. Manchmal beißen sich die Interessen – dann wieder nicht.
Familienzeit nicht immer planbar
Jüngst kam ich nach Tagen konzentrierter Arbeit erschöpft nach Haus und wollte nur noch eins: Zur Ruhe kommen. „Aber“, so meine Frau, „du weißt doch, ich habe einen Termin in der Gemeinde und in der Schule ist gleichzeitig Klassenpflegschaftssitzung. Wir haben ja abgemacht, dass Du dort hingehst.“ Ja, hatten wir – doch nun kann und will ich nicht mehr. Nicht schon wieder sitzen, reden, diskutieren. Was tat es gut, als meine Frau mit Verständnis reagierte und sagte: „Na, dann bleib mal hier. Ich besorg mir schon die notwendigen Informationen.“
Dann gibt es auch das andere: Ich freue mich auf die Familie und auf die bereits angekündigte Radtour mit allen. Die Erwartungen sind hoch, sie konnten sich ja auch über Tage aufbauen. Dann aber platze ich zu Hause in eine Situation, in der alle gerade in eigene Dinge vertieft sind. Kaum einer nimmt Notiz von mir, geschweige, dass jemand Lust dazu hat, mit mir eine Radtour zu machen. Familienzeit ist, obwohl von mir gerade so „geplant“ und gewollt, nicht dran. Wann aber dann?
Einen Rhythmus gibt es nicht
Es ist ein ständiges Jonglieren mit den Zeiten, mit den Erwartungen und Bedürfnissen aller Beteiligten. Familienzeiten, Zeit mit der Partnerin, die Übernahme von Verpflichtungen, Zeiten mit Freunden oder für eigene Hobbys sind immer wieder neu zu planen, abzusprechen, auszuhandeln. Was natürlich für jede Familie gilt, erhält bei uns eine zusätzliche Brisanz: Jetzt, wo ich nach drei Tagen Abwesenheit endlich zuhause bin, will ich mit den Kindern raufen und spielen und nichts im Haus tun! Hab’ ich mir das nicht gerade verdient? Umgekehrt hat meine Frau gerade dann Entlastung nötig. Sie will raus, die Kinder mal hinter sich lassen. Und sie hat es genauso verdient. Mir täte etwas Sport gut oder ab und an ein Treffen mit einem Freund - aber die Familie ist mir ja auch wichtig. Soll ich schon wieder Adieu sagen oder doch besser daheim bleiben - gerade jetzt, wo die Kinder noch so jung sind. Schnell, allzu schnell ist diese Phase ja vorbei ... Einen Rhythmus gibt es nicht. Und allen nötigt diese Situation Flexibilität ab. Zum Glück springen, wenn alles reißt, die Großeltern ab und an ein. Wenn es gar nicht anders zu planen war oder mein Management doch versagt hat. Gut, wenn man solch einen Notnagel hat.
Und dann gibt es wieder die Zeiten, in denen ein gelassenes, ruhiges Miteinander möglich ist, und jeder Tag erst einmal so beginnt wie der vorangegangene: Alle sind daheim, die Kinder gehen zur Schule, Mutter und Vater zur Arbeit, beide kommen nach ihrem normalen Arbeitspensum heim. Und was zu tun ist, lässt sich gemeinsam erledigen, Familienzeiten ergeben sich spontan ... und Notwendigkeiten wie das Kaufen und Wechseln von Glühbirnen geschehen mal eben so nebenher.
Clemens Frey