Vorläufig angekommen

Zwei Kinder, beruflich etabliert: Auf den ersten Blick können Lisa und Thomas Groß ihr Familienleben genießen. Aber zwischen Beruf und Familie bleiben noch ein paar Wünsche offen

Lisa Groß: Wir genießen den Tag

Das Angebot des Büros, in dem ich schon während des Studiums als Praktikantin tätig war, kam wenige Tage, nachdem ich mein Diplom empfangen hatte: Ich könnte kurzfristig bei einem Projekt aushelfen, alles Weitere werde sich dann finden. Aus diesem spontanen Einstieg wurde meine erste Festanstellung, ohne dass ich je eine Bewerbung geschrieben hatte.

Allerdings: Das Büro war in Frankfurt, mein jetziger Mann studierte dagegen noch in Heidelberg. Für mich bedeutete das für die nächsten vier Jahre: Pendeln. Wir entschieden uns dafür, weil die Perspektiven für meinen Arbeitsplatz branchenbedingt immer mal wieder besser und schlechter waren und eine Wochenendbeziehung uns auf Dauer nicht als die richtige Form für unser Zusammensein erschien. Zum Berufseinstieg meines Mannes zogen wir dann gemeinsam nach Frankfurt; dass wir gleich bei der zweiten Wohnungsbesichtigung eine wirklich tolle, optimal gelegene Wohnung fanden, lässt uns heute noch staunen.

Den Luxus, zu Fuß in weniger als 15 Minuten im Büro zu sein, genoss ich jedoch nur etwa drei Monate lang. Dann kam unser erster Sohn Sebastian zur Welt, und ich ging in Elternzeit. Nach fast fünf Jahren im Beruf war das für mich genau der richtige Schritt; die Zeit war einfach reif für eine – wie auch immer geartete – Veränderung.

Allerdings hatte ich hin und wieder das Gefühl, dass wir in zwei verschiedenen Welten lebten. Als „Vollzeit- Mama“ tauchte ich in ein völlig neues Leben ein. Keine klaren Strukturen und Abläufe mehr, der Rhythmus des Babys bestimmte jetzt alles. Abends war ich todmüde – obwohl ich doch, so mein Eindruck, nur unproduktiv in den Tag hinein gelebt und nichts geschafft hatte. Und wenn ich einen Tag richtig genossen und verbummelt hatte, packte mich das schlechte Gewissen wegen der unerledigten Hausarbeit und des Chaos in der ganzen Wohnung.

Von Anfang an war es mir wichtig, nicht ganz aus dem Berufsleben auszuscheiden und jahrelang „nur“ Kinder zu hüten. Doch obwohl ich mich früh darum bemüht hatte, konnten wir keinen Platz in einer öffentlichen Krippe ergattern. Mehr Glück hatten wir nach einem Jahr über den Arbeitgeber meines Mannes in einer betriebsnahen Kita, sodass ich wieder teilzeit in meinem „alten“ Büro arbeiten konnte. Inhaltlich war das nicht mehr das, was ich vorher hatte, und verlangte zudem einige zeitliche Flexibilität, zum Beispiel musste ich bei Bedarf auch abends oder zu Hause arbeiten. Andererseits fand ich stets Verständnis für meine persönlichen Belange, wenn der Kleine mal krank wurde und nicht in die Kita konnte. Dennoch blieb immer das Gefühl, die Kollegen im Stich zu lassen, wenn es mal eng wurde und ich trotzdem pünktlich nach Hause ging.

Es klingt paradox, aber es war so: Mit meinem Wiedereinstieg ins Berufsleben strukturierte sich unser Tagesablauf neu, wurde straffer und gab mir das Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben – und damit verstärkte sich unser Wunsch nach einem zweiten Kind. Kurz vor dem dritten Geburtstag des ersten kam es zur Welt, wieder ein Sohn. Fast gleichzeitig wechselte der „Große“ in den Kindergarten. Ich musste von Neuem meinen Tagesrhythmus umstrukturieren; diesmal ging es  entschieden  schneller,  weil  die  beiden  Kinder  mir ihre Bedürfnisse unmissverständlich klar machten. Doch mittlerweile, nach gut drei Monaten, sind wir ein eingespieltes Team, und ich habe das Gefühl, beiden Kindern gerecht zu werden, die Aufgaben des Alltags ganz gut zu stemmen und auch (sehr) kleine Auszeiten für mich zu finden.

Hier und heute geht es uns gut. Wir genießen die Vorzüge, die uns das Leben mitten in der Stadt bietet, die schöne Altbauwohnung und das kinder- und familienfreundliche soziale Umfeld; über die Nachteile und Kompromisse wie das nicht zeitgemäße Badezimmer, den fehlenden Balkon und die ständige Parkplatzsuche können wir hinwegsehen; auch und gerade weil wir wissen, dass wir noch nicht ganz am Ziel angekommen sind.

„Familie“ mit Vater, Mutter, Kind(ern) gibt es bei uns fast ausschließlich am Wochenende; unter der Woche sehen die Kleinen ihren Papa nur morgens beim gemein- samen Frühstück und auf dem Weg zum Kindergarten. Die Nachmittage verbringen wir zu dritt, an den Abenden bin ich oft alleine. Die Wochenenden sind dann unsere Familienzeit, die wir mit den Großeltern, Verwandten oder Freunden mit Kindern oder einfach nur zu viert verbringen. Zeit zu zweit als Paar ist derzeit Mangelware, aber wenn auch Konstantin irgendwann mal länger als nur ein paar Stunden ohne mich auskommt, werden wir auch dafür Lösungen finden.

Beim Blick in die Zukunft sehen wir momentan aber nur viele Fragezeichen. Niemand weiß, wo wir in fünf Jahren stehen; den Ausschlag darüber wird die berufliche Zukunft meines Mannes geben. Wir haben uns deshalb entschieden, gedanklich nicht weiter zu planen und die Zeit, die wir jetzt überblicken können, möglichst intensiv als Familie in unserem räumlichen und sozialen Umfeld zu genießen. Und wenn sich dann über kurz oder lang etwas grundlegend ändert, werden wir neue Pläne schmieden und Wege finden, die Bedürfnisse von uns allen zu berücksichtigen.

Thomas Groß: Am Wochenende Papa

Unser jetziges Leben in Frankfurt hat etwas Vorläufiges. Die gefühlte Unsicherheit, die unser Leben vordergründig allerdings kaum beeinflusst, entspringt meinen beruflichen Perspektiven; sehr gut möglich, dass meine „Karriere“ früher oder später einen Umzug in eine andere Stadt mit sich bringt. So bleibt stets ein Gefühl des Vorübergehenden und Unfertigen.

Andererseits: Die Entscheidung, hier und jetzt in Frankfurt zu leben, haben meine Frau und ich ganz bewusst getroffen. Im Herbst 2008 zogen wir hierher; meine Frau arbeitete hier bereits seit mehreren Jahren, ich selbst hatte gerade meine erste Anstellung als Rechtsanwalt in einer überörtlichen Sozietät angetreten, zudem erschienen mir die beruflichen Perspektiven als Rechtsanwalt in Frankfurt günstig. Eine Rolle spielte bei der Entscheidung aber auch, dass sowohl die Eltern meiner Frau als auch meine Eltern die Stadt mit dem Auto in einer guten Stunde erreichen können – und diese Nähe war uns wichtig, weil es bei unserer Wohnungssuche im Spätsommer 2008 bereits absehbar war, dass unsere Eltern bald Großeltern werden würden.

Meine Frau nahm unmittelbar nach der Geburt Elternzeit. Da mein Gehalt höher war als ihres, erschien es uns als eine Frage der ökonomischen Vernunft, wer sich vorrangig der Kinderbetreuung widmen sollte. (Letztlich hätten wir uns aber wohl genauso entschieden, wenn es keinen Unterschied zwischen den Gehältern gegeben hätte – und wahrscheinlich selbst dann, wenn mein Gehalt ein wenig niedriger gewesen wäre als das ihre). Für mich fand (und findet) Familienleben wegen meiner beruflichen Verpflichtungen hauptsächlich am Wochenende statt. Immerhin: Ein gemeinsames Familienfrühstück gehört auch an Arbeitstagen zu unseren festen Ritualen, sei es auch noch so kurz. Und auch die gemeinsame Zeit mit Sebastian auf dem Weg zur Kindertagesstätte und mittlerweile in den Kindergarten erlebe ich sehr bewusst.

Eine ganz wunderbare Erfahrung, die ich auf keinen Fall missen möchte, war die zweimonatige Elternzeit im Sommer 2010. Ganz bewusst nutzten wir diese Zeit nicht als verlängerten Urlaub für Reisen; wir wollten ein „ganz normales“ Leben als Familie pflegen. Das hat nicht nur mein Verhältnis zu Sebastian deutlich und nachhaltig verändert, sondern sich auch auf die Partnerschaft mit meiner Frau ausgewirkt. Erst aus dieser besonderen Situation heraus, außerhalb des beruflichen Alltags, wurde mir richtig bewusst, wie sehr unsere junge Ehe und Partnerschaft unter Druck geraten war: Vorher blieb, von gemeinsamen Mittagessen abgesehen, für gemeinsame Unternehmungen zu zweit einfach keine Zeit. Ob ich mir über diesen Druck ebenso klar geworden wäre, wenn die Elternzeit für Väter nicht aufgrund der geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen „gesellschaftsfähig“ geworden wäre? Jedenfalls bin ich für diese Zeit und die daraus erwachsene Einsicht sehr dankbar.

Dass wir weitere Kinder haben wollten, war uns recht schnell nach der Sebastians Geburt klar. Ungefähr um seinen zweiten Geburtstag herum hatten wir den Ein- druck, dass wir zu dritt ganz gut zurechtkommen, und schöpften daraus das Vertrauen, dass uns dies auch zu viert gelingen würde. So kam zwei Wochen vor Sebastians drittem Geburtstag Konstantin zur Welt.

Zur gleichen Zeit machten wir – wie schon zwei Jahre zu- vor bei der Suche nach einer Kindertagesstätte – erneut sehr unbefriedigende Erfahrungen mit dem Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung. Erst nach langem Suchen und beharrlichen Nachfragen fanden wir für Sebastian einen Halbtagsplatz in einem Kindergarten, den wir zu Fuß von unserer Wohnung erreichen können. Wegen meiner Arbeitszeiten bedeutet das, dass meine Frau sich täglich mindestens acht Stunden lang alleine um die beiden Jungs kümmern muss. Einen Eindruck davon, wie anstrengend das sein kann, bekomme ich an den Wochenenden – dann sind wir aber wohlgemerkt immer noch zu zweit. Manchmal spüre ich deshalb ein schlechtes Gewissen, weil ich meiner Frau nicht stärker unter die Arme greifen kann. Zudem bedeutet die Kombination aus Familienleben und meiner beruflichen Tätigkeit, dass sowohl für meine Frau als auch für mich kaum Zeit bleibt, sich persönliche Freiräume zu schaffen. Selbst die Wochenenden sind meist voll mit wichtigen Besorgungen, der Pflege der verbliebenen Freundschaften, Besuchen bei den Großeltern oder deren Besuchen bei uns.

Für die Zukunft habe ich für mich und meine Familie deshalb vor allem drei Wünsche:
dass es uns gelingt, das Gefühl von Vorläufigkeit zu überwinden und (zumindest vorübergehend) angekommen zu sein und auf absehbare Zeit zu bleiben. Allerdings weiß ich auch, dass die ersehnte Stetigkeit so kurz nach dem Berufseinstieg kaum möglich ist – und dass „Ankommen“ wahrscheinlich eher eine Entwicklung ist als etwas, das sich an äußeren Faktoren festmachen lässt.
Zum anderen möchte ich intensiv am Aufwachsen meiner Kinder teilhaben, auch wenn ich wohl (zumindest für die nächste Zeit) ein Wochenend-Papa bleiben werde. Ich freue mich aber bereits sehr darauf, erneut Elternzeit zu nehmen.
Und schließlich hoffe ich, dass es meiner Frau und mir gelingt, unsere Partnerschaft trotz der wenigen verbleiben- den persönlichen Freiräume lebenswert zu erhalten. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird, auch und gerade wenn sie später wieder berufstätig sein wird.

Lisa und Thomas Groß